Sind die Gräen die gleichen Wesen wie die Moiren?

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Nein, eine Gleichsetzung mit den Moiren ist nicht zutreffend.

Die gemeinten Personen der griechischen Mythologie werden gewöhnlich Graien genannt. Sie sind nicht die gleichen Wesen wie die Moiren.

Zwar sind sowohl die Graien als auch die Moiren Göttinnen, haben im Erscheinungsbild Merkmale alter/greiser Frauen und eine Dreizahl ist eine verbreitete Vorstellung von ihnen. Die Graien sind aber nicht die Schicksalsgöttinnen, ihre Abstammung ist anders und sie haben andere individuelle Namen.

Graien

Die Perseus-Sage ist der einzige bedeutende Mythos, in dem die Graien eine Rolle spielen.Die Graien (Γϱαῖαι; Graiai; lateinisch: Graeae) sind Töchter der Keto und des Meeresgottes Phorkys. Nach dem Vater werden sie auch Phorkiden oder Phorkyaden (Φοϱκίδες [Phorkides]; Φοϝκυνίδες [Phorkynides]; Φοϝκυνάδες [Phorkynades]) genannt.

Die Graien sind Schwestern der Gorgonen. Es gibt verschiedene Deutungen der Graien, z. B. als Meergöttinnen bzw. -ungeheuer, als Personifikation des Alters oder als Wolkengöttinnen.

Die Bezeichnung Graien (γϱαῖα: alt, greise) hängt mit der Wurzel eines Wortes zusammen, vom dem sich γέϱων [geron; alter Mann, Greis) und γϱαῦς [graus; alte Frau, Greisin) herleiten.

Hesiod, Theogonie (Θεογονία; lateinischer Titel: Theogonia) 270 - 276 gibt die Abstammung an und beschreibt die Graien als schönwangig, aber von Geburt an grauhaarig. Bei ihm gibt es zwei Graien, Pemphredo mit schönem Gewand und Enyo mit Safrangewand.

Aischylos, Der gefesselte Prometheus (Πϱομηθεὺς δεσμώτης) 790 - 800 werden drei Phorkiden = Graien erwähnt, alte Mädchen/Jungfrauen, schwanengestaltig, die gemeinsam ein einziges Auge haben. 

Apollodor 2, 4, 2, 3 – 2, 4, 2, 5/2, 37 – 2, 39 nennt drei Graien: Pemphredo (Πεφϱηδώ), Enyo (Ἐνυvώ) und Deino (Δεινώ)

Statt Deino haben einige antike Autoren die dritte der Graien Perso (Πεϱσώ) genannt (Herakleitos, Peri apiston Historion [Πεϱὶ ἀπίστων ἰστοϱίων; Von unglaublichen Geschichten; lateinischer Titel: De incredibilibus historiis) 13; vgl. Hyginus, Fabulae Praefatio 9).

Die Graien teilen sich (zu zweit oder zu dritt) ein einziges Auge und einen einzigen Zahl, Sie tragen diese Dinge abwechselnd der Reihe nach. 

Perseus, kommt im Zusammenhang mit seinem Gorgonenabenteuer (von den Gorgonen sind Sthenno [Σθεννώ] und Euryale [ΕὝϱυάλη] unsterblich, Medousa/Medusa (Μέδουσα) dagegen sterblich) zu den Graien. Es werden inhaltlich voneinander abweichende Fassungen über die Begegnung erzählt.

a) Perseus stiehlt den Graien ihr Auge und ihren Zahn (zum Teil wird nur die Entwendung des Auges ausdrücklich erwähnt), als der Besitz unter den drei Schwestern wechseln soll, und gibt ihnen ihren Besitz erst gegen die Zusicherung zurück, ihm den Weg zu den Nymphen zu beschreiben (Pherekydes, Scholien zu Apollonios Rhodios, Argonautika 4, 1399. 1515; Apollodor 2, 4, 2, 3 – 2, 4, 2, 5/2, 37 – 2, 39). Von den Nymphe bekommt Perseus magische Ausrüstung/Zauberdinge: geflügelte Schuhe, Tarnkappe und Ranzen (später von ihm zum Transport des Medusenhauptes verwendet)

b) Perseus besitzt die magische Ausrüstung/Zauberdinge bereits, er überwältigt die Graien, die Wächterinnen des Eingangs zum Land der Gorgonen sind, wirft das Auge in den See Tritonis und ist gegen die schlafenden Gorgonen erfolgreich (Aischylos, Der gefesselte Prometheus [Πϱομηθεὺς δεσμώτης] 790 – 800; Scholien zu Aischylos, Der gefesselte Prometheus [Πϱομηθεὺς δεσμώτης] 793; Hyginus, de Atrsonomia 2, 12; Eratosthenes, Katasterismi 22; vgl. auch Ovid, Metamorphosen 4, 773 - 777 und Palaiphatos, Πεϱὶ ἀπίστων ἰστοϱίων [Von unglaublichen Geschichten; lateinischer Titel: De incredibilibus historiis] 31 bzw. 32).

