Wie kann es Zufall geben, wenn es keinen Informationsverlust gibt?

7 Antworten

Eine sehr kurze Geschichte des Zufalls

Das Zeitalter des Determinismus

Die Frage, ob es objektiven Zufall gibt oder nicht, beschäftigt die Philosophie und die Physik seit Jahrhunderten. Im Folgenden soll der Zufall vor allem aus wissenschaftsgeschichtlicher und physikalischer Sicht beleuchtet werden.

Im Mittelalter gab es praktisch keinen Zufall. Fast alles was passierte und was man sich nicht direkt über eine offensichtliche Ursache erklären konnte, wurde einem direkten Eingreifen Gottes zugeschrieben. Da man sich aber oft auch nicht erklären konnte, warum Gott die eine oder andere Entscheidung traf, griff man gerne zu der Erklärung „Gottes Wege sind unergründlich.“ Im späten Mittelalter kam dann mit dem immer stärker werdenden Glauben an Hexen, Dämonen und Teufel als Erklärung für Unerklärliches deren Eingreifen hinzu. Dem ganzen lag ein mystisches Weltbild zugrunde.

Die wissenschaftliche Neuzeit ist geprägt durch den Übergang vom mystischen Weltbild des Mittelalters zu einer mechanistischen Betrachtung der Welt. Die Vorstellung, die ganze Welt sei wie ein Uhrwerk aufgebaut geht bis auf den spätgriechischen Philosophen Platon (427 v.u.Z. bis 347 v.u.Z. (v.u.Z. = vor unserer Zeit oder auch v.Chr.) ) zurück. Diese Vorstellung einer „machina mundi“ (Weltmaschine) wurde von Kepler wieder aufgegriffen. In einem Brief von 1605 schrieb er: „Mein Ziel ist es zu zeigen, dass die himmlische Maschine nicht eine Art göttliches Lebewesen ist, sondern gleichsam ein Uhrwerk.“

Der Philosoph und Mathematiker René Descartes (siehe kartesisches Koordinatensystem) führte das mechanistische Weltbild weiter und übertrug es in seiner Publikation „Meditationes de prima philosophia“ (1641) auf den Menschen sowie tierische Körper.

Basierend auf den obigen Ideen entwickelte dann Isaac Newton seine Physik, die er in „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica.“ (1687) veröffentlichte. Er verhalf damit dem mechanistischen Weltbild endgültig zum Durchbruch.

Innerhalb der Newtonsche Physik wurde die gesamte physikalische Welt als ein Uhrwerk betrachtet, in dem Gott die Rolle des großen Uhrmachers zukam. Die Physiker und Wissenschaftler nach Newton sahen nun nicht mehr ein direktes Eingreifen Gottes in alle möglichen Vorgänge sondern versuchten diese über das Kausalitätsprinzip zu erklären, dass also jede Wirkung eine bestimmte Ursache haben müsse. Damit wurde der sogenannte Determinismus begründet, der ebenfalls keinen Raum für irgendwelche Zufälle ließ. Unerklärliches wurde mit fehlendem Wissen über die konkrete Ursache erklärt. Im einfachen Volk, also außerhalb der Wissenschaften und insbesondere innerhalb der Religion lebte das ursprüngliche mystische Weltbild weiter und alles Unerklärliche wurde immer noch durch direktes Eingreifen Gottes erklärt.

Das änderte sich mit dem großen Erdbeben von Lissabon am 1. November 1755, einer der größten Naturkatastrophen der Neuzeit. Ausgerechnet in der frommsten Stadt des Abendlandes, ausgerechnet an einem der höchsten Feiertage (Allerheiligen) und ausgerechnet zur Zeit der Heiligen Messe am Vormittag, als alle Kirchen völlig überfüllt waren, geschah das große Erdbeben. Zehntausende von Gläubigen wurden in den Kirchen durch deren Einsturz direkt verschüttet und kamen ums Leben. Anschließend brach eine große Feuersbrunst aus und viele Überlebende retteten sich davor an den Strand. Das Beben hatte aber einen schweren Tsunami ausgelöst und in diesem ertranken dann viele Gläubige, die sich an den Strand gerettet hatten. Ausgerechnet die Gefängnisse stürzten nicht ein, aber die ganzen Verbrecher kamen frei und zogen dann plündernd durch die Stadt. Ausgerechnet auch das gesamte Rotlichtviertel blieb von allen Katastrophen, Erdbeben, Feuersbrunst und Tsunami, verschont. Dies stellte das Ende des mystischen Weltbildes auch in der Bevölkerung dar, denn dies alle ließ sich nicht mehr mit Gottes Eingreifen erklären. Von nun an wurden natürliche Ursachen für natürliche Vorgänge gesucht und das Kausalitätsprinzip bzw. der Determinismus wurde allgemein anerkannt. Innerhalb des Determinismus hatte der Zufall aber immer noch keinen Platz gefunden. Es wurde lediglich Gott durch die Natur und die Physik als Ursache ersetzt.

