Was ist der Dreischritt zur Prüfung von Maximen (Kant) und was ist der Unterschied zum Regelutilitarismus?

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A) Prüfung von Maximen (Kant)

Eine von Kant selbst vorgenommene Bezeichnung „Dreischritt“ zur Prüfung von Maximen ist mir nicht bekannt. Gemeint ist offenbar ein sich in drei Schritten vollziehendes Verfahren zur Prüfung von Maximen.

Eine Maxime ist ein subjektiver Grundsatz. Eine Handlungsweise, die überlegt wird bzw. die probeweise als Entscheidung untersucht wird, kann beschrieben. Die Handlungsweise wird als allgemeiner Grundsatz (allgemeine Maxime des Willens) formuliert. Es wird überprüft, ob die Maxime widerspruchslos (sowohl auf das Denken als auch auf das Wollen bezogen) auf bestimmte Weise verallgemeinert werden kann (diese Anforderung wird vom kategorischen Imperativ ausgedrückt).

Das Vorgehen ist also:

1) Beschreibung einer überlegten Handlungsweise

2) Formulierung der Handlungsweise als allgemeiner Grundsatz (Maxime des Willens)

3) Überprüfung dieses allgemeinen Grundsatzes auf widerspruchsfreie Verallgemeinerbarkeit zu einem Gesetz als einem Bestandteil einer allgemeinen Gesetzgebung der Vernunft

Eine Maxime wird als dem kategorischen Imperativ entsprechend und daher moralisch richtig anerkannt, wenn sie in einer Verallgemeinerung sowohl widerspruchsfrei gedacht als auch widerspruchsfrei gewollt werden kann.

Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785. 2. Auflage 1786): Zweiter Abschnitt. Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten. AA IV, 422 - 424/BA 53 - 57 enthält vier Beispiele.

kann nicht widerspruchsfrei als allgemeine Maxime gedacht werden:

Jemand ist in Geldnot, kann sich Geld nur mit dem Verprechen borgen, es bis zu einer bestimmten Zeit zurückzuzahlen, kann dies aber gar nicht. Trotzdem hat es Lust, dies zu verprechen, um an das geld zu kommen.

Die Maxime einer solchen Handlungsweise ist, sich in Geldnot Geld mit dem Verprechen einer Zurückzahlung zu borgen, obwohl Wissen vorhanden ist, die Zurückzahlung werde niemals geschehen.

Als allgemeines Gesetz kann dies nicht gedacht und gewollt werden, weil es nicht mit sich selbst zusammenstimmen kann, sondern ein Widerspruch auftritt. Ein solches allgemeines Gesetz würde Versprechen und den mit ihnen verfolgten Zweck unmöglich machen. An die Erfüllung von Versprechen kann ja dabei vernünftigerweise nicht geglaubt werden. Menschen würden dabei auch zu bloßen Mitteln gemacht (wie eine Sache, an der sich jemand nach Belieben bedient gleich einer Geldbörse), obwohl sie als vernunftbegabte Wesen auch Zweck an sich selbst sind.

kann nicht widerspruchsfrei als allgemeine Maxime gedacht werden:

Jemand entdeckt in sich ein Talent/eine Begabung/eine Naturanlagen, befindet sich aber in bequemen Umständen und möchte sein Leben zum Genießen verwenden, statt sich um Erweiterung und Verbesserung seiner Begabungen zu bemühen, also bloß dem Vergnügen nachgehen und sein Talent/seine Begabung/seine Naturanlagen nicht ausbilden und verbessern.

Die Maxime ist, eine Entfaltung der eigenen Begabungen zu unterlassen und bloß dem Vergnügen nachzugehen.

Die Maxime nach Kants Auffassung zwar logisch widerspruchsfrei als Bestandteil einer allgemeinen Gesetzgebung der Vernunft gedacht werden, aber nicht widerspruchsfrei gewollt werden. Der Mensch würde sich Mittel vorenthalten, die für das Erreichen von eigenen Zwecken nützlich und förderlich sind. Wer Zwecke als eigene Ziele anstrebt, will als vernünftiges Wesen auch die Mittel, um diese erreichen zu können und sich nicht dieser Möglichkeiten berauben.