Moiren

Es gibt in der griechischen Mythologie die Moiren (Singular Μοîϱα [Moira], Plural Μοίϱεs [Moires] bzw. Μοῖϱαι [Moirai]), antike Schicksalsgöttinnen.

Der abstrakte Begriff μοîϱα (moira) bedeutet in der altgriechischen Sprache:

1) Teil, Stück a) Gebiet, Land b) Partei

2) Anteil, Portion a) Gebühr, Schickliches, Ordnung b) Stellung, Rang, Achtung

3) Los, Schicksal, Verhängnis a) Todesgeschick b) Glück

Die Moira bzw. die Moiren sind eine Personifikation. In antiken Texten kommt sowohl die Einzahl Moira als auch die Mehrzahl Moiren vor.

Das Verhältnis der Moira bzw. der Moiren zu den anderen Gottheiten ist in den antiken Texten nicht durchgängig einheitlich und eindeutig bestimmt. Einerseits wollen Gottheiten ihren Willen durchsetzen und handeln, während die Moira bzw. Moiren oft dahinter zurücktritt, andererseits scheinen den Gottheiten bei manchen Gelegenheiten die Moira bzw. die Moiren an Macht überlegen zu sein. Der Ratschluß des obersten Gottes Zeus scheint zum Teil mit der Moira bzw. den Moiren zusammenzufallen, andererseits scheint sogar diesem eine Schranke gesetzt. Homer, Ilias Π ,16. Gesang, Vers 431 - 461 fügt sich Zeus widerstrebend dem Schicksal, nach dem sein Sohn Sarpedon jetzt den Tod im Kampf erleiden wird.

Albrecht  02.03.2015, 08:53

Nach Hesiod, Theogonie (Θεογονία; lateinischer Titel: Theogonia) 211 - 222 sind die Moiren Töchter der Nacht (Nyx). Sie geben den Menschen, Gutes und Schlechtes zu haben, verfolgen Vergehen/Übertretungen und lassen nicht ab, bevor für die Verfehlung Schlechtes eintritt. Eine davon abweichende Abstammung gibt Hesiod, Theogonie (Θεογονία; lateinischer Titel: Theogonia) 901 - 906 an, wonach die Moiren Töchter des Zeus und der Themis (Göttin des Rechts/der Rechtsordnung/der Rechtssatzung) sind.

Die Moiren sind Hüterinnen der Ordnung. Insbesondere bei Geburt, Hochzeit und Tod gibt es eine Vorstellung, sie teilten ein Geschick zu.


Oft kommt eine Dreizahl der Moiren vor. Eine sich verbreitende Vorstellung ist die von Klotho (Κλωθώ; Spinnerin, Spinnende), Lachesis (Λάχεσις; Zuteilerin, Losung) und Atropos (Ἄτϱοπος; Unerbittliche, Unabwendbare) als Spinnerinnen, meistens als alte Frauen dargestellt. Klotho knüpft den Lebensfaden an, Lachesis spinnt ihn weiter, Atropos schneidet ihn ab.

Römische Entsprechung der Moiren sind die Parzen (Parcae).

Informationen enthalten Nachschlagewerke zur Antike und zur griechischen Mythologie, z. B.:


Claudia Ungefehr-Kortus, Graien. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 4: Epo – Gro. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1998, Spalte 1196

Albert Henrichs, Moira. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 8: Mer – Op. Stuttgart ; Weimar, Metzler, 2000, Spalte 340 - 343

Herbert Jennings Rose, Griechische Mythologie : ein Handbuch. Aus dem Englischen übertragen von Anna Elisabeth Berve-Glauning. 3. Auflage. München : Beck, 2011 (Beck'sche Reihe ; 1530), S. 21- 22, S. 27 - 28, S. 48, S. 58. S. 134 – 135, S. 250, S. 269, S. 33 Anm. 32- 38, S. 335 Anm. 66, S. 341 Anm. 37 und S. 363 – 364 Anm. 25