1814 formulierte Pierre-Simon Laplace den Laplaceschen Dämon: „Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Universums als Folge eines früheren Zustandes ansehen und als Ursache des Zustandes, der danach kommt. Eine Intelligenz, die in einem gegebenen Augenblick alle Kräfte kennt, mit denen die Welt begabt ist, und die gegenwärtige Lage der Gebilde, die sie zusammensetzen, und die überdies umfassend genug wäre, diese Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen, würde in der gleichen Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper und die des leichtesten Atoms einbegreifen. Nichts wäre für sie ungewiss, Zukunft und Vergangenheit lägen klar vor ihren Augen.“

Hier wird klar formuliert, dass es keinen Zufall gibt, denn wenn man alles wüsste und alles berechnen könnte, wäre auch alles vorhersagbar. Wenn aber alles berechenbar bzw. vorhersagbar ist, dann kann es prinzipiell keinen Zufall geben.

Das Ende des Determinismus

1986 gab Sir James Lighthill, Präsident der International Union of Theoretical and Applied Mechanics, zum Streit zwischen physikalischen Deterministen und Indeterministen zu Protokoll (zitiert aus "Das Paradox der Zeit" von Ilya Prigogine/Isanbelle Stengers):

„Hier muss ich innehalten und im Namen der großen Bruderschaft der Praktiker der Mechanik sprechen. Wir sind uns heute sehr der Tatsache bewusst, dass die Begeisterung, die unsere Vorgänger für den phantastischen Erfolg der Newtonschen Mechanik empfanden, sie auf diesem Gebiet der Vorhersagbarkeit zu Verallgemeinerungen verleitet haben, an die wir vor 1960 möglicherweise allgemein geglaubt haben, die wir aber inzwischen als falsch erkannt haben. Wir möchten uns gemeinsam dafür entschuldigen, dass wir das gebildete Publikum in die Irre geführt haben, indem wir bezüglich des Determinismus von Systemen, die den Newtonschen Gesetzen genügen, Ideen verbreitet haben, die sich nach 1960 als inkorrekt erwiesen haben."

Wie es zur Verabschiedung des Determinismus und damit zur Akzeptanz des Zufalles als kreatives Element in unserem Universum kam, soll nun kurz angerissen werden.

Erste Zweifel am Laplacschen Dämon kamen durch Henri Poincaré und dessen Arbeit zum sogenannten Dreikörperproblem (1888) auf. Poincaré zeigt darin, dass es innerhalb der Newtonschen Mechanik auch Fälle geben kann, bei denen das strenge Ursache-Wirkungsprinzip nicht mehr in der Weise angewendet werden kann, dass man künftige Entwicklungen in allen Fällen vorhersagen kann, selbst wenn alle Rand- und Anfangsbedingungen exakt bekannt sind. Poincaré begründete damit die Chaosforschung. Im Chaos gibt es keinen Determinismus mehr und erst dadurch wird dem Zufall eine Tür geöffnet.

In den 1960er Jahren untersuchte der Mathematiker Edward N. Lorenz bestimmte schlecht vorhersagbare Wettererscheinungen mathematisch und entdeckte dabei das Phänomen des deterministischen Chaos. Damit werden Phänomene umschrieben, bei denen geringste Änderungen der Anfangsbedingungen im Laufe der Zeit zu völlig anderen Ergebnissen führen. Das bekannteste Beispiel eines deterministischen Chaos ist der sogenannte Schmetterlingseffekt. Dieser Schmetterlingseffekt ist dafür verantwortlich, dass selbst ein Zufall auf Quantenebene (Quantenzufall) letztlich den Endzustand eines ganzen Systems bestimmen kann.

Wie aber nun Zufall zu einer Höherentwicklung führen kann, beschreibt Ilya Prigogine physikalisch in seiner Theorie Dissipativer Strukturen, für die er 1977 den Nobelpreis erhielt und die die größte wissenschaftliche Revolution seit Newton ausgelöst hat. Dieses Theorie Dissipativer Strukturen (TDS) ist keine einzelne Veröffentlichung oder ein einzelnes Buch, sondern umschreibt das gesamte Lebenswerk Prigogine, in dem er sich mit der Frage der Selbsorganisation beschäftigte. Neben der Rolle von Energie, Zeit und deterministischem Chaos erörtert er auch ausführlich, wie der Zufall wirkt, welche konstruktive und kreative Rolle der Zufall spielt, wie ohne Zufall nichts Neues entstehen kann, was genau passiert, wenn der Zufall ins Spiel kommt und wie das ganze physikalisch und mathematisch beschrieben werden kann.

