Biologie Hilfe?

1 Antwort

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Die natürliche Selektion kann auf drei Arten wirken: stabilisierend, gerichtet oder spaltend.

Grundlage der Evolution ist ja, dass die Individuen einer Art bzw. Population nicht alle gleich sind. Es gibt innerhalb der Population eine Merkmalsvariabilität. Stellen wir uns z. B. eine Vogelart vor, dann haben manche Vögel einen kleinen, andere einen etwas größeren und wieder andere einen noch größeren Schnabel. Die Merkmalsverteilung können wir graphisch als Kurve darstellen, indem wir auf die X-Achse die Merkmalsgröße auftragen (z. B. Schnabellänge in mm) und auf die Y-Achse die Häufigkeit, mit der ein bestimmtes Merkmal (z. B. eine Schnabellänge von 5 mm) in der Population vorkommt. Häufig ist ein Merkmal normalverteilt. Das bedeutet, dass das durchschnittliche Merkmal am häufigsten ist und die Häufigkeit in Richtung der Extremwerte immer mehr abnimmt. Der Graph einer solchen Merkmalsverteilung nimmt deshalb einen typischen glockenförmigen Verlauf. Man bezeichnet ihn auch als Glockenkurve oder Gauß'sche Glockenkurve. Die obere Reihe in deiner Abb. links stellt den Verlauf einer Merkmalskurve beispielhaft dar. Wie du den Zahlen entnehmen kannst, ist das durchschnittliche Merkmal (2) am häufigsten (50 %), während die Extremwerte (1 und 3) mit durchschnittlich 20 % seltener sind - eine typische Normalverteilung eben. Der senkrechte Strich markiert jeweils den Mittelwert. Bleiben wir bei unserem Beispiel der Schnabellänge, dann steht 1 für einen kleinen, 2 für einen mittelgroßen und 3 für einen großen Schnabel. Am häufigsten haben die Vögel in der Population einen mittelgroßen Schnabel, je kleiner (oder größer) der Schnabel ist, umso weniger Vögel gibt es mit diesem Merkmal.

Nun hat aber nicht jedes Merkmal denselben Überlebenserfolg. Manche Merkmale können für das Überleben von Vorteil sein, andere eher von Nachteil oder neutral. Ob ein Merkmal nun "gut" oder "schlecht" für das Überleben ist, hängt von den jeweils herrschenden Umweltbedingungen ab, z. B. davon, welche Art von Nahrung vorhanden ist und wie gut der Schnabel zur Aufnahme und Bearbeitung der Nahrung geeignet ist. Die Anforderungen, welche die Umwelt an die Individuen stellt, nennen wir Selektionsdruck. Ein Merkmal, das für das Überleben von Nachteil ist, führt dazu, dass die Individuen mit diesem Merkmal weniger erfolgreich überleben. Das Merkmal verschwindet deshalb nach und nach aus der Population. Individuen mit einem vorteilhaften Merkmal überleben dagegen eher und pflanzen sich erfolgreicher fort. Dabei vererben sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Anlagen (Gene) für ihr "gutes" Merkmal an ihre Nachkommen, sodass das Merkmal häufiger wird. Diesen Ausleseprozess, der stets die am besten an ihre Umwelt angepassten Individuen bevorzugt, nennen wir natürliche Selektion. Die natürliche Selektion führt also dazu, dass die Merkmalsverteilung innerhalb einer Population sich verändert. Und das kann, wie oben schon erwähnt, auf drei Arten geschehen:

  • Von gerichteter Selektion sprechen wir, wenn der Durchschnittswert die größte Überlebenswahrscheinlichkeit hat und die beiden Extremwerte nachteilig sind. Sie führt dazu, dass der Durchschnittswert noch häufiger wird, die Kutve wird also stärker eingeengt um den Mittelwert. Dargestellt ist dies in der unteren Reihe mit dem gelben Graphen links: 60 % (statt vorher 50 %) haben jetzt einen mittelgroßen Schnabel, während nur noch je 15 % (statt zuvor 20 %) einen kleinen oder großen Schnabel haben. Gerichtete Selektion begegnet uns v. a. dort, wo die Umweltbedingungen über die Zeit stabil bleiben.
  • Von gerichteter oder transformierender Selektion sprechen wir, wenn einer der beiden Extremwerte bevorzugt wird. Die Kurve verschiebt sich dann in Richtung dieses Extremwerts (grüne Kurve in der unteren Reihe). In unserem Beispiel nach rechts in Richtung eines größeren Schnabels: den haben nun 50 % (statt vorher 20 %), während es weniger Vögel mit mittelgroßem (35 %) oder kleinem (5 %) Schnabel als vorher gibt. Gerichtete Selektion findet dann statt, wenn sich die Umweltbedingungen ändern. Eine Dürre könnte z. B. dazu führen, dass in der Umwelt nur noch wenige kleinere und mittelgroße Samen vorhanden sind, dafür hauptsächlich sehr große, harte Samen, für die jedoch ein kräftiger Schnabel vorhanden sein muss.
  • Spaltende oder disruptive Selektion findet statt, wenn beide Extremwerte im Vorteil sind und der Mittelwert im Nachteil ist. Die Glockenkurve wird quasi in der Mitte in zwei Berge geteilt (blaue Kurve ganz rechts in der unteren Reihe). In unserem Beispiel haben jetzt je 42.5 % einen kleinen bzw. großen Schnabel und nur 5 % einen mittelgroßen. Beispielsweise könnten in dem Lebensraum unserer Vogelart einerseits viele kleine Samen (wofür der kleine Schnabel gut geeignet ist) und viele große Samen vorhanden sein, aber keine mittelgroßen Samen. Transformierende Selektion steht v. a. am Anfang von Artbildungsprozessen. Sie führt dazu, dass aus der einen Population zwei getrennte werden, eine mit kleinen und eine mit großen Schnäbeln. Durch Isolation können aus den Populationen zwei getrennte Arten hervorgehen. Wenn dies, wie in unserem Beispiel, innerhalb eines gemeinsamen Lebensraums passiert, wennt man dies sympatrische Artbildung. Die isolierende Barriere wäre dann die Spezialisierung auf die verschieden genutzten Nahrungsressourcen.
Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig