Welche Kurzgeschichten/Gedichte haben euch im Schulfach Deutsch so richtig gut gefallen?

10 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Eindeutig und mit großem Abstand "die lange, lange Straße lang" von Wolfgang Borchert. Daran hat sich bis heute nichts geändert.


Floflix 
Fragesteller
 25.07.2022, 21:01

Hi Kaenguruh, besten Dank für den Hinweis. Was fasziniert dich an der Erzählung?

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Kaenguruh  25.07.2022, 21:32
@Floflix

Wie immer bei Borchert, dessen Wortgewalt, die eher kurzen aber eindringlichen Sätze und die intensive Sprache, die Aliterationen, die Wortschöpfungen. Die Sprache, die oft in der Form bewusst kindlich ist und im krassen Gegensatz zum grauenhaften Inhalt steht. Zum Beispiel die teils nüchterne, fast mathematische, teils naive Beschreibung des Suizids Emilys. Der fugenähnliche Aufbau mit den Wiederholungen und manchmal makabren Variationen. So wird aus "56 haben sich bei Woronesch begraben" und "zickezacke jupheidi, schneidig ist die Infanterie", sowie dem Fußballplatz-Thema schließlich "56 haben sie begraben, unterm Fußballplatz, unterm Fußballplatz, jupheidi die Infanterie". Seine symbolische Verwendung von Farben "bierflaschengrün" und in Kombination mit dem Emily-Thema "emilygrün" oder die 'hoffnungsgelbe Straßenbahn". Seine bitteren Bilder, z.B. mit dem Leierkastenmann und seinen Figuren, die Pulver erfinden, mit denen man Tausende Menschen "tot machen kann". Oder die nüchterne und abgeklärte Schilderung der Kreuzigung Jesu.

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Floflix 
Fragesteller
 25.07.2022, 21:37
@Kaenguruh

viiielen Dank für deine Erläuterungen. Man spürt an deinen Worten, wie sehr du den Text magst!

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Kaenguruh  25.07.2022, 21:46
@Kaenguruh

Korrektur: die Kreuzigung wird nicht geschildert, sondern eher beiläufig erwähnt.

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Kaenguruh  26.07.2022, 11:24

Danke für das Sternchen!

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Deutsche Kurzgeschichten und Gedichte nein. Vielleicht Eichendorffs "Es war als hätt´ der Himmel die Erde still geküsst,..."

  • Aber das in deren Meinungen ersichtliche Unvermögen meiner Mitschüler*innen Eichendorffs "Taugenichts" (Novelle) zu verstehen: Diese Leichtigkeit des Zulassens seines Lebens in einem Gottvertrauen, was immer dieses auch sein könne. Das erinnerte mich an den befreienden Daoismus (das Ohne-tun), seltsamerweise nicht an den ankettenden Katholizismus (der Devotismus des/der Sünders*in). Und beim zehnten Abi-Treffen, dem einzigen, das ich besuchte, beschimpften mich die Kleingeister, ich hätte ja schon alles im Leben erreicht, was ich mir wünschte, ohne je dafür gekämpft zu haben, und sie müssten täglich dafür kämpfen und hätten noch immer nicht... Als ob sie wussten, ob ich mir etwas gewünscht hätte! Mein einziger Wunsch war immer, niemals so werden zu müssen wie diese...
  • Aber große Begeisterung erzielte in mir, kleine lateinische Gedichte (Ovid, Catull, Horaz) so ins Deutsche zu übersetzen, dass die Wortstellungen in den Sätzen gleichblieben. Erstaunlich wie die Römer sprachlich dachten! Als Deutscher versteht man durch eine derartige Übersetzung auf den ersten Blick sehr wenig.

Floflix 
Fragesteller
 26.07.2022, 09:27

Hi Skoph,

ich danke dir für deinen persönlichen und anschaulichen Kommentar. Das weckt in mir die Lust, mir mal einige deiner Textvorschläge vorzunehmen. Tatsächlich würde es mich mal reizen, etwas Kleineres von den "Römern" zu lesen. Erst kürzlich habe ich einige Episoden aus Ovids "Metamorphosen" gelesen. Faszinierend!

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Skoph  26.07.2022, 17:09
@Floflix

Bitte, bitte. Da ich als deutscher, älterer Erwachsener (61 laut Ausweis) - angeblich untypisch für deutsche Leser*innen - magisch-reale Texte liebe und schreibe, gefallen mir besonders Mythen (= Bildhafte emotionale Erklärungsversuche ohne Aufdeckungsversuche rational wissenschaftlicher Hintergründe) (Ovids Metamorphosen, Homers Odysseus, romantische Märchen-Sagen, auch so einige Opern-Libretti), Shakespeares und Ibsens Dramen und natürlich Dickens Roman "Große Erwartungen".