Im Prinzip basiert eine dissipative Struktur darauf, dass in ein stabiles System jede Menge Energie gepumpt wird, sodass sich dieses System immer weiter vom thermodynamischen Gleichgewicht entfernt. Ab einer gewissen Menge zugeführter Energie entfernt sich das System so weit vom thermodynamischen Gleichgewicht, dass es ins Chaos stürzt. In diesem Moment tritt das deterministische Chaos auf. Das System kippt, die zugeführte Energie wird entwertet und in Wärme umgewandelt. Es gibt aber mindestens zwei verschiedene Zustände, in die das System kippen kann, oft gibt es sogar noch mehr mögliche Zustände. In welchen der möglichen Zustände das System dann tatsächlich kippt, ist zufällig. Dabei kann dieser Zufall auf Quantenebene erfolgen. In diesem Moment bestimmt gemäß des Schmetterlingseffektes ein denkbar minimalster Effekt, das kann z.B. der Zerfall eines einzelnen Atoms in Milliarden Lichjahren Entfernung sein, welche weitere Entwicklungsrichtung das System nach dem Kippen nimmt. Sobald diese „Entscheidung“ getroffen ist, sorgt die weiter zugeführte Energie dazu, dass das System sich wieder aus dem Chaos löst und auf einer höheren Organisationsebene mit einer höheren Komplexität ein neues Gleichgewicht findet. Es ist etwas Neues entstanden (emergiert). Solche emergenten Erscheinungen sind grundsätzlich irreversibel, d.h., sie lassen sich keinesfalls mehr auf tieferliegende Ursachen reduzieren. Sie sind etwas Neues und als solches auch nur ganzheitlich und an sich phänomenologisch weiter zu erforschen. Diese Physik, die da abläuft, hat einen ganz neuen Zweig der Physik begründet, den man als die Physik des Lebens bezeichnen könnte. Zu finden ist das insbesondere unter den Stichworten nichtlineare Thermodynamik, nichtlineare Physik, nichtlineare Dynamik, deterministisches Chaos, dissipative Strukturen oder auch Komplexitätstheorie.

Die Energiezufuhr und das Verstreichen von Zeit sorgen dafür, dass das System komplexer wird. In welche Richtung sich diese Weiterentwicklung bewegt, ist aber nicht vorherbestimmt (determiniert). Die ist davon abhängig, in welche Richtung der Zufall das System im Zustand des deterministischen Chaos kippen lässt. 

Das Prinzip der maximalen Entropieproduktion

Hierauf muss ich nochmal näher eingehen. Um den schwer zu fassenden Begriff "Entropie" zu vermeiden, verwende ich stattdessen den Begriff Energieentwertung (= Dissipation).

Energie hat grundsätzlich das Bestreben, sich so schnell wie möglich zu entwerten, sprich in Wärme umzuwandeln. Energie hat nämlich nicht nur eine Quantität, sondern auch eine Qualität. Die Qualität bemisst sich daran, wie leicht sie sich in andere Energieformen umwandeln lässt. Die höchste Qualität hat die Gravitationsenergie. Um die Gravitationsenergie eines Körpers in eine andere Energieform umzuwandeln, muss man ihn einfach nur los- und fallen lassen. Die niedrigste Qualität hat Wärme bei Umgebungstemperatur. Die lässt sich in keine andere Energieform mehr umwandeln. Nun hat Energie grundsätzlic h das Bestreben, sich so schnell wie möglich zu entwerten und der Wärme zuzustreben. Dieses Bestreben steckt hinter dem von prigogine entdeckten physikalischen Prinzip der maximalen Entropieproduktion und dieses Prinzip ist die Triebfeder für alle Entwicklungen im Universum incl. der Entstehung von Leben, der Evolution, der Entstehung von Geist und Bewusstsein und auch der Entwicklung von Zivilisationen.

Dieses Prinzip wirkt sowohl in der "toten" Physik als auch beim Leben.

Das einfachste Beispiel ist fließendes Wasser. Wasser sucht sich grundsätzlich den kürzesten und schnellsten Weg abzufließen. Dazu getrieben wird es von dem Bestreben, seine potenzielle Energie (= Gravitationsenergie) möglichst schnell zu entwerten, also loszuwerden.

