Wie ist es, Tierversuche zu machen?

3 Antworten

Tierversuche gehören zum Forscherleben in den Biowissenschaften dazu. Das beginnt bereits im Grundlagenstudium, denn Fächer wie die Tierphysiologie und die Allgemeine Zoologie kommen ohne Tierversuche nicht aus. Man kann z. B. in einem Buch noch so gute Abbildungen haben, die verschiedenen Baupläne der Tiere versteht man nur dann wirklich, wenn man das alles einmal selbst präpariert hat, es quasi im wahrsten Wortsinn be-griffen hat.

Grundsätzlich macht aber niemand gerne Tierversuche, ich jedenfalls nicht und ich kenne auch sonst niemanden, der daran Spaß hätte. Wenn es möglich wäre, würden wir alle gerne auf Tierversuche verzichten. Das ist aber (noch) nicht überall möglich, gerade in der Grundlagenforschung sind Tiermodelle und -versuche ein notwendiges Übel. Zum Glück darf man Tierversuche auch nicht einfach so durchführen - sie sind grundsätzlich genehmigungspflichtig und bedürfen eines Antrags, in dem auch dargelegt werden muss, warum ein Tierversuch notwendig und unverzichtbar ist, wie viele Tiere dafür verwendet werden sollen usw. Oberstes Gebot für die Wissenschaft ist dabei das Prinzip der drei Rs (3R-Prinzip):

  • replace: wo immer es möglich ist, sollen Tierversuche durch andere Methoden (z. B. Gewebekulturen) ersetzt werden. In der Kosmetikindustrie sind beispielsweise so gut wie alle Tierversuche durch andere Verfahren ersetzbar.
  • reduce: wenn ein Tierversuch unverzichtbar ist, sollte der Versuch auf das Notwendigste beschränkt werden. Für einen Tierversuch sollten nur so wenige Tiere wie absolut notwendig benutzt werden. Als ich während meines Studiums z. B. allgemeine Zoologie hatte, war es z. B. an unserer Uni so, dass immer zwei StudentInnen sich eine Maus geteilt haben anstatt dass jeder seine eigene Maus präpariert hätte. Dadurch konnte die Anzahl der benötigten Mäuse schon einmal halbiert werden.
  • refine: da, wo Tierversuche notwendig sind, sollen die Versuche so gestaltet werden, dass die Tiere möglichst wenig leiden. Außerdem müssen die Tiere tiergerecht gehalten werden, man darf Mäuse oder Ratten beispielsweise nicht einzeln halten.

Fest steht, dass wissenschaftlicher Fortschritt ohne das Tiermodell kaum denkbar wäre. Das gilt besonders für die Medizin. Ohne den Tierversuch gäbe es z. B. keine Medikamente, denn nur im Tierversuch zeigt sich, inwiefern ein Medikament wirksam ist und ob ein Wirkstoff verträglich ist oder unerwünschte Nebenwirkungen hervorrufen kann. In einem ganzen Organismus wirken Medikamente nun einmal ganz anders als in einer Gewebekultur.

Auch die Verhaltensbiologie kommt nicht ganz ohne kontrollierte Tierexperimente aus. In den allermeisten Fällen müssen die Tiere hier zum Glück nicht ihr Leben lassen. Oft machen die Tiere sogar freiwillig mit, weil sie dafür belohnt werden. Im Wolfgang-Köhler-Primatenforschungszentrum, das vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Enthropologie zusammen mit dem Zoo Leipzig betrieben wird, werden z. B. verschiedene kognitive Tests mit Menschenaffen durchgeführt. Alle Versuchsteilnehmer werden zur Teilnahme nicht gezwungen. Wenn ein Tier einmal keine Lust hat, ist das nicht schlimm und es gibt keine Bestrafung. Untersucht wird z. B. ob die Affen bestimmte kognitive Tests schaffen können (z. B. eine Erdnuss aus einem Glas zu holen, indem Wasser ins Glas gefüllt wird, wodurch die Nuss nach oben steigt und mit den Fingern herausgeholt werden kann) oder ob die Affen z. B. kooperativ zusammen arbeiten, wenn nur einer eine Belohnung kriegt und der andere leer ausgeht. Die gleichen Versuche werden auch mit Kindern durchgeführt und dann mit den Ergebnissen der Menschenaffen verglichen. Auf diese Weise erhoffen sich die ForscherInnen Rückschlüsse auf unsere eigene kognitive Evolution ziehen zu können.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Tierversuche sind ein Teil meiner Arbeit. Es ist mir Sicherheit nicht der liebste Teil und ich würde gerne darauf verzichten wenn es einen gleichwertigen Ersatz gäbe, doch einen solchen gibt es nicht. Und der Nutzen überwiegt die Kosten enorm.

