Sind Hamlets Probleme unsere Probleme?

3 Antworten

Naja, die Grundprobleme der Menschen erhalten sich natürlich, weil sie auf Instinkten und Umständen basieren, die seit Anbeginn der Zeit irgendwie 'da' sind.

Die meisten Probleme, die Menschen auch heute noch haben erwachsen sowas wie den klassischen sieben Todsünden. Sowas wie Neid, Lust, Habgier, Stolz, Hass...

Insofern denke ich die haben sich dennoch ganz gut über die Jahrhunderte erhalten. Was ist denn nun eigentlich Hamlets Problem? Sein Problem ist, dass sein Vater ermordet wurde. Da haben wir dann natürlich auch Hass auf den Onkel, Hass auf die Mutter, die den Vater einfach so ersetzt hat...

Und sowas hat man ja heute auch. Es muss ja niemand ermordet werden, doch eine Lossagung von der Familie, durch den Verlust einer Bezugsperson ist etwas, das viele Kinder und Jugendliche durchmachen oder durchmachen müssen und was auch durchaus belastend ist.

Dann hat er den Auftrag seinen Vater zu rächen, was diesen Graben halt eben noch vertieft. Der Geist seines Vaters kann dabei auch als innere Motivation Hamlets selbst gesehen werden... dem Drang sich... naja, halt eben zu rächen, was auch wieder in dieser Ablehnung gegenüber der Familie resultiert, was Hamlet aber im Endeffekt auch entwurzelt.

Dann hat er Freunde, denen er nicht vertrauen kann, was heute natürlich AUCH wieder problematisch ist und er hat seine Probleme, die er nicht mal seiner 'Freundin' Ophelia mitteilen kann. Gut, dass die daraufhin wahnsinnig wird und sich im Fluss ertränkt ist natürlich nicht UNBEDINGT so modern, aber dieses Alleinsein mit den eigenen Problemen und dem Druck von außen und von innen ist etwas, das vermutlich die meisten im Jugendalter schonmal miterlebt haben, gerade wenn man sich von den Eltern und der Familie ein wenig entfernt und ggf. gegen die Eltern rebelliert (wenn auch aus anderen Gründen als Hamlet, doch dieses 'auflehnen' gegen die Eltern ist ja auch Zeichen der Pubertät).

Und seinen Monolog kann man im Endeffekt auch in die Richtung lesen. Es geht ja im Endeffekt um ein 'übertreten' in ein 'unentdecktes Land', das man sich einerseits wünscht, aber vor dem man andererseits auch Respekt und ggf. Furcht hat, weil man nicht weiß, was da auf einen wartet. Das kann man auf Suizidgedanken bei Jugendlichen beziehen, aber halt eben auch auf die Jugend an sich, diesen Weg ins Erwachsenwerden, wo man ja im Endeffekt das Bekannte ein Stück weit hinter sich lässt und eine neue, selbstbestimmte, Richtung im Leben einschlägt. Was auch nciht wenigen schwerfällt, denn man ist ja durch Elternhaus und Schule gewöhnt, dass einem alles souffliert wird und wenn das dann aufhört, dann hatten viele nicht die Möglichkeit rauszufinden 'was will ICH eigentlich'.
Und das zeigt sich dann in den vielen Verlegenheitsstudenten oder Leuten, die erstmal Reisen, FSJ machen. Jobben... schlicht weil sie noch gar nicht wissen 'was bin ich eigentlich und was möchte ich eigentlich sein'.

Also das wäre jetzt mal mein spontaner Gedanke dazu, wenn man mich bitten würde irgendwelche Parallelen zwischen Hamlet und der Lebensrealität des heranwachsenden Jugendlichen zu finden.
Ich bin per se auch kein superRIESIGER Fan von Hamlet. Es ist schon eines von Shakespeares Stücken, die ich ganz gerne mal lese oder höre, aber nicht mein Favorit.

Rhoda8 
Fragesteller
 12.07.2021, 21:00

Das is wow. So hab ich das nie wirklich gesehen und die Parallelen die du genannt hast treffen teils schon hart zu. Ich danke dir sehr für die doch sehr ausführliche Antwort. Ich bin da wohl viel zu oberflächlich ran gegangen😅 dachte halt nur an den Verlust von Familie und Problemen mit dem wem kann man Vertrauen im Leben🙈

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BeviBaby  12.07.2021, 21:07
@Rhoda8

Alles gut, hauptsache ich konnte helfen.

Als klassische Interpretation taugt das natürlich nicht unbedingt, denn Shakespeare hat Hamlet ja nicht als Jugendroman konzipiert. Aber ich denke doch, dass die Probleme, die Hamlet hat im weitesten Sinne auch welche Sind, die in der Lebensrealität eines Teenagers auftauchen.

Sowas wie Verlust ist immer ein großes Theme, dann aber eben auch Anforderungen, die man für sich selbst hat und die teilweise aus dem selbst kommen oder die mal von außen kamen, wie z.B. von den Eltern und nun 'durch den Geist der Eltern' beim Jugendlichen noch immer präsent sind, weswegen er sich immensen Druck macht, ohne dass die Eltern inzwischen noch konkret was sagen müssten. (ggf. auch auf Eltern bezogen im Rahmen der Leistungsgesellschaft)

Wie gesagt... es ist nicht unbedingt das, was Shakespeare damit ausdrücken wollen würde, sondern eher das, was ein Jugendlicher daraus lesen und/oder verstehen könnte und dementsprechend auch erstmal nur auf eine spezielle Personengruppe bezogen... aber ich denke im Endeffekt KANN die Lösung durchaus passend sein, gerade wenn die Lehrer versuchen ihren jugendlichen Schülern solche Klassiker 'nahezubringen' nach dem Motto 'das ist auch für euer Leben bedeutsam'.

Ansonsten taugt natürlich auch IMMER die klassische Geschichte mit den Grundthemen, wie Eifersucht, Hass, Rache, Vertrauen... die ja grundlegend wichtig sidn.

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Es ist heutzutage eher unwahrscheinlich, daß dein Vater von seinem Bruder ermordet wird, um deine Mutter zu heiraten und an den Job deines Vaters zu kommen.

Andere Motive wie zB Suizid ("Sein oder Nicht-Sein"), Betrug durch vermeintliche Freunde (Rosencrantz und Güldenstern) oder die Vergänglichkeit des Lebens ("Ach armer Yorick!") sind auch heute noch aktuell...

Liebe, Vertrauen, Eifersucht, Hass; Ehebruch, Verrat, Mord, Suizid.

Die ganze Palette der Gefühle und Handlungen findet sich in diesem Stück von Shakespeare. Deshalb ist das Thema zeitlos aktuell.

Giwalato