Ist es normal sich als Lebensretter down und überfordert zu fühlen?

2 Antworten

Klingt nach einer normalen verzögerten Schockreaktion.

Hallo, was du da erlebt hast, ist alles andere als "normal" – und genau deshalb ist es völlig normal, dass du dich jetzt down, überfordert und erschöpft fühlst.

Was du in dieser Situation geleistet hast, verdient tiefsten Respekt. Du hast nicht nur beherzt reagiert, sondern auch klar gedacht, organisiert, delegiert, kommuniziert – und vor allem: gehandelt, als es wirklich drauf ankam. Du warst zur richtigen Zeit am richtigen Ort und hast das getan, was viele sich in der Theorie vorstellen, aber in der Realität kaum jemand so souverän schafft. Und ja – du hast einem Menschen das Leben gerettet.

Dass dein Körper und dein Geist nun "nachziehen", ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein gesunder menschlicher Reflex auf eine extreme Ausnahmesituation. Unser System funktioniert im Notfallmodus erstaunlich effizient – aber irgendwann kommt der Moment, wo die Anspannung weicht. Das ist der Moment, wo du es wirklich fühlst. Wo du realisierst, was da eigentlich gerade passiert ist. Und wo du dir erlauben musst, Mensch zu sein.

Ich bin selbst bei der Feuerwehr und habe schon so manche Situationen erlebt – auch meine erste Reanimation, am 2. Januar dieses Jahres, lässt mich nicht kalt - die Patientin ist später auch im KH verstorben. Aber kann mich gut in deine Lage hineinversetzen. Ein ähnlich einprägsames Erlebnis hatte ich vor 2 Jahren als zwei Jugendliche auf einem Roller tödlich verunglückt sind - wir konnten nix mehr machen, aber das erlebte beschäftigte mich trotzdem ein paar Wochen.

In dem Moment der Ausnahmesituation funktioniert man, als wäre man ferngesteuert, fast wie aus dem Körper heraus. Aber danach kommt diese Welle – Gedanken, Zweifel, Fragen. Man geht alles noch Mal durch im Kopf. Hätte ich noch etwas besser machen können? War das genug?

Das paradoxe Gefühl danach kenne ich gut und das ist es denke ich, was schwer ist einzuordnen: Man hat geholfen, man hat ein Leben gerettet – eigentlich müsste man doch jetzt zufrieden und glücklich sein und beruhigt schlafen. Aber so leicht ist es nicht getan. Statt Euphorie kommt oft innere Leere, Zweifel oder Erschöpfung. Weil der Körper zwar funktioniert hat, aber die Seele hinterherhinkt. Weil man in diesem Ausnahmezustand alles gegeben hat – und jetzt mit dem Echo dessen dasteht, was hätte passieren können. Das ist kein Widerspruch, sondern eine ganz natürliche, menschliche Reaktion auf ein traumatisches Erlebnis.

Und genau da sage ich dir ganz klar:

Du hast alles richtig gemacht. Und da wir keine Profis mit medizinischer Fachausbildung sind, die das (zum Glück) nicht täglich machen, ist es auch das normalste, dass nicht alles glatt läuft, aber das ist nicht relevant. Und das ist auch der Schlüssel wie ich solche Erlebnisse bei der Feuerwehr verarbeite: Wenn niemand etwas macht, bleibt die Situation so wie sie ist. Deswegen fahren oder gehen wir hin und versuchen zumindest etwas zu tun - und allein der Versuch ist es was zählt, auch wenn man manchmal nix mehr machen kann oder manche Sachen anders hätte machen können.

Aber: So wie du hier gehandelt hast, kann man nur seinen Hut davor ziehen. Das was du gemacht hast, ist weit mehr als viele Ersthelfer in dieser Situation überhaupt gemacht hätten oder überhaupt in der Lage gewesen wären zu machen.

Du warst seine einzige Chance, sonst wäre er definitiv gestorben. Du warst da – und du bist geblieben, nicht nur bei ihm, sondern auch bei all den anderen. Du hast sogar die Notfallseelsorge angefordert – auch für dich selbst. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Weitblick und Verantwortung.

Rippen brechen bei einer Reanimation? Absolut nebensächlich. Wichtig ist nur eines: Du hast nicht gezögert. Du hast geholfen.

