Mondnacht- Joseph von Eichendorff Botschaft?

4 Antworten

Eichendorff gestaltet hier die typisch romantische Sehnsucht nach dem Unendlichen, der Vollkommenheit (die ja unerreichbar ist). Sehnsucht und Wanderschaft sind denn auch die klassischen Motive der Romantik. Der Wanderer ist ewig unterwegs nach einem unerreichbaren Ziel. Außerdem zeigt sich in dem Gedicht das urromantische Anliegen der Dichter der Romantik, das Novalis einmal so ausgedrückt hat: Es gilt, die (platte) Wirklichkeit zu romantisieren, allem Banalen, Trivialen den Anschein des Ungewöhnlichen, Erhabenen zu verleihen (dem Sinne nach zitiert). Das wird in „Mondnacht“ durch die auffällige Formulierung „als hätt’“ und „als flöge“ dargestellt, d.h., es ist in der unpoetischen Wirklichkeit in Wahrheit ja nicht so, es geschieht nur in der romantisierten Wirklichkeit so! In dieser verwandelten Welt küsst der Himmel die Erde, m. a. W. das, was wir mit Unendlichkeit, Vollkommenheit verbinden (Himmel), nimmt eine innige Beziehung zur unvollkommenen Erde auf („küsst sie“), das vollkommen Schöne des Himmels („Blütenschimmer“) zeigt sich der Erde. Dadurch wird eine Stimmung ausgelöst, welche die Erde dazu bringt, vom Himmel zu träumen. Die Erde wird also traumhaft verwandelt. In der zweiten Strophe wird nun die traumhaft verwandelte Erde in einem vollkommenen Bild dargestellt. Die sacht wogenden Ähren auf den Feldern, die leise rauschenden Wälder und die sternklare Nacht empfinden wir als etwas Wunderbares, Vollkommenes. Jetzt tritt das lyrische Ich in der dritten Strophe hervor. Angesichts der „romantisierten“ Wirklichkeit, der traumhaft verwandelten Welt öffnet sich die Seele des „Ichs“; sie wird metaphorisch als Vogel dargestellt, der seine Flügel weit ausspannt und durch die stillen Lande fliegt. „Als flöge sie nach Haus“ ist wieder ein Geschehen, das sich nur im „Als ob“- Bereich abspielt, also im Bereich der verwandelten, romantisierten Welt. So kommt es dem lyrischen Ich vor, als wäre seine Seele nun unterwegs „nach Haus“. Dieses „Nach Haus“ ist symbolisch zu interpretieren. Mit einem „Zu-Hause“ verbinden wir im allgemeinen etwas Vollkommenes, eine intakte Familie, Mutter- , Vater- und Geschwisterliebe oder die Liebe eines Gatten (einer Gattin). Die Seele des lyrischen Ichs ist also rein gefühlsmäßig („als flöge sie“) unterwegs zu einem vollkommenen Leben, das aber nur auf der Ebene des Gefühls erreichbar ist, in der (platten) Wirklichkeit aber erweist sich dieses vollkommene Leben (fast immer) als unerreichbar, höchstens in der Erinnerung erscheint das Vollkommene, im Rückblick auf das Elternhaus (nicht bei jedem), aber da das alles schon längst vergangen ist, träumt das lyrische Ich also auch hier von einem unerreichbaren, vollkommenen Zustand.

Dieses Gedicht hat drei Ebenen:

  1. Ist es die Wiedergabe einer spontanen Naturimpression.

  2. Ist es eine Schilderung des vegetativen Jahresablaufs vom Frühling (Blütenschimmer) über den Sommer (reife Ähren) bis zum Winter (stille Lande) in der letzten Strophe.

