Galten früher die Formen "frägt, frug und früge" als korrekt oder waren sie schon immer landschaftlich?

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Das ist eine schwierige Frage. Die schnelle Antwort ist: Fragen ist ein gewöhnliches schwaches Verb, und daher lautet das Präteritum fragte, nicht *frug. Entsprechend lautet das Partizip gefragt und nicht *gefragen. DIe lange Ant­wort ist länger aber auch interessanter.

Die Deutsche Sprache geht vor die Hunde! Die starken Verben sterben aus! Früher hat man gesagt „ich frug”, aber heute sagen alle „ich fragte”. Ist das nicht eine Kul­tur­schan­de? Schrieb nicht Goethe: „Niemals frug ein Kaiser nach mir, hat sich kein König um mich bekümmert“ oder „Der König frug ihn: ‚Habt ihr die 6000 Ducaten bei euch?’“ Echt, die Welt steht nicht mehr lang!!!

So oder so ähnlich kann man es im Internet lesen. Und fast nichts davon stimmt.

Es ist richtig, daß im Lauf der Zeit ein paar starke Verben zur schwachen Konjugation wechselten — im Lauf der letzten 1000 Jahre geschätzt 20 Stück (Beispiele aus je ei­ner Klasse: speisen, schmiegen, bellen, rächen, kneten, nagen, spannen). Bei einigen mehr sind die starken Formen noch vereinzelt in Gebrauch, oder es existieren Ab­lei­tun­gen dazu. Die folgenden ehemals starken Verben werden zwar heute meist oder im­mer im Präter­itum schwach konjugiert, trotzdem kennt man noch die starken For­men aus speziellen Kontexten:

bleichen/blich/geblichen — man spricht heute noch von verblichenen Buchstaben
sieden/sott/gesotten — man sagt gesottenes Rindfleisch
glimmen/glomm/geglommen — hier hört man sogar das Präteritum manchmal stark
bewegen/bewog/bewogen — ich bewegte den Wagen aber was bewog dich dazu?
backen/buk/gebacken — heute ich backte aber habe gebacken (nicht **gebackt)
spalten/spielt/gespalten — heute ich spaltete aber habe gespalten (nicht **gespaltet)

Du siehst, daß schwach gewordene starke Verben oft irgendwelche Relikte hinter­las­sen, an denen an ihre ehemals starke Vergangenheit sehen kann. Aber bei fragen fin­den wir nichts; wenn das Verb vor wenigen Jahrhunderten noch stark gewesen wäre, dann würde man aber genau das erwarten. Dazu kommt, daß, wie Du an den Beispie­len siehst, das Partizip resistenter ist, also die starken Formen länger bewahrt als das Prä­ter­itum; bei fragen entzündet sich die Diskussion aber nur am Präteritum; niemand schlägt ernst­haft *ich habe gefragen vor.

Das öffnet die nächste Frage: Gab es denn im Deutschen jemals eine Form ich frug? Dazu fragen wir die Klassiker, z.B. Goethe:

Da mir sein Wesen gefiel, redete ich ihn an, fragte nach seinen Umständen (Werther)
"Was bringen Sie?" fragte Mariane (Wilhelm Meisters Lehrjahre)
„Hast du meine Frau nicht gesehen?“ fragte Eduard (Wahlverwandtschaften)
So fragte sie mich einmal, was das für ein Baum sei. (Italienische Reise)
Und niemand fragte: wer genas? (Faust 1)

Aber vielleicht ist der ja schon zu spät, wie ist das im Nibelungenlied (≈1250)?

Er vragte Sivride den gesellen sin: „ist iv daz iht chvnde vmb disiv magedin”
Er fragte seinen Gefährten Siegfried „Ist Euch (???) Kunde über diese Mädchen?“
Er fragte seinen Gefährten Siegfried „Habt Ihr Wissen über diese Mädchen?“

Noch älter? Die Wörterbücher geben die althochdeutsche Form als frāgēn an, das wäre dann ein schwaches Verb der E-Klasse, kein starkes. Leider weiß ich kein Text­beispiel.

Zuletzt können wir uns fragen, wie das in anderen germanischen Sprachen aussieht. Der Befund ist dürftig. Es gibt altenglisch fregnan, und das ist stark (Klasse III, so wie binden oder helfen). Aber dieses Wort ist mit Nasal gebildet, bei dem deutschen frag/frug/gefragen geht es um Klasse VI (wie tragen).

Das Holländische hat dagegen dasselbe Verb vragen wie das Deutsche, und es ist schein­­bar stark: ik vraag, ik vroeg (gesprochen [frux]), ik heb gevraagd. Siehst Du das Problem an diesem Verb? Sein Partizip ist schwach, vergleiche z.B. dragen ‘tragen’ mit echt starken Formen: ik draag, ik droeg, ik heb gedragen. Wiktionary gibt die alt­nieder­län­di­sche Form als vragon an, und das sieht mir wie die Endung eines schwa­chen Verbs aus — starke Verben enden auf -an, z.B. dragan. Altniederländisch hat keine E-Klasse, daher ist das Wort wohl in die O-Klasse der schwachen Verben ge­rutscht.

