Urotropin Titration?

1 Antwort

Urotropin (CH₂)₆N₄ reagiert mit Wasser unter langsamer Hydrolyse zu Methanal und Ammoniak (deshalb riecht es auch so pissig):

(CH₂)₆N₄ + 6 H₂O ⟶ 6 CH₂O + 4 NH₃

Die Reaktion ist aber langsam und unvollständig. Um das Urotropin vollständig um­zusetzen, gibt man Säure dazu (verschiebt das Gleichgewicht) und kocht, bis die Reaktion fertig ist:

(CH₂)₆N₄ + 6 H₂O + 4 HCl ⟶ 6 CH₂O + 4 NH₄⁺Cl¯

Die Vorschrift funktioniert also so: Zuerst wiegt man m Gramm Urotrpoin ein (Stoff­menge ist also m/M) und läßt mit V₁ ml einer c₁ mol/l Salzsäure zu NH₄Cl reagieren. In letz­te­rer sind c₁V₁ mol HCl enthalten, davon bleiben c₁V₁−4m/M übrig (jedes Mol Uro­tro­pin verbraucht ja 4 mol HCl). Bei der Rücktitration dieses HCl-Überschusses ver­braucht man dann V₂ ml ei­ner c₂ mol/l NaOH, also gilt

c₁V₁−4m/M = c₂V₂         ⟹         m = ¼M(c₁V₁−c₂V₂)

Das ist also die Masse Urotropin, die wirklich in Deiner Probe enthalten war. Wenn Du das noch durch die gemessene Einwaage dividierst, hast Du sofort den Massenanteil.

P.S.: Wir wollen uns also noch ansehen, wie die Titrationskurve aussieht. Wenn Du mit der Titration beginnst, schwimmen in der Lösung H₃O⁺, NH₄⁺ plus nutzlose Cl¯ herum.

  1. Es sieht auf den ersten Blick so aus, als ob Du nur HCl mit NaOH titrierst, aber das stimmt nur bis zum Äquivalenzpunkt, weil es da sauer ist und NH₄⁺ im Sauren nichts tut.
  2. Nach dem Äquivalenzpunkt sieht das aber anders aus. Da ist die Suppe basisch, und im basischen wird NH₄⁺ zu NH₃ deprotoniert. Du bekommst also eine Mi­schung aus NH₄⁺ und NH₃, das ist ein Puffer, und der pH bleibt lange im Bereich des pKₐ-Wertes von NH₃ (pKₐ=9.25) eingefroren, weil der Puffer den pH-Anstieg bremst.
  3. Langfristig wird sich der pH im Titrationskolben natürlich dem der Maßlösung (pH=​13) angleichen, aber dazu würdest Du unfaßbare Mengen an Maßlösung brau­chen, geschätzt gut einen Viertelliter (diese Schätzung war ziemlich falsch, siehe unten)

Deshalb dürftest Du hier auch keinen Indikator nehmen, der im Basischen um­schlägt (z.B. Phenolphthalein), sondern einen, der bereits im leicht Sauren (deutlich unter 8) umschlägt, weil der Äquivalenzpunkt nicht mehr bei Neutral liegt.

Wenn ich annehme, Deine Probe bestehe zu 100% aus Urotropin, dann liegt der Um­schlagpunkt wie in der Graphik bei 5.026 ml, realerweise wird das Urotropin aber viel­leicht nur 98%ig sein, was einen Äquivalenzpunkt bei 5.43 ml ergeben würde, aber nicht viel an der Kurvenform ändert.

Bild zum Beitrag

In der Graphik zeige ich Dir die Titrationskurve (dick, schwarz) und ihre erste Ablei­tung (weiß); die dünne schwarze Kurve ist die hypothetische Titrationskurve, die Du bekommen würdest, wenn kein NH₄⁺ anwesend wɑe (also nur starke Säure mit star­ker Base titriert). Die Hintergrundfarben zeigen, wieviel NH₄⁺ (rot) und NH₃ (blau) in der Lösung jeweils vorliegen — Du siehst also, daß NH₃ ab dem Äquivalenzpunkt ent­steht und dann sofort einen Puffer mit dem restlichen NH₄⁺ bildet.