  3. Behandelt es symbolisch das Leben des Menschen von der Zeugung (Himmel küsst Erde), über die Reife (wogende Ähren) bis zum Tod (Seele fliegt über die stillen Lande nach Haus)

Dass die Symbolik in Absatz 2. und 3. nicht der inmittelbaren Betrachtung sondern eher dem Nachsinnen entspringt, macht der Titel "Mondnacht" klar. Denn nachts beobachtet man ja nicht gleichzeitig Blütenschimmer, wogende Ähren und fliegende Seelen.

Eichendorff schichtet also gewissermaßen kunstvoll drei Existential-Ebenen übereinander, ohne jedoch die Symbolik zu dick aufzutragen, wie es z.B. C.F. Meyer manchmal tut (lies doch mal dessen Gedicht "Möwenflug". Darin schildert Meyer, wie Möwen um einen Felsen kreisen und sich im Wasser spiegeln und hält es für nötig, am Ende dieses Symbol auch noch zu erklären "Und du selber? Bist du echt beflügelt? / Oder nur gemalt und abgespiegelt? / Gaukelst du im Kreis mit Fabeldingen? / Oder hast du Blut in deinen Schwingen?". Klar, lieber Conrad Ferdinand – hab ich eigentlich schon von Anfang an verstanden!

Der Tiefe des "Mondnacht"-Gedichtes steht dagegen statt akademischer Erläuterungen ein Volksliedcharakter gegenüber, der durch konsequent unreine Reime unterstrichen wird. Himmel - Blütenschimmer / Felder - Wälder / spannte - Lande. Dadurch bekommt das Gedicht eine Spannung, die deutlich über die scheinbare "Harmlosigkeit" hinausgeht, die man beim ersten oberflächlichen Hinschauen vermutet.

Mit einem Wort: Ein Meisterstück – zum Hinknieen!

Das Gedicht ähnelt im Grunde genommen dem Tiecks mit dem Titel "Zaubernacht" Dort heißt es: Mondbeglänzte Zaubernacht, die den Sinn gefangen hält, wundervolle Märchenwelt, steig auf in alter Pracht

Mit diesem einen Vers ist alles Wesentliche der Romantik gesagt. Eine Extradeutung dieser Botschaft erübrigt sich eigentlich fast schon, da ja alles offenkundig und ganz direkt dargelegt ist, dennoch ist eine weitere Interpretation erforderlich.

Der Unterschied des Tieckschen Gedichtes gegenüber "der Mondnacht" Eichendorffs ist der, dass Letzterer noch eine Dynamik, eine visionierte "Aktion" einschließt, also eine Kombination aus Empfinden und einem vorgestellten Geschehen, welches so nicht nur Stille ausdrückt. Der Traum wird scheinbar umgesetzt, eine Tat fiktiv angedeutet, so in etwa könnte sie sein. Richtig konkret wird sie aber dennoch nicht, es verbleibt alles in der bloßen Phantasie. aus dem Gedicht wird auch erkennbar, dass die reale Welt für E. wohl nicht Alles ist, da gibt es wohl noch so was wie eine "Anderswelt", die das eigentliche Zuhause ist. Da dieses für den Dichter ersehnt wird, sucht er also diese in seinem Heimweh. Den Anfang hierfür ist die veränderte Wahrnehmung seiner Umwelt, doch scheint dieses bloße Träumen einer anderen Wahrnehmung nicht auszureichen, sei es, dass dieses veränderte Empfinden eine Eigendynamik gewinnt, sei es der Hunger nach mehr, wahrscheinlich wohl Beides. Der Romantik wird ja nicht umsonst nachgesagt, dass sie maßlos sei, sich entgrenze, um so das Unendliche und daher Nichterreichbare anstrebe. Dies wird dann auch als die "Blaue Blume" bezeichnet, die es zu pflücken gilt, obwohl dies nicht möglich ist. Die Folge, ein stetes unerfülltes Sehnen, ein Streben nach dem Unerreichbaren, ein ewiges Ungesättigtsein. "Lediglich" die romantische Ironie versucht dann diese Spannung, diesen Schmerz zu lindern, mitunter gar aufzuheben.