War Solon der erste Demokrat Athens?

1 Antwort

Solon ist nicht der erste Demokrat Athens gewesen. Die athenische Demokratie ist später entstanden. Für den Begriff «Demokratie» gibt es erst im 5. Jahrhundert v. Chr. Belege. Die Entwicklung der Sache ging der Bezeichnung als Demokratie voraus. Die von Kleisthenes geschaffene politische Ordnung kann als eine Frühform der Demokratie verstanden werden. Es werden auch spätere Datierungen für den Beginn der Demokratie vertreten, als Zeitpunkte, zu denen das Volk in den politischen Einrichtungen tatsächlich starke Macht auszuzüben begann, z. B. erst ab 462/461 v. Chr., also erst kurz vor Mitte des 5. Jahrhunderts.

Solon kann nur als Wegbereiter eingestuft werden, der in die Vorgeschichte der athenischen Demokratie gehört. Er hat einen Beitrag zur Entwicklung geleistet, die später Demokratie hervorbrachte.

Als Pro-Argument kann nur etwas angegeben werden, das für eine stichhaltige Begrüdnung nicht ausreichend ist.

Pro-Argumente

  • antike Aussagen, die Solon als Begründer der Demokratie bezeichnen: Aristoteles, Athenaion Politeia 9, 1 werden einige Dinge an Solons Verfassung als äußerst demokratisch/volksfreundlich (δημοτικώτατα) beurteilt. Aristoteles, Athenaion Politeia 41, 2 nennt eine Änderung der Verfassung durch Solon als Ursprung der Demokratie. Aristoteles, Politik 3, 12, 1273 b 35 – 1274 a 22 wird Solons politische Tätigkeit erörtert und eine Aussage wiedergegeben, er habe die väterliche/von den Vorfahren herrührende/herkömmliche Demokratie begründet/geschaffen/hergestellt und auf schöne Weise eine gemischte Verfassung herbeigeführt, dem aber entgegengehalten, Solon habe nur vorhandene aristokratische und oligarchische Elemente nicht beseitigt und dem Volk die notwendigste Macht gegeben, Personen in Ämter zu wählen und mittels Rechenschaftsablegung zu kontrollieren (sonst wäre das Volk unfrei und feindselig gewesen), die Ämter aber aus den Vornehmen und Wohlhabenden besetzt. Aristoteles, Politik 6, 4, 1319 b 21 – 22 wird behauptet, Kleisthenes habe die Demokratie vermehrt, was eine in gewissem Ausmaß schon einmal in Athen verwirklichte Demokratie voraussetzt.
  • Teilnahmerecht an der Volksversammlung (ἐκκλησία [ekklesia]) für alle erwachsenen männlichen athenischen Bürger
  • Teilnahmerecht an der Heliaia (ἠλιαία) – ein Volksgericht, offenbar ein Berufungsgericht, wenn jemand gegen eine Rechtsprechung Einspruch einlegte - für alle erwachsenen männlichen athenischen Bürger
  • Einrichtung der Popularklage: Alle Bürger, auch nicht Betroffene, konnten gegen die Urteile der Thesmotheten (oberste Gerichtsherren) und der Beamten klagen