Und ja, du darfst – du musst sogar – über all das sprechen. Mit Kollegen, mit Seelsorgern, vielleicht mit dem Arzt, der dir diese unglaubliche Rückmeldung gegeben hat, der dir Zweifel aus dem Weg räumen kann - . Und auch hier, in einem Forum wie diesem, ist es gut und richtig, das aufzuschreiben. Es hilft, es einzuordnen, es "abzulegen". Ich habe das auch gemacht.

Ich kann dir nur sagen: Bei mir hat es schon ein paar Wochen gedauert, bis mein System das verarbeitet hat und ich meinen endgültigen Frieden damit hatte. Aber der entscheidende Gedanke, der mir persönlich geholfen hat und den ich dir mitgeben will, ist dieser:

Wenn niemand da gewesen wäre, wäre dieser Mensch auf jeden Fall gestorben. Wenn er später trotzdem stirbt - du warst trotzdem da und hast alles gegeben.

Und ja das Thema Notfallseelsorger ist definitiv wichtig und ich sehe das ähnlich, dass dies viel zu wenig Beachtung findet. Bei manchen schweren Verkehrsunfällen werden (Ersthelfer) Autofahrer wieder weitergeschickt, weil sie "ja jetzt wieder weiterfahren dürfen", obwohl sie traumatisiert sind. Das mindeste wäre Ihnen einen Ansprechpartner zu geben falls sie das Erlebte beschäftigt.

Mach damit deinen Frieden damit. Und sei stolz auf dich – ganz tief, leise, aber kraftvoll.

Von Herzen: Danke und Respekt für dein Handeln, deine Präsenz, deine Stärke.

Und vergiss nicht, dich jetzt gut um dich selbst zu kümmern. Liebe Grüße


Beelady84 
Beitragsersteller
 11.06.2025, 05:01

Hallo bablbrabi123,

vielen Dank nochmal für deine Antwort.
Heute war ch das erste Mal wieder arbeiten. Es war ein komisches Gefühl.

Ja, vom Kopf her weiß dass ich dass ich alles richtig gemacht habe. Aber auch weil ich meine Kollegin hinter mir hatte.
Ich habe jetzt die Angst, dass wenn sowas nochmal passiert und ich nicht mit Kollegen in Pause bin sondern alleine in meinem Bereich bzw. im Spätdienst ab 20h ganz alleine bin. So eine Situation nicht mehr schaffe.

Ein positives Ergebnis kommt aus der ganzen Sache. JETZT wird ein AED angeschafft für die Gäste (JH).

Habe mich heute nicht getraut die Etage zu betreten wo der Gast umgekippt ist.
Ich weiß, dass ich ch daran arbeiten muss, um nicht in eine Vermeidungsstrategie zu fallen.

Das wird Zeit brauchen.

Lieber bablbrabi123, nochmals vielen Dank für deine aufbauenden Worte.

bablbrabl123  11.06.2025, 10:52
@Beelady84

Es freut mich zu hören, dass du wieder langsam im Alltag ankommst – und auch, dass bei euch jetzt ein AED angeschafft wird. Das ist ein wichtiger Schritt, der hoffentlich einmal Leben retten wird. Und ehrlich gesagt: Bei uns in der Feuerwehr gibt es immer noch kein AED – was ich in der heutigen Zeit absolut nicht mehr nachvollziehen kann. Du hast mit deinem Handeln nicht nur in einer akuten Notsituation reagiert, sondern auch strukturell etwas bewegt – und das ist stark.

Zu deinem Gefühl, allein vielleicht nicht „genug leisten“ zu können, möchte ich dir aus Sicht von Feuerwehr und Rettungsdienst etwas mitgeben – etwas, das mir selbst und vielen erfahrenen Kollegen hilft, und das wir auch in unseren regelmäßigen Übungen immer wieder betonen:

In der Ersten Hilfe – wie auch im Einsatz allgemein – gibt es kein „Alles richtig machen“. Perfektion ist dort fehl am Platz.