Karl Kerényi, Die Mythologie der Griechen : Götter, Menschen und Heroen. Sonderausgabe. Stuttgart : Klett-Cotta, 2013, S. 33 – 34 und S. 42 - 47

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Die Graien (γϝαῖος, α, ον - grau, greis) - bei Hesiod nur zwei, nämlich Enyo, Pemphredo (s. u.), später drei (Apollodor, 2,4,2 nennt die dritte Deino) - sind Töchter der Keto und des Phorkys, und Schwestern der Gorgonen. Sie sind von Geburt an grauhaarig und mit nur einem einem Auge und einem Zahn für alle beide/drei im Gegensatz zu ihren Schwestern nur minimal ausgestattet. Perseus erfährt durch eine List von ihnen, wie er den Weg zu Medusa finden kann.

"Keto gebar dem Phorkys die Graien mit rosigen Wangen, | aber grau von Geburt - und deshalb heißen sie Graien | bei den unsterblichen Göttern und bei den irdischen Menschen -, | schöngewandet Pemphredo, im Safrankleide Enyo, | und die Gorgonen, die jenseits des ruhmvollen Ozenans wohnen, | wo, am Rande der Nacht, die Töchter des Hesperos singen. | Nämlich Euryale, Sthenno, die schmerzerfüllte Medusa: ... (Es folgt die Geschichte der Medusa)"

Φόϝκυι δ' αὖ Κητὼ γϝαίας τέκε καλλιπαϝήους | Ἕκ γενετῆς πολιάς, τὰς δὴ Γϝαίας καλέουσιν | ἀθάνατοί τε θεοὶ χαμαὶ Ἕϝχόμενοί τ' ἄνθϝωποι, | Πεμφϝηδώ τ' Ἕΰπεπλον Ἐνυώ τε κϝοκόπεπλον, | Γοϝγούς θ', αἳ ναίουσι πέϝην κλυτοῦ Ὠκεανοῖο | Ἕσχατιῇ πϝὸς νυκτός, ἵν' Ἑσπεϝίδες λιγύφωνοι, | Σθεννώ τ' ΕὝϝυάλη τε Μέδουσά τε λυγϝὰ παθοῦσα. (Hesiod, Theogonie, 270-276)

Die Moiren (im Sg. μοῖϝα, im Pl. μοῖϝαι - 'Schicksal, Los'), Schicksalsgöttinnen, meist triadisch gedacht, sind Töchter der Nyx (Nacht) und Schwestern der Keren (Ker) und Erinyen. Ihr Verhältnis zu den olympischen Göttern ist ambivalent: i.d.R. treten die Moiren hinter den Göttern zurück, teilweise sind diese aber machtlos gegenüber jenen. (Hesiod, Theogonie 213 ff.; 901 ff.; Homer, Ilias 24,49).

"Dann gebar sie [Nyx] die Moiren und Keren, die grausamen Rächer, | Klotho, Lachesis, Atropos, sie, die den sterblichen Menschen | gleich bie ihrer Geburt bestimmen Gutes und Schlimmes, | aller Vergehen Spur von Menschen und Göttern verfolgen, | von ihrer göttlichen Wut, der entsetzlichen, nimmermehr lassen, | bis ihr böser Blick den Verbrecher vernichtend getroffen."

καὶ Μοίϝας καὶ Κῆϝας Ἕγείνατο νηλεοποίνους, | Κλωθώ τε Λάχεσίν τε καὶ Ἄτϝοπον, αἵ τε βϝοτοῖσι | γεινομένοισι διδοῦσιν ἔχειν ἀγαθόν τε κακόν τε, | αἵ τ' ἀνδϝῶν τε θεῶν τε παϝαιβασίας Ἕφέπουσιν, | οὝδέ ποτε λήγουσι θεαὶ δεινοῖο χόλοιο, | πϝίν γ' ἀπὸ τῷ δώωσι κακὴν ὄπιν, ὅστις Ἕμάϝτῃ. (Hesiod, Theogonie 217-222)

Quellen:

A. von Schirnding (Hg.), Hesiod. Theogonie. Werke und Tage, griechisch-deutsch, Zürich/Düsseldorf 2002.

A. Henrichs, 'Moira', in: Der Neue Pauly 8 (2000).

C. Jamme / S. Matuschek, Handbuch der Mythologie, Darmstadt 2014.