Contra-Argumente

  • Abstufung politischer Rechte (darunter Zugang zu Ämtern und Wahlrecht für verschiedene Einrichtungen) und Pflichten nach Vermögensklassen, also nach Menge des Einkommens/Besitzes festgelegt: In die höchsten Ämter (z. B. die Archonten) waren nur die Reichsten wählbar, die Ärmsten (die sogenannten Theten) waren in keine Ämter wählbar. Eine solche Verfassung ist in der Antike später als Timokratie (τιμοκρατία [timokratia]) bezeichnet worden. In ihr gab es keine Gleichheit der politischen Rechte.
  • tatsächliches Fortbestehen eines (wenn auch von Solon ein Stück weit eingeschränkten) Übergewichts der Adligen
  • Eunomie (εὐνομία [eunomia]/εὐνομίη [eunomie] = Wohlordnung, gute Ordnung) als politische Leitvorstellung Solons, nicht Demokratie
  • Solons Ablehnung eines genau gleichen Anteils und sein Selbstverständnis einer Zügelung des Volkes: Nach Ausschnitten aus eigenen Gedichten hat Solon sich als jemand verstanden, der eine ausgewogene Ordnung schuf, allen die ihnen zustehenden Rechte gab, aber nicht mehr, ein Mittler zwischen Vornehmen und Reichen (dem Adel) einerseits und dem einfachen Volk/den Armen andererseits, beide Seiten schützend und an Überheblichkeit und Zügellosigkeit hindernd. Solon lehnt Anteilsgleichheit (ἰσομοιρία [isomoiria]) ab. Das, was dem Volk nach seiner Auffassung zukommt, ist nicht völlige Freiheit und politische Gleichberechtigung.
  • Zurückgehen antiker Äußerungen über Solon als Begründer von Demokratie auf Gegenwartsinteressen späterer antike Autoren, die statt eine genaue geschichtliche Einschätzung zu geben ziemlich willkürlich Begriffe verwenden: Tradition verschaffte damals Legitimation. So wurden anerkannte Personen der Vergangenheit (wie Solon) mit Demokratie verbunden, bis hin zum sagenhaften König Theseus, einer Person des Mythos. Eine „väterliche Verfassung“ (πάτριος πολιτεία [patrios politeia]) kam als Schlagwort vor. Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. beriefen sich oligarchische Gegner der athenischen Demokratie unter anderem darauf, zur Verfassung Solons zurückkehren zu wollen. Im 4. Jahrhundert v. Chr. ist manchmal die Demokratie der Gegenwart als späte und extreme Ausprägung von Demokatrie hingestellt worden.

Aristoteles, Athenaion politeia 12, 2 - 3

Aristoteles, Staat der Athener. Übersetzt und eingeleitet von Mortimer Chambers. Berlin : Akademieverlag, 1990 (Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung ; Band 10, Teil 1), S. 20 - 22:  
„Dann wieder spricht er über das Volk, wie es zu behandeln sei:
„So dürfte das Volk am besten seinen Führern folgen:
Man gebe ihm nicht zuviel Freiheit, noch unterdrücke man es gewaltsam:
denn Überfluß bewirkt Hochmut, wenn großer Reichtum begleitet,
solche Menschen, die keine vernünftigen Einstellung haben.“
„Irgendwo an anderer Stelle wieder redet er über diejenigen, die das Land verteilen wollen:
„Die aber zum Raub kamen, hatten übertriebene Hoffnung:
Jeder von ihnen glaubte, er werde großen Reichtum erlangen,
und ich würde, mit glatten Worten schmeichelnd, einen grausamen Sinn enthüllen.
Töricht waren damals ihre Gedanken, und jetzt, wütend auf mich,
sehen mich alle mit schrägen Augen an, als wäre ich ihr Feind.
Unrecht ist dies; denn was ich versprach, vollbrachte ich mit Hilfe der Götter.
Anderes versuchte ich nicht vergebens zu erreichen,
auch freut es mich nicht, etwas durch die Gewalt des Tyrannen zu leisten,
auch nicht, daß die Edlen den gleichen Anteil an der ertragreichen Erde des Vaterlandes wie die Schlechten besitzen sollen.“
[…]

Ein anderer, der wie ich den Stachel erhalten hätte,
ein schlechtgesinnter und geldgieriger Mensch,
hätte das Volk nicht gezügelt; denn, hätte ich gewollt,
was den Volksfeinden damals gefiel,
oder aber, was die Massen ihnen zugedacht hatten,
dann wäre diese Stadt vieler Männer beraubt worden.
Deshalb drehte ich, der ich mich nach allen Seiten verteidigte,
mich hin und her wie ein Wolf, den eine Hundeschar in die Enge treibt.“
Und wieder (anderswo) tadelt er die spätere Unzufriedenheit beider Parteien:

„Wenn ich das Volk offen tadeln muß.  
Was sie heute besitzen, hätten sie mit ihren Augen  
Nicht einmal im Traum gesehen.  
Und jene, die größer und an Macht überlegen sind,  
sollten mich loben und als ihren Freund ansehen.“
Denn hätte ein anderer, so sagt er, dieses hohe Amt erlangt,  
„hätte er das Volk nicht gezügelt und nicht geruht,  
bis er es aufgewiegelt und den Rahm von der Milch abgeschöpft hätte.
Ich aber stand wie ein Grenzstein fest,  
mitten im Kampf zwischen beiden Seiten.““

Aristoteles, Athenaion politeia 41, 2

Aristoteles, Staat der Athener. Übersetzt und eingeleitet von Mortimer Chambers. Berlin : Akademieverlag, 1990 (Aristoteles, Werke in deutscher
Übersetzung ; Band 10, Teil 1), S. 45 (über Änderungen der athenischen
Verfassung):  
„Die dritte (war) die, die unter Solon den Bürgerunruhen
folgte, aus der der Ursprung der Demokratie entstand. Die vierte (war)
die Tyrannis unter Peisistratos. Die fünfte (war) die des Kleisthenes,
die dem Sturz des Tyrannen folgte und demokratischer als (diejenige)
Solons (war).

Plutarch, Solon 16, 2

Plutarch, Große Griechen und Römer. Band 1. Eingeleitet und übersetzt von Konrat Ziegler. Übersetzung der Biographie des Themistokles von Walter Wuhrmann. Zürich ; Stuttgart : Artemis-Verlag, 1954 (Die Bibliothek der Alten Welt : Griechische Reihe), S. 230:  
„Dabei sagt er, wenn ein anderer die gleiche Macht gehabt hätte, so hätte er  
«beschwichtigt nicht das Volk und eher nicht gerastet,  
als bis er schüttelnd abgeschöpft den fetten Rahm.»“

Plutarch, Solon 18, 4 - 5

Plutarch, Große Griechen und Römer. Band 1. Eingeleitet und übersetzt von Konrat Ziegler. Übersetzung der Biographie des Themistokles von Walter
Wuhrmann. Zürich ; Stuttgart : Artemis-Verlag, 1954 (Die Bibliothek der
Alten Welt : Griechische Reihe), S. 231 - 232:  
„«Ich gewährte dem Volk soviel Gewalt, wie ihm zukommt.  
Nahm seiner Würde nichts weg, fügte auch keine hinzu.  
Wiederum ließ ich nicht zu, daß die reichen und mächtigen Herren  
mehr sich nähmen als das, was ihnen rechtens gebührt.  
Also bewehrte mit starkem Schild ich beide Parteien.  
Daß nicht wider das Recht eine die andere bedrückt.»  
Da er es jedoch für nötig hielt, die Schwäche der kleinen Leute noch mehr
Beistand zu leisten, so gab er jedem das Recht, für jeden, dem Unrecht
geschehen war, das Gericht anzurufen. Wenn ein anderer geschlagen,
mißhandelt oder oder geschädigt worden war, so stand es jedem, der das
konnte und wollte, frei, den Beleidiger anzuklagen und zu belangen,
womit der Gesetzgeber sehr mit Recht die Bürger gewöhnen wollte, sich
gleichsam als Glieder eines Körpers zu fühlen und miteinander zu
empfinden.“

Jochen Bleicken, Die athenische Demokratie. 2., völlig
überarbeitete und wesentlich erweiterte Auflage. Paderborn ; München ;
Wien ; Zürich : Schöningh, 1994, S. 26:   
„Solon war angetreten, um in einer Welt, in der nicht mehr alles zum besten stand, die zerstrittenen Gruppen zu versöhnen und sie wieder in die staatliche Ordnung (Eunomie, „Wohlordnung“) zurückzuführen. Er stürzte dabei die überkommenen Einrichtungen und Werte nicht um; von einem demokratischen Geist, den eine spätere Zeit in seinem Werk walten sah, ist nichts zu spüren. Im Gegenteil, die Gleichheit (isomoiría, „gleicher Anteil“) war Solon ein Greuel, jeder hat, so sah er es, eine ihm zugemessene Stelle innerhalb der Gesellschaft, und nur diese, die in den Unruhen der Vergangenheit gefährdet war, wollte er zurückgeben.“
Vgl. auch S. 442

