Was soll dieses Gedicht bedeuten?
Kann mir jemand sagen, was mit dem Gedicht gemeint ist.
Was meint er damit :“Machen alle Parteien nach den Wahlen einen Ruck nach rechts“
Vor und nach den Wahlen (1928)von Kurt Tucholsky
Also diesmal muß alles ganz anders werden!
Diesmal: endgültiger Original-Friede auf Erden!
Diesmal: Aufbau! Abbau! und Demokratie!
Diesmal; die Herrschaft des arbeitenden Volkes wie noch nie!
Diesmal.
Und mit ernsten Gesichtern sagen Propheten prophetische Sachen:
»Was meinen Sie, werden die deutschen Wahlen im Ausland
für Eindruck machen!«
Und sie verkünden aus Bärten und unter deutschen Brillen
– wegen Nichtkiekenkönnens – den höchstwahrscheinlichen Volkeswillen.
Sprechen wird aus der Urne die große Sphinx:
Die Wahlen ergeben diesmal einen Ruck nach links.
So:
←
Diesmal werden sie nach den Wahlen den Reichstag betreten,
diesmal werden sie zum Heiligen Kompromisius beten;
diesmal erscheinen die ältesten Greise mit Podagra,
denn wenn die Wahlen vorbei sein werden, sind sie alle wieder da.
Diesmal.
Und mit ernsten Gesichtern werden sie unter langem Parlamentieren
wirklich einen Ruck nach links konstatieren.
Damit es aber kein Unglück gibt in der himmlischsten aller Welten,
und damit sich die Richter nicht am Zug der Freiheit erkälten,
und überhaupt zur Rettung des
deutsch-katholischen-industriellen Junkergeschlechts
machen nach den Wahlen alle Parteien einen Ruck nach rechts.
So:
→
Auf diese Weise geht in dem deutschen Reichstagshaus
alle Gewalt nebbich vom Volke aus.
2 Antworten
Links und rechts sind seit der Sitzordnung der Abgeordneten in der verfassungsgebenden französischen Nationalversammlung von 1789 zwei politische Begriffe für die politische Ausrichtung. Man nahm sich damals die Sitzordnung im englischen House of Commons zum Vorbild, wo die Regierungspartei rechts vom Speaker saß, gegenüber aber, wörtlich "in Opposition", also linker Hand die Partei der Opposition. Die frz. Aristokraten, die ein königliches Vetorecht forderten waren daher rechts vom Präsidenten, jene, die für für einen starken Volkswillen in der künftigen Verfassung waren und später die Revolutionäre wurden, saßen links.
Seither ist "rechts" in unserer Vorstellung konservativ, und je weiter rechts es geht, desto radikaler wird es bis zum Faschismus, während links alles ist, was eine Stärkung der sozialen Demokratie anstrebt. Linksaußen stünde dann der Kommunismus.
In deinen Tucholski-Zeilen wird sehr ironisch Kritik am seinerzeitigen, aber auch heute immer noch häufigen Parteienverhalten geübt: Zustimmung möglichst weiter Kreise suchen doch alle wahlwerbenden Parteien durch traumhafte Forderungen und Versprechen - damals bedeutete dies mehr ordentlich geregelte Demokratie auch für den Plebs, und das hätte einen Linksruck bedeutet. Nach der Wahl war jedoch alles wieder so wie zuvor. Ein Linksruck? Das wollte man doch nicht riskieren, also nach der 4. Reichstagswahl zurück an den Ausgang nach rechts, beinah so demokratisch wie die Reaktionsära nach der Märzrevolution ein 3/4 Jahrhundert zuvor.
Weißt du nicht, was im politischen Kontext rechts und links bedeuten? Und hast du noch nie gehört, dass politische Beobachter z.B. einer Regierung vorwerfen, einen Rechts- oder Linksruck vollzogen zu haben?
Duden | Rechtsruck | Rechtschreibung, Bedeutung, Definition, Herkunft