Simplicissimus Karikatur 1919 Analyse?

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Die Karikatur erschien in der deutschen satirischen Wochenzeitschrift Simplicissimus, 1919, Jahrgang 24. Heft 10 (3. Juni 1919), S. 132.

Sie ist im Original farbig (das Hinrichtungsgerät und der Boden des Raumes sind rot).

Sie ist von Thomas Theodor Heine (in Klammern steht oben rechts: Th. Th. Heine). Die Überschrift der Karikatur lautet: „Versailles“.

1) Beschreibung des Bildes

In einem sonst leeren Raum steht ein Hinrichtungsgerät und zwar eine Guillotine. Im Raum stehen vier Männer. Drei Männer sind mit einem schwarzem Anzug bekleidet. Ein weiterer Mann steht vor der Guillotine, mit dem Gesicht zu ihr (den Kopf leicht vorgebeugt, wie ein Verurteilter, der die Vollstreckung seiner Hinrichtung erwartet), den Rücken den das Bild Betrachtenden zugekehrt. Er trägt eine schwarze Hose, aber sein Oberkörper ist nackt. Seine Hände sind auf den Rücken gefesselt zusammengebunden.

Ein Mann steht (für das Bild Betrachtende von vorne zu sehen) neben der Guillotine und hält ein Seil in der Hand, mit dem er das Fallbeil zum Herabfallen bringen kann. Er ist klein und untersetzt. Auf dem Kopf hat er kaum Haare, aber buschige Augenbrauen und einen großen Schnurrbart. Sein Blick ist unerbittlich. Er steht breitbeinig da, bereit zur Tat.

Auf der rechten Seite steht (für das Bild Betrachtende von vorne zu sehen) starr ein mittelgroßer schlanker Mann mit Haupthaar und Schnurrbart. Sein Blick ist ernst und entschlossen. Mit beiden Händen hält er vor sich ein zusammengerolltes Schriftstück.

Auf der linken Seite steht (für das Bild Betrachtende von der Seite zu sehen) weiter von der Guillotine entfernt ein großer, hagerer Mann. Sein Haupthaar ist schütter. Er ist glattrasiert und trägt eine Brille. Seine Hände hält er mit ausgebreiteten Handflächen vor sich, als wolle er erklären und beschwichtigen. Sein Mund ist geöffnet. Er scheint der Sprecher für einen Hinweis mit einer Frage an den Verurteilten zu sein.

Die Aussage in der Bildunterschrift ist: „Auch Sie haben ein Selbstbestimmungsrecht: wünschen Sie, daß Ihnen die Taschen vor oder nach dem Tod ausgeleert werden?“

2) Bedeutung, Zeit, Symbole

Das schon durch den Titel signalisierte Thema der Karikatur ist der Friedensvertrag von Versailles.

Seit dem 18. Januar 1919 wurde auf einer Konferenz in Paris und seinen Vororten (darunter Versailles) über einen Friedensvertrag verhandelt. Die wichtigsten Entscheidung dabei traf der Rat der Vier, in dem Frankreich, Großbritannien, die USA und Italien vertreten waren. Am 7. Mai 1919 wurde Deutschland, das den Ersten Weltkrieg verloren hatte, ein Vertragsentwurf vorgelegt. Dieser enthielt einige verhältnismäßig harte Bedingungen und rief in Deutschland in ziemlich großem Ausmaß Bestürzung und Ablehnung hervor. Deutschland war nicht an direkten mündlichen Verhandlungen beteiligt. Möglich waren nur schriftliche Stellungnahmen. Nur geringe Veränderungen am Vertragsentwurf waren erreichbar, wie sich bald zeigte. Am 16. Juni 1919 wurde Deutschland ein Ultimatum gestellt, den wenig geänderten Vertrag anzunehmen. Andernfalls drohte ein Einmarsch von Truppen und eine eventuelle Teilung Deutschlands. Unter diesem Druck stimmte der Reichstag am am 22. und 23. Juni einer Unterzeichnung zu, die dann in Versailles am 28. Juni 1919 stattfand.

In der Karikatur vom 3. Juni 1919 wird die Zeit angesprochen, als Deutschland ein Vertragsentwurf vorgelegt worden war und deutlich wurde, an dessen Bedingungen nur noch wenig Änderungen erreichen zu können. Eine bevorstehende Unterzeichnung unter dem Druck der Machtverhältnisse war absehbar.

In der Karikatur sind an ihrem Aussehen erkennbar führende Politiker der Siegermächte dargestellt: links Woodrow Wilson, Präsident der USA, in der Mitte Georges Clemenceau, Ministerpräsident und Kriegsminister Frankreichs, rechts David Lloyd George, Premierminister Großbritanniens.