B) Unterschied zwischen Kants Ethik und dem Regelutilitarismus

Der Regelutilitarismus hat mit der Pflichtethik Immanuel Kants wirklich Ähnlichkeiten und steht ihr in manchen Hinsichten nahe (im praktischen Ergebnis kann er zumindest in starkem Ausmaß auf das, was eine Pflichtethik nach dem Ansatz von Immanuel Kant gutheißt, hinauslaufen). Der Regelutilitarismus ist aber ein Utilitarismus, woraus sich ergibt, von Kant in grundsätzlichen Ansätzen abzuweichen. Die Gegenüberstellung von Handlungsutilitarismus (act utilitarianism), bei dem sich die Beurteilung auf die Folgen einer einzelnen Handlung bezieht, und Regelutilitarismus (rule utilitarianism), bei dem für die Beurteilung Grundsätze für das Handeln/Handlungsregeln (Sekundärprinzipien genannt, da auf einer zweiten Ebene stehend) Bedeutung bekommen, die das auf einer ersten grundlegenden Ebene stehende (daher Primärprinzip genannt) ziemlich abstrakte Nützlichkeitsprinzip für die moralische Praxis in etwas konkretere, lehr- und lernbare Anleitungen umformen (die Sekundärprinzipien erhalten dabei eine eigenständige Verbindlichkeit), stammt aus dem 20. Jahrhundert.

Regelutilitarismus hält die Beachtung von Handlungsregeln/Grundsätzen des Handelns für wichtig, weil dadurch moralische Entscheidungen besser voraussehbar sind und für Personen größere Verläßlichkeit und Erwartungssicherheitgeschaffen werden.

Die Regel wird im Regelutilitarismus aufgrund des größeren Gesamtnutzens als verbindlich begründet, weil eine nicht zuverlässige Regelbefolgung schädliche Folgen für die Gesellschaft und die Beziehungen der Personen in ihr hat.

Unterschiede zwischen der Pflichtethik Kants und dem Regelutilitarismus

  • Art der Beurteilung, was in ethischer Hinsicht gut ist: Regelutilitarismus ist wie jeder Utilitarismus ein Konsequentialismus. Die Beurteilung, was in ethischer Hinsicht gut ist, hängt von den (absehbaren/zu erwartenden) Folgen einer Handlung ab. Kants Ethik ist dagegen kein Konsequentialismus, sondern eine deontologische Ethik und zwar eine Pflichtethik. Bei Kant wird die Maxime einer Handlung beurteilt. Was als uneingeschränkt gut gelten kann, tritt als guter Wille auf. Dies bedeutet nicht, bloße Gesinnung sei ausreichend und ein Bemühen um eine Verwirklichung der guten Absichten sei nicht erforderlich. Aber die Folgen sind für die moralische Beurteilung nicht ausschlaggebend.
  • Kriterium des Guten: Beim Regelutilitarismus ist letztlich der Nutzen/die Nützlichkeit Kriterium/Maßstab des Guten. Bei Kant gibt es kein solches außermoralisches Kriterium als entscheidende Begründung, sondern die moralischen Grundsätze werden um ihrer selbst willen befolgt (die Gesetzesförmigkeit als allgemeine Gesetzgebung der Vernunft macht das Moralische aus).
  • Frage unbedingter Geltung: Im Regelutilitarismus haben Regeln (Sekundärprinzipien) eine eigenständige Verbindlichkeit, ihre Geltung wird aber durch ihre nützlichen Folgen gerechtfertigt und ist damit ein Stück weit durch diese bedingt und von ihnen abhängig. Der kategorische Imperativ enthält dagegen ein unbedingtes Sollen, eine verbindliche Pflicht, deren Geltung nicht von einem anders gelagerten Prinzip abhängt. Beim Regelutilitarismus gibt es zwei Ebenen, auf einer Ebene der Anwendung/Befolgung ähnelt er stark einer Pflichtethik, auf einer Ebene der grundsätzlichen theoretischen Begründung/Rechtfertigung argumentiert er dagegen mit den Folgen und verwendet Nützlichkeit als Gesichtspunkt.
  • Verhältnis zu Glück, Lust, Neigung und Empfindung: Wenn Regelutilitarismus sich nicht ganz von den Bahnen des klassischen Utilitarismus entfernt, ist er ein Eudaimonismus (Nutzen wird als Glückseligkeit, griechisch εὐδαιμονία [eudaimona], bestimmt, die das höchstes Gut ist und als Ziel menschlichen Handelns gilt) und ein Hedonismus (von griechisch ἡδονή [hedone] = Lust; der Nutzen wird als Empfindungsglück bestimmt und dieses als Lust bzw. Freude, Annehmlichkeit, Gefälliges oder Ähnliches). Damit kommt ein rigoroses Heraushalten von Neigungen, die bei Kant Ethik im moralisch richtigen Handeln nicht der Beweggrund sein können, oder Ähnlichem (Empfindungen, Leidenschaften, Begehren) aus dem als moralisch anerkannten Handeln beim Regelutilitarismus nicht vor. Kant hält Glückseligkeit für ein Gut. Das höchste Gut besteht nach seiner Auffassung in der Übereinstimmung von Glückseligkeit und Glückswürdigkeit, bei der die Tugendhaften entsprechend ihrer Tugend belohnt werden. Glückseligkeit ist aber nach seiner Überzeugung als Grundlage einer Ethik ungeeignet.