Büchners Briefe an die Familie

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Der markierte Satz bezieht sich, wenn untersucht wird, was gemeint ist und was aus dem vorher Geschriebenen in einer bildhaften Kennzeichnung aufgenommen wird, weder auf die „zu eng geschnürte Wickelschnur“ noch auf die zu Anfang erwähnte Gewalt, sondern auf „das Bewilligte“.

Die „zu eng geschürte Wickelschnür“ ist allerdings als auch gewaltsam ausgeübte Einschränkung von Freiheit und als Unterdrückung richtig gedeutet. In den Ausdrücken an dieser Stelle steckt auch eine Behandlung des Volkes wie ein kleines Kind, als unmündig.

Der Brief, den Georg Büchner um den 6. April 1833 aus Straßburg an seine Familie in Darmstadt schrieb, enthält eine deutliche Beurteilung des politischen Zustandes und erklärt das von den Fürsten Bewilligte für geringfügige Zugeständnisse, ihnen durch Druck abgezwungen („Alles, was sie bewilligten, wurde ihnen durch die Notwendigkeit abgezwungen.“).

Georg Büchner, Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente. Band 2: Schriften, Briefe, Dokumente : Text und Kommentar. 1. Auflage. Herausgegeben von Henri Poschmann unter Mitarbeit von Rosemarie Poschmann. Frankfurt am Main : Deutscher Klassiker-Verlag im Taschenbuch. 2006 (Deutscher Klassiker-Verlag im Taschenbuch ; Band 13), S. 366 – 367:
„‹…› Heute erhielt ich Euren Brief mit den Erzählungen aus Frankfurt. Meine Meinung ist die: Wenn in unserer Zeit etwas helfen soll, so ist es Gewalt. Wir wissen, was wir von unseren Fürsten zu erwarten haben. Alles, was sie bewilligten, wurde ihnen durch die Notwendigkeit abgezwungen. Und selbst das Bewilligte wurde uns hingeworfen wie eine erbettelte Gnade und ein elendes Kinderspielzeug, um dem ewigen Maulaffen Volk seine zu eng geschnürte Wickelschnur vergessen zu machen. Es ist eine blecherne Flinte und ein hölzerner, womit nur ein Deutscher die Abgeschmacktheit begehen konnte, Soldatchens zu spielen. Unsere Landstände sind eine Satyre auf die gesunde Vernunft, wir können noch ein Säculum damit herumziehen, und wenn wir die Resultate dann zusammennehmen, so hat das Volk die schönen Reden seiner Vertreter noch immer teurer bezahlt, als der römische Kaiser, der seinen Hofpoeten für zwei gebrochene Verse 20,000 Gulden geben ließ. Man wirft den jungen Leuten den Gebrauch der Gewalt vor. Sind wir denn aber nicht in einem ewigen Gewaltzustand? Weil wir im Kerker geboren und großgezogen sind, merken wir nicht mehr, daß wir im Loch stecken mit angeschmiedeten Händen und Füßen und einem Knebel im Munde. Was nennt ihr denn gesetzlichen Zustand? Ein Gesetz, das die große Masse der Staatsbürger zum fronenden Vieh macht, um die unnatürlichen Bedürfnisse einer unbedeutenden und verdorbenen Minderzahl zu befriedigen? Und dies Gesetz, unterstützt durch die rohe Militärgewalt und durch die dumme Pfiffigkeit seiner Agenten, dies Gesetz ist eine ewige, rohe Gewalt, angetan dem Recht und der gesunden Vernunft, und ich werde mit Mund und Hand dagegen kämpfen, wo ich kann. Wenn ich an dem, was geschehen, keinen Teil genommen und an dem, was vielleicht geschieht, keinen Teil nehmen werde, so geschieht es weder aus Mißbilligung, noch aus Furcht, sondern nur weil ich im gegenwärtigen Zeitpunkt jede revolutionäre Bewegung als eine vergebliche Unternehmung betrachte und nicht die Verblendung Derer teile, welche in den Deutschen ein zum Kampf für sein Recht bereites Volk sehen. Diese tolle Meinung führte die Frankfurter Vorfälle herbei, und der Irrtum büßte sich schwer. Irren ist übrigens keine Sünde, und die deutsche Indifferenz ist wirklich von der Art, daß sie alle Berechnung zu Schanden macht. Ich bedaure die Unglücklichen von Herzen. Sollte keiner von meinen Freunden in die Sache verwickelt sein? […].“

Ein Beispiel für das Bewilligte, das auch im Brief vorkommt, und als etwas wie eine blecherne Flinte und ein hölzerner Säbel, ein Kinderspielzeug, aber weit von einem ernsthaften politischem Recht entfernt gilt, sind die Landstände.

Albrecht  18.01.2013, 23:48

In Artikel 13 der Deutschen Bundesakte von 1815 stand: „In allen Bundesstaaten wird eine landständische Verfassung stattfinden."

Eine Verfassung ist eine politische Grundordnung mit Rechtsnormen. Landstände waren politische Vertretungen der Stände gegenüber dem Landesherrn (Herrscher). Die Bezeichnung Stände (eine gesellschaftliche Untergliederung) stammt aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit. Stände waren Gruppen der Gesellschaft, in der die Zugehörigkeit weitgehend durch Herkunft festgelegt war und eine feste Ordnung den Platz und die Rechte bestimmte. Klerus (Geistliche) und Adel waren immer in den Ständeversammlungen vertreten, der Rest der Bevölkerung nicht unbedingt. Landstände konnten den Herrscher beraten und in einem mehr oder weniger großen Ausmaß mitbestimmen.

Eine landständische Verfassung ist eine Verfassung mit Landständen als Volksvertretung. Der Begriff (eine klare Definition ist in der Bundesakte nicht enthalten) ist absichtlich schwammig gewählt worden. So waren die einzelnen Statten wenig festgelegt. Der Ausdruck konnte schönklingend als Berücksichtigung des Volkes und moderner Forderungen nach einer Verfassung gedeutet werden. Andererseits konnte unter dieser Bezeichnung auch eine alte Form mit geringen Mitwirkungsmöglichkeiten beibehalten oder eingeführt werden. Landstände konnten alte Arten der Ständevertretung sein, ohne allgemeines Wahlrecht und mit einer Beteiligung, bei der jeder Stand sich zunächst unter sich einigte und nicht nach Mehrheit der Personen insgesamt entschieden wurde. Es konnte auch eine echte Volksvertretung im Sinn einer konstitutionellen Monarchie mit einem Parlament sein.

In der Verfassung des Großherzogtums Hessen-Darmstadt vom 17. Dezember 1820 stand in Artikel 4: „Der Großherzog ist das Oberhaupt des Staates, vereinigt in Sich alle Rechte der Staatsgewalt und übt sie, unter den von Ihm gegebenen, in dieser Verfassungsurkunde festgesetzten Bestimmungen aus.“

Es gab als Landstände einen Landtag mit zwei Kammern, die eine Kammer mit Adligen und hohen Amtsträgern, die andere Kammer mit nach einem indirekten (mehrstufigen) Wahlrecht, das nur Wohlhabenden tatsächlich die Wahl bestimmen ließ, gewählten Angeordneten. Der Landtag hatte ein Haushalts- und Steuerbewilligungsrecht sowie ein Zustimmungsrecht bei Gesetzen, aber keine Gesetzesinitiative.

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