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Floflix 
Fragesteller
 26.07.2022, 17:17
@Skoph

Lieber Skoph, vielen Dank für deine Ergänzungen. Da liegen wir geschmacklich in etwa auf einer Wellenlänge. Es ist übrigens gar nicht so lange her, dass ich mal wieder Ibsens "Gespenster" in der Hand hatte. LG

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Mich hatte damals "Der Spiegel des Cyprianus" gepackt, bis heute unvergessen.

https://www.projekt-gutenberg.org/storm/cypri/cypri001.html

Theodor StormDer Spiegel des Cyprianus

Das Grafenschloß – eigentlich war es eine Burg – lag frei auf der Höhe; uralte Föhren und Eichen ragten mit ihren Wipfeln aus der Tiefe; und über ihnen und den Wäldem und Wiesen, die sich unterhalb des Berges ausbreiteten, lag der Sonnenglanz des Frühlings. Drinnen aber waltete Trauer; denn das einzige Söhnlein des Grafen war von unerklärlichem Siechtum befallen; und die vornehmsten Ärzte, die herbeigerufen wurden, vermochten den Ursprung des Übels nicht zu erkennen.

Im verhangenen Gemache lag der Knabe schlafend mit blutlosem Antlitz. Zwei Frauen saßen je zu einer Seite des Bettes, mit dem gespannten Blick der Sorge ihn betrachtend; die eine alt, in der Kleidung einer vornehmeren Dienerin, die andere, unverkennbar die Dame des Hauses, fast jung noch, aber die Spuren vergangenen Leides in dem blassen, gütevollen Angesicht.

In den schönsten Tagen ihrer Jugend hatte der Graf um sie, das wenig begüterte Fräulein, geworben; aber da schon nichts mehr fehlte als das ausgesprochene Wort, hatte er sich abgewandt. Eine reiche, schöne Dame, die dem armen Fräulein dem stattlichen Gemahl und dessen Herrschaft neidete, hatte den leichtblütigen Mann in ihrem Liebesnetz verstrickt; und während diese als Herrin in das Grafenschloß einzog, blieb die Verlassene in dem Witwenstübchen ihrer Mutter.

Aber das Glück der jungen Gräfin hatte keinen Bestand. Als sie nach Jahresfrist dem kleinen Kuno das Leben gegeben, wurde sie von einem bösen Kindbettfieber hingerafft; und als wiederum ein Jahr vorbei war, da wußte der Graf für sein verwaistes Söhnlein keine bessere Mutterhand als die, welche er einst verschmäht hatte. Und sie mit ihrem stillen Herzen vergab ihm alle Kränkung und wurde jetzt sein Weib.

So saß sie nun sorgend und wachend bei dem Kind ihrer einstigen Nebenbuhlerin. (.....)


Floflix 
Fragesteller
 18.07.2022, 13:33

Besten Dank für deinen Hinweis. Dieses Märchen von Storm kenne ich noch gar nicht. Lese ich mir die Tage mal durch und gebe dir dann eine Rückmeldung. Danke!

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SerenSaethu  18.07.2022, 13:43
@Floflix

Oh! Dankeschön! Aber vielleicht habe ich mich total vertan? Sollte es nur etwas Kurzes sein? Dann ist es Rainer Maria Rilke.

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,

die sich über die Dinge ziehn.

Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,

aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,

und ich kreise jahrtausendelang;

und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm

oder ein großer Gesang.

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Floflix 
Fragesteller
 18.07.2022, 13:56
@SerenSaethu

Oh ja, das ist ein grandioses Rilke-Gedicht. Ich kann mich an eine sehr schöne Vertonung aus dem Rilke-Projekt erinnern - mit der sonoren Stimme von Mario Adorf.

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SerenSaethu  18.07.2022, 14:09
@Floflix

Ja, Floflix, traumhaft. Wundervoll. Sehr lieben Dank für Deine Worte!

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Also mein absolutes Lieblingsgedicht ist "Das Eisenbahngleichnis" von Erich Kästner. Das find ich richtig toll. Davon gibt's auch ne Audio-Version auf Youtube. Hatte das Gedicht zwar nicht in der Schule lernen müssen, aber hab es privat entdeckt und da hat es mir sofort gefallen.

https://www.youtube.com/watch?v=o-CdS2qrmbo

In der Schule selbst hatten wir abgesehen vom Erlkönig leider keine Gedichte gelernt, sondern meist nur Kurzgeschichten wie "Das Brot" von Borchert, was ich aber auch nicht schlecht fand.

Ansonsten find ich die folgenden Gedichte auch noch sehr sehr gut:

  • "Nachtgedanken" von Heinrich Heine
  • "Kleines Solo" von Erich Kästner
Woher ich das weiß:Recherche

Floflix 
Fragesteller
 06.08.2022, 10:30

Vielen Dank für deine tollen Gedichtempfehlungen! "Das Eisenbahngleichnis" ist wirklich sehr berührend in seiner Stringenz und Nüchternheit. Mitreißend in seiner Rhythmik und Bildlichkeit. An Bocherts "Das Brot" und den "Erlkönig" erinnere ich mich auch noch sehr gerne. Die anderen Vorschläge muss ich mir mal wieder bei Gelegenheit durchlesen. Vielen Dank!

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Der Erlkönig.

Fand dieses Gedicht schon immer ganz toll. Ist nichts übertrieben tiefgründiges aber cool für Groß und Klein.


Floflix 
Fragesteller
 18.07.2022, 15:46

Da hast du recht. Bei dieser Ballade ist für jeden etwas dabei. Etwas Thrill, Spannung, Action, mystisch, rätselhaft - reißt einen mit. Danke!

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