Mischa Meier, Solon II. Der Staatsmann. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 11: Sam -Tal. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2001, Spalte 707:  
„Im Alt. galt S. spätestens seit dem 4. Jh. v. Chr. als
Begründer der Demokratie in Athen (→ dēmokratía), die mod. Forschung
schwankt sehr in ihrem Urteil. Während seine prägende Rolle bei der
Grundlegung demokratischer Institutionen gering eingeschätzt wird (in
Gegensatz zu → Kleisthenes [2] und → Ephialtes [2]), werden seine
Leistungen für die Demokratie […] v. a. im Bereich der Förderung einer
kollektiven «Polismentalität» bzw. eine Politisierung aller Athener
weitgehend anerkannt […]. Ebenso steht dem Bild als Förderer bes. des
Kleinbauernsystems, das eines Vertreters vornehmlich adliger Interessen
gegenüber [….].“

Alt. = Altertum  
S. = Solon  
Jh. = Jahrhundert  
mod. = moderne  
v. a. = vor allem

NetterGau  10.10.2023, 15:55

D. h. sie konnten nur aus den Reichen wählen?

"Solon habe nur vorhandene aristokratische und oligarchische Elemente nicht beseitigt und dem Volk die notwendigste Macht gegeben, Personen in Ämter zu wählen und mittels Rechenschaftsablegung zu kontrollieren (sonst wäre das Volk unfrei und feindselig gewesen), die Ämter aber aus den Vornehmen und Wohlhabenden besetzt."

"Teilnahmerecht an der Heliaia (ἠλιαία) – ein Volksgericht, offenbar ein Berufungsgericht, wenn jemand gegen eine Rechtsprechung Einspruch einlegte -" War das Volksgericht nicht dafür da, gegen Archonten / Schatzmeister zu klagen?

  • "tatsächliches Fortbestehen eines (wenn auch von Solon ein Stück weit eingeschränkten) Übergewichts der Adligen

" wieso?

"Tradition verschaffte damals Legitimation. So wurden anerkannte Personen der Vergangenheit (wie Solon) mit Demokratie verbunden, bis hin zum sagenhaften König Theseus, einer Person des Mythos. Eine „väterliche Verfassung“ (πάτριος πολιτεία [patrios politeia]) kam als Schlagwort vor. Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. beriefen sich oligarchische Gegner der athenischen Demokratie unter anderem darauf, zur Verfassung Solons zurückkehren zu wollen. Im 4. Jahrhundert v. Chr. ist manchmal die Demokratie der Gegenwart als späte und extreme Ausprägung von Demokatrie hingestellt worden."

Inwiefern war es eine "väterliche Verfassung"?

Warum beriefen sich gerade oligarchische Gegner darauf?

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NetterGau  10.10.2023, 15:56
@NetterGau

"„«Ich gewährte dem Volk soviel Gewalt, wie ihm zukommt.  

Nahm seiner Würde nichts weg, fügte auch keine hinzu.  

Wiederum ließ ich nicht zu, daß die reichen und mächtigen Herren  

mehr sich nähmen als das, was ihnen rechtens gebührt.  

Also bewehrte mit starkem Schild ich beide Parteien.  

Daß nicht wider das Recht eine die andere bedrückt.»  " wie fasst Solon das auf?

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Albrecht  11.10.2023, 02:03
@NetterGau

Die Adligen (reiche und mächtige Herren) bekommen mehr politische Rechte, aber auch das arme einfache Volk hat einige politische Rechte. Diese Abstufung gilt als eine gute und richtige Odrnung. Beide Seiten sollen nicht davon abweichen und nicht versuchen, sich mehr zu nehmen und die andere Seite zu bedrängen und unterdrücken.

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