Es gibt selten Schwarz oder Weiß, kein klares Bestehen oder Versagen. Der eine Gruppenführer hätte den Patienten vielleicht so aus dem Fahrzeug geschnitten, der andere anders – und vielleicht hätte der Verlauf sich dadurch verändert, vielleicht auch nicht. Es gibt oft viele Wege, zu helfen – ohne Gewissheit über das Ergebnis, deswegen werden getroffene Entscheidungen nie hinterfragt um zu urteilen, sondern um es evtl. beim nächsten mal anders zu machen. Entscheidungen wurden getroffen, welche in dem Moment von der Person als die Richtige erschien - fertig. Aber viel liegt eben nicht in unserer Kontrolle und diese Erkenntnis und Akzeptanz macht uns frei und ermöglicht es uns erst zu helfen.

Aber es zählt nur eins:

Du bist da. Du tust, was du kannst. Und das reicht.

Auch im professionellen Rettungsdienst, bei der Feuerwehr oder beim Notarzt gilt:

Jede Lage ist neu. Jede Situation eine eigene Geschichte.

Trotz aller Ausbildung, Erfahrung und Fahrzeugen voller Ausrüstung – bei fast jedem Einsatz läuft irgendetwas nicht perfekt. Das gehört zur Realität. Es gibt sogar einen eigenen Begriff dafür: „Chaosphase“ – sie beschreibt die ersten Minuten, in denen vieles unklar ist, in denen es hektisch zugeht oder emotional wird. Das ist normal. Das ist menschlich.

Niemand funktioniert in einer Ausnahmesituation immer fehlerfrei – nicht mal Profis mit 200 Einsätzen im Jahr.

Wichtig ist:

Du warst da. Du hast Verantwortung übernommen. Du hast gehandelt, als andere vielleicht gezögert hätten.

Und das ist das einzige was zählt – immer.

Wenn du das nächste Mal in einer ähnlichen Situation allein bist, wirst du vll. nicht dieselbe Unterstützung haben wie im Team – aber das ist auch nicht der Maßstab. Du kannst nur das tun, was im Rahmen deiner Möglichkeiten liegt. Und das ist vollkommen in Ordnung.

Solche Situationen sind zum Glück selten – und dürfen auch als das gesehen werden, was sie sind: Ausnahmesituationen.

Was dir helfen kann, nicht in eine Vermeidungsstrategie zu rutschen, ist vielleicht dieser Gedanke:

Der Mut, den du damals hattest, war kein Zufall. Er ist Teil von dir.

Und das sage ich nicht nur so dahin, sondern aus eigener Erfahrung und aus eigenem Hadern in der Vergangenheit. Auch ich habe mir – trotz jahrelanger Ausbildung und etlicher Übungen – oft die Frage gestellt: Wie werde ich psychisch und physisch reagieren, wenn ich das erste Mal einen Toten sehe? Wenn ich vor sterbenden Schwerverletzten stehe? Wenn ich in ein brennendes Gebäude laufe oder wir vor Ort feststellen müssen, dass wir nichts mehr tun können?

Das Wichtigste:

Rückblickend kann ich dir sagen: Der Mut, durch solche Situationen zu gehen, kommt nicht plötzlich aus dem Nichts. Er ist etwas, das in dir angelegt ist - nämlich trotz der Angst zu handeln - in welcher Form auch immer. Du hast ihn in dir – nicht als einmalige Reaktion, sondern als Teil deiner Persönlichkeit.

Du hast ihn bereits bewiesen und an dir selbst erlebt. Und weil du ihn aus dir selbst heraus aufgebracht hast – ohne Garantie, ohne Rückversicherung – kannst du auch in Zukunft auf ihn vertrauen. Du musst dich nicht fragen, ob du mutig genug sein wirst. Du warst es. Und du bist es.

Das heißt nicht, dass du dich nie wieder unsicher fühlen wirst. Es heißt nur: Du darfst dir selbst glauben, dass du in entscheidenden Momenten handeln kannst, trotz Angst – nicht perfekt, aber präsent. Und das ist alles, was zählt.

Vll. kannst du versuchen den Ort des Geschehens mit einem Wohlwollen und einem inneren Lächeln und Zufriedenheit betrachten, wenn du wieder dort vorbeigehst: "Dort war ich da, ich war mutig und weiß dadurch nun auch, ich kann es auch in Zukunft sein, wenn es erforderlich ist, ich hab getan was mir möglich war, unabhängig vom Ergebnis - und das war es was gezählt hat."

Beelady84 
Beitragsersteller
 30.05.2025, 00:41

Danke