Im Internet wird auch behauptet, das Verb sei im Niederdeutschen stark. Ich weiß nicht, ob das stimmt (steht ja viel Unfug im Internet), aber das eröffnet eine Hypo­these, was es mit diesem Verb auf sich haben könnte:

Vermutlich ist das ehemals schwache Verb in irgendeinem westlichen oder nörd­li­chen Dialekt plötzlich stark geworden. Von dort breitete sich das starke Präteritum aus und schwappte auch ein bißchen ins Hochdeutsche, konnte sich dort aber nicht fest­setzen und galt ver­mut­lich nie als hochsprachlich; nur im Holländischen ver­dräng­te es das starke Präteritum (aber nicht das Partizip).

Weil es nicht standardsprachlich war, konnte Goethe (wie auch andere Dichter des 19. Jahrhunderts) es verwenden, wenn er sich über die antiquierte und gestelzte Sprech­weise des Hochadels lustig machen wollte. Aus welchen Werken die ein­gangs zi­tier­ten Stellen stammen, weiß ich leider nicht, aber ist ist jedes Mal von einem Kö­nig/Kai­ser die Rede, und das riecht nach Ironie. Nebenbei gesagt: Es ist wirk­lich eine Schan­­de, wie schlecht Goethes Werk im Netz vertreten ist; die einzige mäßig brauch­bare Quel­le ist zeno.org, und dort gibt es keine Suchfunktion.

Woher ich das weiß:Hobby – Angelesenes Wissen über Sprach­geschich­te und Grammatik

Goethe nutzte Adelungs Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart. Darin steht zum Lemma fragen:

Daß einige Niedersachsen, wenn sie Hochdeutsch reden wollen, dieses Zeitwort im Imperf. irregulär abwandeln, ich frug, für ich fragte, ist schon von andern gerüget worden. Häufiger, aber darum nicht richtiger, ist die Abwandelung des Präsentis du frägst, er frägt, für du fragst, er fragt.

(https://lexika.digitale-sammlungen.de/adelung/lemma/bsb00009132_1_2_2435)

Standarddeutsch: fragen, fragte, gefragt

Regel: Bei schwachen Verben darf der Vokal im Verbstamm nicht verändert werden.

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Der Unverbesserliche

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Man fragte mich: »Heißt’s fragte oder frug?«

Ich sagte drauf: »Ich wähle immer fragte,

Da man ja auch statt sagte nicht sägt sug,

Was schlecht dem Ohr und Sprachgebrauch behagte.«

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Der andre sprach: »Ich werde draus nicht klug.

Man sagt doch auch nicht schlagte oder tragte?«

Ich sprach: »Ausnahmen sind nur schlug und trug.

Doch tug, rug, zug und wug noch keiner wagte.

.

Nun wird der Zweifel, der bisher Sie nagte

und plagte – und nicht etwa nug und plug –

behoben sein, ob richtig frug, ob fragte?«

Der andre sprach: »Sie haben recht«, und schlug

sich an die Stirn, als ob ihm Licht nun tagte.

»Verzeihen Sie, dass ich so töricht frug.«

.

(Der Verfasser dieses Sonetts ist unbekannt, um 1900.)

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

Hallo, lieber Khaled 706,

die Formen "frägt", "frug" und "früge" sind immer noch teilweise richtige Nebenformen und waren früher auch in der Standardsprache üblich. In vielen älteren Diktionären lassen sich dessenthalben beide Formen finden.

Belege gibt es viele:

'Et ist derno, as et fällt, sagg Ulenspiegel, du frug öm de Wertsfrau, die en Dropp en Nas hatt, of he meteten (mitessen) woll'; variiert:

Quelle: Röhrich, Lutz: Eulenspiegel. In: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten [Elektronische Ressource], Berlin: Directmedia Publ. 2000 [1994], S. 1597

Hinterher frug mich Dr. Johnston, was ich von diesem Besucher hielte.

Quelle: o. A.: Zweihundertsechzehnter Tag. Samstag, 31. August 1946. In: Der Nürnberger Prozeß, Berlin: Directmedia Publ. 1999 [1946], S. 29127

"Was soll ich, ein armer Maler, in diesem Geisterkampf?" frug Meister Mathis und verfiel ins Sinnen.

Quelle: Weismantel, Leo: Die höllische Trinität, Berlin: Union-Verl.1966 [1943], S. 15

Heutigentags gelten die Formen "frägt", "frug" und "fruge" als landschaftlich und somit standardsprachlich inkorrekt.

Quelle:

https://www.dwds.de/r?corpus=kern;q=frug

Herzliche Grüße und Gottes Segen wünsche ich dir! :)