Nun hat Prigogine festgestellt, dass in sogenannten dissipativen Strukturen, zu denen jegliches Leben gehört, die Energieentwertung noch viel schneller geht, als bei rein physikalischen (toten) Vorgängen. Wenn hochwertige Energie die Möglichkeit hat, sich auf diesem schnelleren Weg zu entwerten, dann nutzt sie diesen Weg auch. Dadurch ist Leben überhaupt erst entstanden. Der entscheidende Unterschied zwischen toter Materie und Leben besteht darin, dass noch Information dazukommt. Auch die Entstehung von Information, z.B. in Form der DNA, folgt dem Prinzip der schnellstmöglichen Energieentwertung. Der Mechanismus, dem das zugrunde liegt, ist in der Theorie bekannt, es handelt sich um sogenannte Markovketten. Die Bildung solcher informationstragender Markovketten verbraucht hochwertige Energie, die dabei in Wärme umgewandelt wird.

Dadurch, dass zu dissipativen Strukturen zusätzlich Information hinzutritt, können sich innerhalb eines Systems Strukturen im Rahmen der Selbstorganisation herausbilden, die Energie noch schneller entwerten können. Wir nennen das Stoffwechsel und Selbsterhaltung (Autopoiese). Leben ist entstanden.

Nun kommen wir auch zum Menschen. Was den Menschen besonders auszeichnet, ist sein besonders großes Gehirn. Auch das hat sich durch die Triebfeder der maximalen Energieentwertung im Laufe der Evolution entwickelt. Das lässt sich leicht daran erkennen, dass das Gehirn einen ungeheuer großen Energieverbrauch hat und extrem viel Wärme produziert. Etwa 1/3 der von uns aufgenommenen Nahrungsenergie wird alleine im Gehirn entwertet und in Wärme umgewandelt. Dabei befindet sich das Gehirn im andauernden Zustand des dissipativen Chaos, als dem Zustand, bei dem Zufall und Ordnung in einer fortwährenden Wechselbeziehung zueinander stehen.

Zusammenfassung

Das Bestreben der Energie, sich möglichst effizient zu entwerten, ist die Triebfeder, die alles im Universum vorantreibt. Das Prinzip der maximalen Entropieerzeugung sorgt für die Entwicklungsrichtung zu immer komplexeren Strukturen. Sie ist die schöpferische Kraft, die Neues entstehen lässt. Was sich letztlich von allem durch den Zufall entschiedenen Neuen letztlich durchsetzt und bestehen bleibt, wird dadurch entschieden, was Energie effizienter entwertet. Dies entspricht dem Mechanismus der Selektion.

Der Zufall spielt dabei die Rolle, dass er in der durch die Energieentwertung vorgegebenen Richtung zu höherer Komplexität die konkrete Ausformung der komplexen Struktur bestimmt, also unter mehreren Möglichkeiten sich zufällig für eine entscheidet und die anderen auslässt. Dies entspricht dem Mechanismus der Mutation.

Zufall ist primär statistische Information, und die geht auch nicht verloren.

Wenn wir der Quantenmechanik glauben schenken, dann existiert in unserer Welt eine gewisse "Körnigkeit" Das plancksche Wirkungsquantum ist die kleinste Wirkung unter derer es keine andere Wirkung gibt. Alles was kleiner ist als das plancksche Wirkungsquantum wird nicht ernst genommen in unserer Welt. Es ist ein Bisschen so als würdest du einen Apfel mit Mikroben bewegen. 10 Mikroben schieben an dem Apfel aber der bewegt sich nicht vom Fleck, dann kommen 10000 Mikroben aber noch immer bewegt er sich nicht vom Fleck erst bei 1000000001 Mikroben bewegt sich der Apfel ein wenig. Aber unterhalb dieser Grenze spielt es keine Rolle wie viele Mikroben drücken, der Apfel wird sich nicht bewegen. Es brauch ein Mindestmaß an Wirkung. Alles was unterhalb des planckschen Wirkungsquantum also passiert ist also unbestimmt und das ist nicht so, dass wir einfach nicht genau genug messen können sondern das ist eine fundamentale Tatsache, das heißt also auch, dass die Natur unterhalb der Grenze "unbestimmt" ist und das ist es, was man hier versuchen muss zu verstehen.

Bei Ereignissen, die berechenbar und vorhersagbar sind, ist demnach kein Zufall im Spiel, hier geht es um Ursache und Wirkung. Andere Dinge sind dagegen nicht berechenbar, "und sie werden es wohl auch niemals sein", sagt Florian Aigner. Zum Beispiel, was seine Katze in zwei Stunden machen wird.

Quantenmechanik?

Unschärferelation?

WoDerSinn 
Fragesteller
 28.11.2021, 22:46

OK danke dann informiere ich mich Mal darüber:)

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