Tierversuche sind für den wissenschaftlichen Fortschritt auf dem Gebiet der Biologie und Medizin schlicht unersetzlich. Egal ob Antibiotika, Schmerzmittel, Entzündungshemmer oder Bkutdrucksenker: Nichts davon gäbe es ohne Tierversuche. Ein aktuelles Beispiel sind die Covid-19 Impfstoffe, welche es ohne Grundlagenforschung am Tiermodell, wie auch Tests an Versuchstieren vor den klinischen Studien schlicht nicht gäbe.

Tierversuche sind die Grundlage der modernen Medizin und Biologie und retteten und retten damit Millionen Menschenleben. Sie sind streng reguliert und kontrolliert. Grundlage der Gesetzgebung auf dem Gebiet sind die 3R: Replacement, Reduction und Refinement. Diese schreiben bereits vor, dass jeder Tierversuch der durch eine Ersatzmethode ersetzt werden kann auch ersetzt werden muss (Replacement), dass die Zahl der Versuchstiere auf ein absolutes Minimum reduziert werden muss (Reduction) und dass jeder unnötige Leid verhindert werden muss (Refinement). Meiner Erfahrung nach werden diese Prinzipien auch angewandt und jedes unnötige Leid wird vermieden.

In Summe sind Tierversuche nur eine weitere Form der Nutztierhaltung und dabei sinnvoller und mit weniger Tierleid verbunden als die meisten (beispielsweise in der Fleisch-, Milch- oder Eierproduktion). Ein Großteil der Weltbevölkerung, darunter auch ich selbst und diverse Familienmitgleider, verdanken Tierversuchen auf die eine oder andere Art das Leben. Dementsprechend macht mir dieser Teil meiner Arbeit sicher nicht Spass, ich fühle mich dabei aber nicht schlechter als ein Bauer, Jäger oder Fischer bei der Ausübung seines Berufs.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Wissenschaftler/Molekularbiologe
Alexapolar 
Fragesteller
 26.10.2021, 21:14

Vielen vielen Dank für deine ehrliche Antwort! Bestimmt kannst du auch nicht mit jedem so offen darüber reden, weil die meisten ein falsches Bild gegenüber Tierversuchen haben. Bei mir zum Beispiel (auch wenn dass natürlich ne andere Geschichte ist) bekomme ich häufiger dumme Kommentare zu hören, meistens von Veganern aber manchmal sogar von Fleischessern weil ich regelmäßig angeln gehe und desshalb ja voll der Tierquäler währe! 🙄 Wichtig ist mir eigentlich nur, dass die Fische die ich fange einen kurzen Tot sterben und dabei möglichst wenig leiden müssen. Am Ende ist es ja auch irgendwie Teil der Natur, essen und gegessen werden und dass was ich so alles fange ist sehr viel gesünder als der Fisch im Supermarkt, oder ist der Wolf jetzt auch böse weil er ein Reh aus Hunger isst und sein Rudel ernähren muss? Wir Menschen haben dass Problem eben, dass viele Krankheiten, Körperliche oder Psychische hinzugekommen sind und sind halt in einer ähnlichen Situation wie der Wolf. Danke jedenfalls für deine lange Antwort und einen schönen Abend noch!

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Ein Wissenschaftler will forschen, und wo Tierversuche nötig sind, muss er das akzeptieren und aushalten. Wer das nicht kann, geht in einen anderen Bereich.

Man muss einfach das Herz so weit ausschalten, dass man die Notwendigkeit akzeptiert, dabei aber dafür sorgen, dass es den Tieren so gut wie möglich geht. Das macht ein Bauer nicht anders.