Allelfrequenz berechnen?

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Du brauchst dafür das Hardy-Weinberg-Gesetz. Anfang des 20 Jahrhunderts haben Godfrey H. Hardy und Wilhelm Weinberg unabhängig voneinander ein theoretisches mathematisches Modell entwickelt, das Hardy-Weinberg-Modell. Dabei gehen sie von einer idealen Population aus. Eine ideale Population kennzeichnet:

  • unendliche Größe
  • Panmixie, d. h. jedes Individuum kann sich mit gleicher Wahrscheinlichkeit mit jedem beliebigen anderen fortpflanzen
  • es gibt weder Ab- noch Zuwanderung
  • es gibt keine Mutation
  • Selektion findet nicht statt, d. h. jedes Allel hat den gleichen Überlebenswert

Das Modell zeigt, dass sich in einer idealen Populationen in der ersten Tochtergeneration ein stabiler Gleichgewichtszustand einstellt (Hardy-Weinberg-Gleichgewicht oder Hardy Weinberg Equilibrium, HWE), d. h. sowohl die Allel- als auch die Genotypfrequenzen bleiben konstant. Wo sich der Gleichgewichtszustand einstellt, hängt nur von den Startbedingungen ab, d. h. den Allelfrequenzen der Parentalgeneration.

In der Realität weichen Populationen natürlich immer von den Bedingungen einer idealen Population ab. Das HWE kann trotzdem als Nullmodell sehr hilfreich sein, etwa um zu berechnen, wie groß der Genfluss zwischen Populationen ist. Viele Populationen befinden sich aber oft auch erstaunlich nahe am HWE, sodass es z. B. auch genutzt wird, um abzuschätzen wie viele heterozygote Träger einer Erbkrankheit es in einer Population gibt.

Die Gesamtheit aller Allele in einer Population nennt man Genpool. Die Häufigkeit, mit der ein Allel im Genpool vertreten ist, wird als Allelfrequenz bezeichnet. Sie wird als relativer Wert angegeben. Eine Allelfrequenz von 0.67 bedeutet z. B. dass der Anteil eines Allels am Genpool 67 % beträgt.

Im einfachsten Fall gibt es von einem Gen nur zwei Allele, nennen wir sie P und Q. Wir bezeichnen mit p die Allelfrequenz des Allels P und mit q die Allelfrequenz des Allels Q. Beide zusammen müssen 100 % ergeben, also den gesamten Genpool. Deshalb gilt:

p + q = 1.0.

Wenn wir die Allelfrequenz des einen Allels kennen, z. B. von q, können wir durch diese Beziehung p berechnen. Beträgt z. B. q = 0.55, können wir p berechnen:

p = 1.0 - q = 1.0 - 0.55 = 0.45.

In der Regel sind aber die Allelfrequenzen bekannt. Wir können die Allelfrequenz mit Hilfe des HWE trotzdem schätzen.

Nehmen wir an, wir betrachten einen dominant-rezessiven Erbgang, Allel P soll das dominante Allel sein, Allel Q das rezessive. Im HWE stehen die Genotypfrequenzen, d. h. der Anteil homozygoter Träger des Allels P (PP), heterozygoter Träger (PQ) und homozygoter Träger des Allels Q (QQ), in folgender Beziehung zueinander:

p² + 2pq + q².

Dabei ist p² die Genotypfrequenz der homozygoten Träger des dominanten Allels, 2pq ist der Anteil der heterozygoten Träger und q² der Anteil der homozygoten Träger des rezessiven Allels.

Da das rezessive Allel phänotypisch nur in Erscheinung tritt, wenn es homozygot vorliegt, lässt sich anhand des Phänotyps q² ganz leicht ermitteln. Viele Erbkrankheiten werden rezessiv vererbt. Wenn z. B. eines von 100 Individuen an einer genetisch bedingten Krankheit leidet und unsere Population aus insgesamt 1000 Individuen besteht, sind insgesamt 10 Individuen erkrankt. Mit anderen Worten, es gilt: q² = 0.1 (oder 10 % der Population).

Wir können damit die Allelfrequenz q ganz einfach berechnen, indem wir die Wurzel ziehen, das sind rund 0.32 (oder 32 % des Genpools). Über die Beziehung p + q = 1.0 können wir damit nun p ausrechnen:

p = 1.0 - 0.32 = 0.68.

Der Anteil des dominanten Allels P am Genpool beträgt also rund 68 %.

Über die Beziehung 2pq können wir durch Einsetzen der berechneten Allelfrequenzen ermitteln, wie viele heterozygote Träger es gibt:

2 * 0.32 * 0.68 = 0.44. Rund 44 % der Population tragen also das rezessive Allel in sich. Sie sind zwar selbst gesund, können das krank machende Allel aber vererben.

Um zu testen, ob du alles richtig verstanden hast, habe ich zum Schluss noch eine kleine Rechenaufgabe für dich.

Phenylketonurie ist eine rezessive Erbkrankheit, die mit einer Häufigkeit von 1 : 8000 auftritt. Wenn wir von einer Gesamtbevölkerungszahl von 82 Mio. Einwohnern in Deutschland ausgehen, wie groß ist dann

  1. die Gesamtanzahl der Erkrankten in Deutschland?
  2. die Frequenz des rezessiven Allels?
  3. der Anteil heterozygoter Träger?

Du kannst mir deine Lösungen gern als Kommentar hinterlassen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig
PeterSilie531 
Fragesteller
 08.07.2022, 07:07

Kann man auch den Chi-Quadrattest benutzen?

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Darwinist  08.07.2022, 10:44
@PeterSilie531

Mit dem χ²-Test können keine Allelfrequenzen berechnet werden. Er ist ein statistischer Test zur Beurteilung, ob die tatsächlich beobachteten Allelfrequenzen von den theoretisch zu erwartenden Allelfrequenzen (Spaltungsregel) signifikant abweichen. Man bestimmt also vereinfacht gesagt, ob Abweichungen der beobachteten Werte von den zu erwartenden Werten in einer annehmbaren Toleranzbreite liegen und einfach dem Zufall geschuldet sind (der Test ergibt dann keine Signifikanz, d. h. p > 0.05) oder ob die beobachteten Allelfrequenzen nicht zufällig von den zu erwartenden abweichen, also ein Allel z. B. häufiger als erwartet ist, weil es einen Selektionsvorteil darstellt (der Test ergibt dann Signifikanz, d. h. p ≤ 0.05).

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Hardy-Weinberg-Gesetz

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Biologiestudent (B.Sc.)