Clemenceau stellte besonders harte Forderungen gegenüber Deutschland, wollte es schwächen und für Frankreich Sicherheit und große Entschädigungen erreichen. Lloyd George war auch an Entschädigungszahlungen interessiert, wollte aber weniger weitgehende Gebietsabtretungen Deutschlands und ein Machtgleichgewicht in Europa bewahren. Wilson wollte Freihandel, Selbstbestimmungsrecht der Völker, Schaffung eines Völkerbundes zur internationalen Zusammenarbeit, Abrüstung und gemäßigte Gebietsabtretungen Deutschlands (hauptsächlich Gebiete mit deutlich nichtdeutscher Bevölkerungsmehrheit). In einer Rede am 8. Januar 1918 hatte er ein 14-Punkte-Programm für eine Friedensordnung aufgestellt. Von deutscher Seite wurde der Plan erst später, in einer Lage mit einer offenkundigen Niederlage, wirklich aufgegriffen. Dabei hatten viele Deutsche unrealistische Hoffnungen auf einen Verständigungsfrieden mit sehr milden Bedingungen.

Diesen Unterschieden entspricht die Darstellung in der Karikatur. Clemenceau übernimmt die Ausführung der Hinrichtung. Lloyd George steht für ein Festhalten an den Vertragsbedingungen. Wilson steht etwas abseits und seitlich gewendet. Der Hinweis auf ein Selbstbestimmungsrecht entspricht seinen Prinzipien. Die Äußerung in der Karikatur ist allerdings zynisch (bissige Verspottung, herablassend, verhöhnend und verächtlich), weil nur die Wahl zwischen sehr geringfügig unterschiedlichen Alternativen bleibt, die beide eine Wegnahme bedeuten). Das Selbstbestimmungsrecht ist dabei anscheinend auf den kleinen Spielraum Deutschlands bei der Reaktion auf den Vertragsentwurf und die nur geringen Möglichkeiten einer Änderung der Vertragsbedingungen bezogen.

Symbole:

Der Friedensvertrag von Versailles, seine Unterzeichnung und seine Auswirkungen werden als Hinrichtung dargestellt.

Die Guillotine ist assoziativ mit der Französischen Revolution (1792 in Frankreich eingeführt, um mit einer schnellen und genauen Ausführung dem Opfer keine unnötige Quellen zu bereiten und eine für alle gleiche Hinrichtungsart zu schaffen) und ihrer Phase der »Schreckensherrschaft« verbunden und steht für eine bevorstehende Hinrichtung.

Der verurteilte Mann ist eine Personifizierung Deutschlands. In der Karikatur wird seine Behandlung wie die eines Verbrecher dargestellt und der Friedensvertrag als Todesurteil.

Die Fesselung steht für Macht- und Wehrlosigkeit (Niederlage, Waffenstillstandsbedingungen, starke Rüstungsbeschränkungen im Vertrag).

Das zusammengerollte Schriftstück symbolisiert den Vertrag.

Das Ausleeren der Taschen steht für vorgesehene Gebietsabtretungen und Reparationen (Wiedergutmachungsleistungen für Kriegsschäden)

Die rote Farbe steht für Gefahr, Blut und Tod.

3) Position der Zeichners, unterschiedliche Aspekte, ,,normale" Ansicht des Gesehenen

Die Fragen nach unterschiedlichen Aspekten und der ,,normalen" Ansicht des Gesehenen sind nicht ausreichend erläutert und klar. Es fehlt eine Angabe, wozu der Unterschied gemeint ist und worauf die Ansicht bezogen ist. Zum Teil kann nur herumgeraten werden, worauf eine Frage vielleicht abzielt.

Der Zeichner ist ein Deutscher und ergreift Partei für die deutsche Seite. Er setzt die Friedensverhandlungen und die Bedingungen der Vertrages mit einem Machtspruch der Verurteilung eines Wehrlosen zum Tod gleich. Die Darstellung ist sehr einseitig. Die Sichtweisen Frankreichs, Großbritannien und der USA mit ihren Interessen, Zielen und Kriegsfolgen werden nicht berücksichtigt. Die Deutung als Todesurteil ist eine sehr überzogene Übertreibung. Denn der deutsche Staat und die Deutschen konnten mit dem Vertrag weiterexistieren. Deutschland ist nicht in Einzelteile zerstückelt und zerstört worden.

Die dramatisierte Darstellung ist von einer sehr emotionalen Reaktion der Ablehnung und Empörung (die den Vertrag als ungerechtes Diktat empfand) geprägt. Gesichtspunkte des Nationalstolzes und der Ehre spielten eine große Rolle bei der deutschen Reaktion und dies ist auch in der Karikatur bemerkbar.

Abweichend von einem gängigen Bild des Einsatzes einer Guillotine geschieht die Hinrichtung nicht im Freien und als öffentliches Schauspiel mit Sicherheitskräften und Publikum.

Anders als bei einem Gerichtsverfahren gibt es keine Trennung zwischen Anklage und Gericht und eine Verteidigung ist nicht vertreten.

Das Gesicht des Verurteilten ist nicht zu sehen.

Verhandlungen und Unterzeichnung eines Friedensvertrages würden anders aussehen, z. B. mit einem Tisch und Stühlen.

Die Maschine ist eine Guillotine.

https://www.br.de/alphalernen/faecher/geschichte/franzoesische-revolution-guillotine-106.html#:~:text=Sie%20wird%20zur%20effektivsten%20T%C3%B6tungsmaschine,anfangs%20auch%20nach%20ihm%3A%20Louisette.

Der Delinquent koennte der Vertreter die DE Monarchie sein mit der Androhung des Versailler Vertrages oder der Besetzung, bei Verneinung, die militaerische Besetzung.