Stromstärke und Spannung im Hertzschen Dipol?

1 Antwort

Die Ladungsträger (Elektronen, aber das Vorzeichen spielt hier keine Rolle) können an den Enden des Dipols nicht weiterfließen und auch nicht von dort herkommen. (Wenn man es ganz genau nimmt, gerade noch von dort, aber nicht von weiter außen, aber das ist eine so dünne Schicht, dass sie keine Rolle spielt.)

Also stauen sich die Ladungsträger an den Enden. Und bilden dort eine Gegenspannung, die dafür sorgt, dass der Stau in Richtung Ende immer schlimmer wird.

Die Mitte ist am weitesten weg von den Enden (welch Überraschung), also können die Ladungsträger sich dort am besten bewegen. Das bedeutet, dass dort der Strom am größten ist.

Üblicherweise schwingt ein Dipol symmetrisch (genauer "antisymmetrisch") - wenn wir 3/4 der Strecke von der Mitte zum Ende A gehen, haben wir dort z. B. einen Ladungsträgermangel, und dieser ist exakt so groß wie der Ladungsträgerüberschuss, den wir finden, wenn wir 3/4 der Strecke von der Mitte zum Ende B gehen. Bei einer solch antisymmetrischen Ladungsverteilung sind auch die Potentiale antisymmetrisch verteilt. Der Mitte bleibt damit nichts anderes übrig, als immer das Potential 0 zu haben. (Potential: Spannung gegenüber Erde/Masse/Aufhängung)

Noch mal zum Vorzeichen der Ladungsträger: Das Fehlen eines Elektrons entspricht praktisch exakt dem Vorhandensein eines gleich großen positiven Ladungsträgers, und das Vorhandensein eines überschüssigen Elektrons entspricht praktisch exakt dem Fehlen eines positiven Ladungsträgers. (Nicht ganz exakt, aber die Elektronenmasse ist so gering, dass sie vernachlässigt werden kann, zumal nur ein winziger Bruchteil der Elektronen überhaupt am Stromfluss teilnimmt.) Deshalb kommt es auf das Vorzeichen der Ladungsträger nicht an.

Zur Spule / Induktivität: Natürlich hat auch ein gerader Draht eine Induktivität. Aber die hemmt den Stromfluss nur, verhindert ihn aber nicht. Wegen dieser Hemmung haben wir keinen unendlich großen Strom. Aber die Induktivität ist ja nicht die einzige Hemmung - an den Enden kommen die Ladungsträger überhaupt nicht weiter (außer durch Koronarentladungen oder gar Funkenstrecken - das erfordert aber sehr hohe Spannunen).

Nochmal zu Spannung in der Mitte gleich null: Es gibt auch andere "Schwingungsmoden", bei denen Strom und Spannung asymmetrisch (weder symmetrisch noch antisymmetrisch) verteilt sind. Da ist die Spannung in der Mitte natürlich nicht (dauerhaft) null. Aber alle Moden sind gedämpft, und das umso stärker, je "höher" sie sind (d. h. je mehr "Knoten" und "Bäuche" Spannung und Strom ausbilden - siehe "stehende Welle"). Deshalb werden alle Moden, die nicht der Grundmodus sind, im Verhältnis sehr schnell praktisch ausgelöscht.

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harukotakawa 
Fragesteller
 28.05.2022, 15:32

danke für die ausführliche Antwort! Aber inwiefern bildet sich eine Gegenspannung an den Enden?

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PWolff  28.05.2022, 15:34
@harukotakawa

Elektronen fließen vom Ende A in Richtung Mitte und von der Mitte in Richtung Ende B.

Damit haben wir am Ende A einen Elektronenmangel und am Ende B einen Elektronenüberschuss.

Also haben wir ein elektrisches Feld, das von Ende A zu Ende B zeigt. Das entspricht einer Spannung zwischen Ende A und Ende B, mit "Pluspol" bei Ende A. Dieses Feld zieht die Elektronen wieder zurück in Richtung Ende A.

(Bei der nächsten Halbwelle anders herum)

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Multinity  24.11.2022, 17:17
@PWolff

Hi, wenn aber eine Spannung zwischen Ende A und Ende B anliegt, müsste sich diese Spannung dann nicht auf alle Elektronen des Dipols auswirken? Nach dieser Vorstellung müsste dann der Stromfluss im ganzen Leiter gleich groß sein. Warum ist der Stromfluss der Elektronen kurz vor Ende B so gering, wenn alle Elektronen noch bei Ende A gestaut sind? Klar legen sie eine viel geringere Strecke zurück, aber der Stromfluss ist doch genau so groß wie im Rest des Leiters, denn die Elektronen müssen keine Trägheit überwinden o. Ä.. Wenn man sich einen geladenen Kondensator vorstellt, der durch einen Leiter verbunden wird, dann hätte man doch auch überall den gleichen Stormfluss oder? Inwiefern unterscheiden sich die beiden Fälle voneinander?

Warum ist zudem das Bild der Spannung am Dipol in Abhängigkeit von dem Ort x wie das einer stehenden Welle (bei vollständiger Ladung eines der beiden Enden). Nach der Analogie eines Kondensators, der von einem Leiter verbunden wird, müsste dieser Verlauf doch eigentlich linear sein oder? Immerhin ist die Strecke direkt proportional zur Potentialdifferenz.

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PWolff  24.11.2022, 17:49
@Multinity

Wir haben hier mit Frequenzen zu tun, die mit Wellenlängen verbunden sind, die nicht mehr sehr groß gegenüber den Abmessungen der Schaltung sind, d. h. wir sind hier nicht in der Elektrostatik und auch nicht im Bereich quasi-statischer Vorgänge, wie bei den üblichen elektrischen Schaltungen.

Jedes Stück des Hertzschen Dipols hat eine Kapazität gegenüber jedem anderen Stück des Dipols, und jedes Stück des Hertzschen Dipols wirkt als Induktivität. Wir haben ein Ersatzschaltbild, das wenigstens aus einer Folge von LC-Vierpolen besteht, und bei LC-Vierpolen ist es geradezu zu erwarten, dass sich Strom und Spannung bei Wechselstrom stark frequenzabhängig verhalten und auf beiden Seiten deutlich unterschiedlich sind.

Oder: bei der Knotenregel müssen wir auch "Verschiebungsströme" innerhalb der Kondensatoren und bei der Maschenregel "Induktionsspannungen" in den Induktivitäten berücksichtigen, und wir haben hier viele kleine Induktivitäten entlang des Leiters und viele kleine Kondensatoren parallel zum Leiter, weshalb es kein Wunder ist, dass Ströme und Spannungen sich entlang des Leiters ganz anders verhalten als man im quasistatischen Fall erwarten könnte.

Oder: Maschenregel und Knotenregel sind Näherungen für den quasistatischen Fall. Hier müssen wir die Maxwell-Gleichungen ohne Näherungen verwenden, und dabei kommt genau dieses Verhalten heraus.

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