P.P.S.: Jetzt hat es mir keine Ruhe gelassen, und ich wollte noch der Frage nach­ge­hen, wann der NH₃/NH₄⁺-Puffer des Kolbeninhaltes endlich bricht und der pH folglich ungehindert ansteigen kann. Dazu müssen wir einfach nur stark übertitrieren:

Bild zum Beitrag

Das ist dieselbe Titration wie vorher, nur weiter titriert, auch die Bedeutung der ver-- schie­denen Elemente in der Graphik ist dieselbe. Bei ungefähr 25 ml ist das ganze Ammonium verbraucht (alles zu NH₃ deprotoniert), und danach kann der pH ungehin­dert ansteigen. Im pH-Verlauf gibt das einen zweiten, sehr wackeligen „Äqui­valenz­punkt“, der allerdings so schwach ist, daß er mit einem Indikator nicht scharf detek­tiert werden kann; einen solchen Kurvenverlauf würdest Du auch finden, wenn Du rei­nes NH₄Cl mit NaOH zu titrieren versuchtest; praktisch ist das aber nicht durchführ­bar, weil der Äquivalenzpunkt zu verwaschen ist. Die erste Ableitung der Titrations­kurve zeigt ein sehr schwaches, breites Maximum (um das zu sehen, habe ich die Kurve um den Faktor 150 vergrößert).

Die dünn gezeichnete Kurve ist wieder die einer starken Säure mit einer starken Base, also ohne Ammoniak oder Ammonium in der Lösung. Du siehst deutlich, wie die An­wesenheit von NH₄⁺ im Bereich von ca. 5 ml bis 35 ml den pH erniedrigt (NH₄⁺ ist ja eine Säure).

 - (Reaktionsgleichung, ph-Wert, Säuren und Basen)  - (Reaktionsgleichung, ph-Wert, Säuren und Basen)
Lamees436 
Fragesteller
 31.08.2023, 14:04

vielen Dank für ihre Antwort. Ich habe noch eine Frage, wenn ich die Titrationkurve zeichnen will, kann ich einfach wie starke Säure mit Starke Base zeichnen?

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indiachinacook  31.08.2023, 15:05
@Lamees436

Nein, leider nicht, weil das NH₄⁺ stört. Ich setze in ein paar Minuten eine Titrationskurve plus ausführlicher Erklärung in die Antwort (Graphiken kann man nur in die ANtwort, nicht in Kommentare, einbinden).

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indiachinacook  31.08.2023, 15:43
@indiachinacook

Leider hat das doch etwas länger gedauert, weil ich mich zuerst ver­rechnet hatte und dann zu allem Unglück das makedonische Internet hier Schluck­auf bekam. Hoffentlich stimmt es jetzt.

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Lamees436 
Fragesteller
 31.08.2023, 16:52
@indiachinacook

Aber wie kann man pH- Wert bei Äquivalentspunkt berechnen ( also mit Formel pH=pks +lgc(base)\c(säure) kannst du das mehr erklären?

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indiachinacook  31.08.2023, 17:09
@Lamees436

Ich habe noch ein paar Ergänzungen an der Antwort vorgenommen.

Um den pH am Äquivalenzpunkt auszurechnen, mußt Du zuerst einmal verstehen, wie die Lö­sung am Äquivalenzpunkt zusammengesetzt ist, und dazu müssen wir zurück­gehen und uns fragen, was wir eigentlich alles in den Kolben hineingeschüt­tet haben, und wieviel.

Die 0.25 g Urotropin sind ca. n=m/M=2.5 mmol Urotropin und liefern bei der sau­ren Hydro­lyse viermal soviel also 10 mmol NH₄⁺; davon nehmen wir ⅕ in den Kol­ben, also 2 mmol. Diese 2 mmol haben wir am Äquivalenzpunkt immer noch im Kol­ben, aber in ins­gesamt 50 ml Wasser gelöst, also c(NH₄⁺)=n/V=0.04 mol/l.

Außer dem Ammonium ist aber nichts im Kolben, was auf den pH einwirkt, denn die HCl und die NaOH haben ja genau vollständig miteinander regiert und nichts übriggelassen außer NaCl, das aber nicht pH-aktiv ist.

Also liegt am Äquivalenzpunkt einfach eine 0.04 mol/l NH₄Cl-Lösung vor (plus un­wich­tiges NaCl), das ist eine schwache Säure also pH=½(pKₐ−lg(c))=5.32

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Lamees436 
Fragesteller
 31.08.2023, 17:40
@indiachinacook

Urotropin Titration ist wie ASS Titration, aber die Unterschied dazwischen ( Beim pH berechnen) ist NH4+ und Ammoniak, die als Puffersystem wirkt

kannst du bitte auch bei ASS-Titration pH- berechnen erklären?

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indiachinacook  31.08.2023, 17:42
@Lamees436

Stell eine neue Frage und zitiere dabei die Vorschrift ganz genau (so wie bei dieser Frage hier).

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Lamees436 
Fragesteller
 04.09.2023, 17:38
@indiachinacook

Deine Antworten sind immer fachlich exzellent und dennoch so verständlich geschrieben. Ich danke dir von Herzen. Und ich hoffe, dass du mir weiterhilfst

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