Freund (29 Jahre alt) stottert und weiß davon Nichts!?
Habe vor kurzem schon darüber geschrieben und nun auf euren Rat hin das Thema "Stottern" angesprochen und bekam eine völlig überraschte Antwort. Wie kommst du darauf das ich stottere. Ich habe nie gestottert. "Vielleicht suche ich manchmal länger nach Worten als du". Er war nicht sauer und stritt es nicht einfach ab, sondern war wirklich überzeugt dass er nicht stottert. Er stottert aber nicht nur in besonders angespannten Situationen sondern eigentlich in jedem Gespräch . Kann es sein dass er entweder erst angefangen hat zu stottern kurz bevor er mich kennengelernt hat und/ oder es ihm nie aufgefallen ist UND er nie vorher darauf angesprochen wurde?
5 Antworten
Deine Anfrage ist sehr interessant für mich.
Das, was am Stottern Deines Freundes wirklich untypisch ist, dass er "eigentlich in jedem Gespräch" unflüssig spricht, d.h. das macht, was Du als Stottern bezeichnest. Der Vergleich von Albatroesser mit dem Lispeln, wo das mangelte Störungsbewusstsein geradezu notorisch ist, ist vielleicht gar nicht so schlecht.
Ich habe beobachtet, dass eine bestimmte, dem Stottern sehr ähnliche Art von unflüssigem Sprechen gerade bei englischsprachigen Prominenten sehr häufig vorkommt. Der US-Außenminister Warren Christopher ist ein Beispiel dafür, aber auch Barack Obama und Ray Charles, Larry Summers, Harvard-Präsident und früherer US-Finanzminister. Das sind die, die mir gerade einfallen, aber ich würde noch jede Menge weiterer Beispiele finden.
Ich habe mich für dieses Phänomen bisher nicht besonders interessiert, aber Deine Fragen hier im Forum lassen mich doch nachdenken:
-- Gibt es eine Störung, die man FUD (frequent unconscious dysfluency) nennen könnte?
-- Welches Bewusstsein haben Menschen mit FUD von der Qualität ihres Sprechens?
-- Wie könnte man FUD messen?
-- Welchen Entwicklungsverlauf nimmt FUD?
-- Kommt FUD zusammen mit Stottern vor?
-- Gibt es flüssigkeitsverbessernde Bedingungen für FUD ebenso wie für Stottern?
-- Von welchen situativen Variablen hängt die Stärke des FUD ab, sofern FUD überhaupt variiert?
-- Gibt es körperliche Unterschiede zwischen der Allgemeinbevölkerung und Menschen mit FUD, so wie das beim Stottern der Fall ist?
-- usw.
Man sieht, da können sich noch ganze Generationen von Forschern die Zähne ausbeißen. Da Menschen mit FUD keine "Beschwerde" haben, wird der unmittelbare Nutzen für die Betroffenen nicht groß sein, wohl aber für das Verständnis des Phänomens "Umflüssiges Sprechen" überhaupt.
Ehrlich gesagt, ich würde Deinen Freund gerne einmal persönlich kennenlernen.
Woran das liegt, weiß ich zwar nicht, aber wenn es er nicht mal selber merkt, scheint es ihn ja auch überhaupt nicht einzuschränken im Leben. Und das ist doch sehr gut. :) Dass er erst jetzt damit angefangen hat, bezweifle ich stark, da Stottern i.d.R. immer bereits im Kindesalter auftritt.
Ich habe früher gelispelt und das auch nie mitgekriegt. Meine Mutter hat mich dann zum Logopäden geschickt. Der hat mir eine andere Haltung der Zunge beigebracht, aber sonst nix. Ich war überzeugt davon, dass es rausgeschmissenes Geld war, weil sich eh nicht geändert hat. Bis ich irgendwann mal mit meiner Mutter drüber gesprochen habe und sie meinte: Du lispelst überhaupt nicht mehr! Also irgendwie habe ich gelispelt und es mir wieder abgewöhnt, ohne es mitzukriegen. Genauso ist es möglich, dass dein Freund sein Stottern nicht bemerkt. Ihm könnte ein Logopäde wie bei mir trotzdem helfen.
Eine Videoaufnahme zu machen, ist vielleicht keine schlechte Idee. Das würde ich ja in der Therapie machen, wenn Dein Freund zu mir käme mit dem Anliegen, seine Sprechflüssigkeit zu verbessern. Es ist ja, hoffentlich!, nicht so, dass man alles eigenes Verhalten, das einem nicht bewusst ist und das einen nicht stört, gut und erstrebenswert findet, wenn man es erkennt.
Ich habe einmal in einer Fernsehaufnahme (nicht Heimvideo, sondern Fernsehen) bemerkt, dass ich beim Sprechen in kleinen Pausen immer wieder etwas Luft hörbar zwischen den Zähnen eingesogen habe. Das hatte nichts mit Stottern zu tun, auch nicht mit der Vermeidung von Stottern. Ich fand das albern und hässlich und habe mich bemüht, es bei weiteren öffentlichen Auftritten zu vermeiden, von mir beauftragte Beobachter sagen mit Erfolg.
Ob Dein Freund also Hilfe in Anspruch nehmen will, hängt nicht nur davon ab, ob es ihn stört, sondern kann auch davon abhängen, ob er, wenn er es hört und sieht, sein Sprechen gut findet.
Das kann sein. Es gibt eine Fremdwahrnehmung und eine Eigenwahrnehmung. Was man bei Fremden/anderen bemerkt (Fremdwahrnehmung), muss man bei sich selbst noch lang nicht bemerken (Eigenwahrnehmung).
Wahrnehmung ist oft Teil einer Redeflusstherapie, gerade wenn man nicht nur eine Sprechmustervariation anstrebt.
Offenbar hat Dein Freund kein Störungsbewusstsein, nimmt die unflüssigen Redeanteile noch nicht einmal bei sich wahr.
Nimm ihn auf und zeig es ihm :).
Nein, mir geht es gar nicht darum ihm zu beweisen dass er stottert, mich interessiert bloss ob es wirklich sein kann, dass man das nicht merkt?!
Vielen Dank für deine Antwort. Da mein Freund (wenn er es wirklich nicht weiß) ja gar kein Problem hat, denke ich nicht das er Hilfe brauchen wird?!?