Hedone - Epikur

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Das Missverständnis im Hinblick auf den Lustbegriff Epikurs kann, meine ich, nur darin liegen, dass Epikur mit Hedone nicht eine an momentanen Genüssen orientierte egoistische Lebenseinstellung – so der landläufige Begriff von Hedonismus - meinte. Auch der Lustbegriff seines Vorgängers Aristipp wird von Epikur nicht übernommen. Aristippos von Kyrene (um 400 v. Chr.) gilt als Begründer des Hedonismus. Er unterscheidet zwei Zustände der menschlichen Seele, die Lust als sanfte und den Schmerz als raue, ungestüme Bewegung der Seele. Glück erreicht man nach Aristipp, wenn man die Lust maximiert, dem Schmerz aber ausweicht. Er behauptet, die körperliche Lust sei der eigentliche Sinn des Lebens. Es ging ihm weniger um einen Entwurf gelingenden Lebens (so Epikur), sondern eher um ein Konzept des gelingenden, von Lust bestimmten Augenblicks. Epikur dagegen beschreibt die Lust als Prinzip gelingenden Lebens. Der entscheidende Schritt, der Epikur von den vorhergehenden Hedonisten (Aristipp) unterscheidet, ist, dass er auch die Ataraxie (die vollkommene Seelenruhe, völlige Freiheit von Schmerzen, von Beunruhigung) als Lust, nämlich als höchste Lust ansieht. Insofern unterscheidet Epikur zwischen „vernünftigen“ und „unvernünftigen“ Begierden. Die „vernünftigen“ Begierden sind solche, die unserer Natur entsprechen, dementsprechend keinen Schaden nach sich ziehen und leicht zu erreichen sind. Ein Mensch mit einem gemäßigten Verlangen, welches nur auf das Notwendigste gerichtet ist, wird dauerhaft die höchste Lust erfahren. Die Erfüllung „unvernünftiger“ Begierden führt zwar kurzfristig zu einem Lustzuwachs, zieht aber auf lange Sicht Schmerzen nach sich. Zu dieser Kategorie gehören Schlemmereien und orgiastisches Verhalten jeder Art. Zu einer Aufrechterhaltung einer vernünftigen Lust führte Epikur eine fast asketische, tugendhafte Lebensweise. Es ist für Epikur nicht möglich, lustvoll zu leben, ohne dass man klug, schön und gerecht lebt. Ein Mensch mit einem gemäßigten Verlangen, welches nur auf das Notwendigste gerichtet ist, wird dauerhaft die höchste Lust erfahren. Fazit: Epikurs Hedone-Begriff führt zu dem Missverständnis, er sei ein Hedonist in der Art des Aristipp, dem es vor allem um ein Konzept des gelingenden, von Lust bestimmten Augenblicks ging. Epikur ging es um ein Konzept des gelingenden Lebens. Dieses Konzept ist nur umsetzbar, wenn man nach vernünftigen Begierden strebt. Die Ataraxie ist für ihn die höchste Form der Lust. Sie ist nur zu erreichen, wenn man „klug, schön und gerecht lebt“.

Epikur wird gerne in die Schublade "Hedonist" gesteckt, obwohl eine ganze Reihe seiner Ausführungen dazu nicht passen. Ein großes Thema von Epikur ist, die Menschen von Angst zu befreien, damit sie selbstbestimmter agieren können. Dieses selbstbestimmte Agieren, die persönliche Integrität und Freiheit ist ihm sehr, sehr wichtig, wichtiger als sinnlicher Genuss. Er scheint ein Gespür dafür zu haben, dass sinnlicher Genuss auch eine Falle sein kein, bei der die unabhängige Freiheit ins Netz gehen kann. So verwundert es nicht, dass einem hin und wieder Epikur wie ein profaner Asket vorkommt (was auch Nietzsche gestört hat).

Die Seele des Menschen, die nach Epikur den Körper sozusagen wie ein feinatomarer Handschuh umgibt, ist als Sitz des Verstandes nicht nur ein Koordinator der äußeren Sinne sondern auch ein Seismograph für innere Befindlichkeiten, die dem Verstand durch Signale von "gut" und "schlecht" signalisieren, was lebensförderlich ist und was lebenshinderlich. Dieser innere Seismograph ist nach Epikur schon bei Kleinkindern anzutreffen, ja sogar bei allen Lebeweisen als Orientierung, wie sie am besten durchs Leben kommen. In diesem Sinn als Lebensorientierung sieht Epikur das Gefühl von "gut" und "schlecht" oder "glücklich" und "unwohl" als grundlegende Lebensorientierung, das signalisiert, wo natürliche Bedürfnisse verletzt werden.

Aber der Mensch ist ein Wesen, dessen natürliches Empfinden für "natürlich gut" und "unnatürlich" kulturell überlagert ist, sodass er sich selbst unnatürlich übersteigerten Bedürfnissen aussetzen kann, die ihn auch beherrschen können und er so seine Souverainität verliert. Das aber stört empfindlich sein Ziel des Seelenfriedens, die Grundlage der Gelassenheit und eines besonnenen Abwägens. Der epikureische Weise lässt sich weder durch unnatürliche Ängste noch durch unnatürliche Begierden aus der Besonnenheit ablenken, verharrt gelassen in ausgewogenem Seelenfrieden. Hedonä als Ausdruck natürlicher Bedürfnisse ist ein lebenswichtiges Signal, aber als Ausdruck kulturell überzogener Begierlichkeiten, die die gelassene Selbstbestimmung bedrohen, ist ihm verwerflich.