Zwei Wochen Klassenlehrer - schon so viel Ärger
Vor zwei Wochen hat das neue Schuljahr begonnen, und ich habe als Klassenlehrer eine dritte Klasse übernommen. Darauf habe ich mich gründlich vorbereitet und enorm gefreut. Die Kinder kamen mit derselben Vorfreude, haben mir ihr Vertrauen geschenkt und wir haben bereits etliche tolle Momente miteinander erlebt.
Leider bin ich trotzdem schon nach zwei Wochen sehr enttäuscht. Ich sehe mich bereits jetzt in einer Situation, die mich sehr verärgert:
- Der organisatorische Aufwand bei der Arbeit als Klassenlehrer ist so hoch, dass er nur bei allerbester Organisation zu stemmen ist. Ich schaffe das nur durch unzählige Überstunden, die mir niemand bezahlt.
- In der Klasse gibt es zwei Kinder mit einer leichten Körperbehinderung, ein Mädchen ist sehr verhaltensauffällig, weitere nehmen am Unterricht in Deutsch als Zweitsprache teil, ein Mädchen geht in die Logopädie. Dadurch sind sehr viele Personen in meiner Klasse, die stundenweise die Kinder aus der Klasse nehmen. Dadurch verpassen sie meine Unterrichtsinhalte und ich muss sehen, wie sie das nachholen können.
- Unter den Jungen gab es schon zwei handgreifliche Konflikte, bei denen ich eingreifen musste. Letzten Freitag hat mich ein neunjähriger Junge in die Hand gebissen, weil ich ihn festhalten musste, sonst hätte er seinen Mitschüler brutal verprügelt.
- Die Kollegin, die in meiner Klasse die Fächer unterrichtet, die ich nicht gebe, fühlt sich von mir verletzt, weil ich gesagt habe, dass ich mit bestimmten organisatorischen Dingen unzufrieden bin und eine Entscheidung kritisiert habe, die wir gemeinsam getroffen haben, die aber leider ungünstige Auswirkungen auf die Klasse hat und dringend überdacht werden muss.
- Dieselbe Kollegin wirft mir vor, dass ich sie in wichtige Entscheidungen und Maßnahmen nicht einbezogen hätte. Dabei war sie beispielsweise beim Festlegen des Termins für einen Ausflug mit der Klasse diejenige, die aus meinen Terminvorschlägen ausgewählt hat, und ich habe ihr mündlich mitgeteilt, wann der Ausflug stattfinden soll. Zudem habe ich ihr gesagt, dass am ausgewählten Termin eine weitere Begleitperson mitkommt.
- Seit Beginn des Schuljahres habe ich mit Gedankenkreisen zu tun. Ich habe Schuldgefühle, warum bestimmte Abläufe nicht funktionieren, denke, dass ich diese neue Aufgabe nicht hätte übernehmen dürfen und kann einfach nicht abschalten. Außerhalb meiner Arbeitszeit denke ich schätzungsweise drei bis vier Stunden am Tag über die schwierige Situation nach und kann das nicht stoppen.
Am letzten Freitag war mir richtig zum Heulen zumute, weil die Situation so unbefriedigend ist. Ich komme nicht umhin, morgen - an meinem Geburtstag - unerfreuliche Gespräche mit der Schulleitung und mit der Kollegin zu führen. Im Moment kann ich aber nichts weiter machen, als mir ganz fest vorzunehmen, morgen für die Kinder stark zu sein. Ich werde ein Coaching organisieren, um an dieser Situation zu retten, was zu retten ist, aber den Start mit meiner Klasse habe ich mir ganz anders vorgestellt.
Nun ist es ein langer Tet geworden. Vielleicht habt ihr Lust, zu lesen und zu diskutieren. Immerhin bin ich jetzt meinen Frust mal losgeworden, und auch das ist schon viel wert.
4 Antworten
Ganz ehrlich, ich bin ein Körperbehinderter Mensch und war auf einer Schule für körperbehinderte. Da war dieser Zustand Alltag. Dass die Schulen weitestgehend abgeschafft wurden haben Ihre Berechtigung. Denn Menschen mit Defiziten haben eine Berechtigung in der Gesellschaft teilzunehmen und das war durch Schulen in denen man die Kinder von anderen separierte nicht wirklich der Fall. Vor allem nach der Schule nicht, wo auch Menschen mit Defiziten ins Berufsleben einsteigen und sich ein Leben gestalten sollten.
Seit 20 Jahren ist jetzt die Sonderschulpflicht abgeschafft und ich verstehe absolut nicht, weshalb Regelschulen sich so schwer tun Konzepte aus der Sonderschulpädagogik in den Regelschulalltag einzubauen. Denn auf Sonderschulen hast du genau das, viele Kinder mit individuellen Defiziten und sie werden trotz dessen im Klassenverbund zum Klassenziel und Schulziel gebracht.
Aber nein, die Regelschulen bleiben lieber dogmatisch an ihren Strukturen fest. Was unverständlich für mich ist.
Zuerst mal Hut ab vor jedem, der diese Aufgabe übernimmt! Man braucht dafür viel Motivation und Idealismus, aber ich denke, auch ein etwas dickeres Fell, als du es gerade hast.
Ich habe das Gefühl, du willst jetzt sofort schon alles perfekt machen und erzeugst damit viel zu viel Druck für alle Beteiligten...
Das Schuljahr ist erst 2 Wochen jung - da ist noch jede Menge Zeit, um Abläufe zu optimieren.
Verzichte auf Hauruckansätze, analysiere gründlich, was falsch läuft, und suche erst nach Lösungen, wenn du die Knackpunkte genau kennst und klare Ziele definiert hast. (Muss jeder Schüler jeden Tag mit genau dem gleiche Wissensstand die Schule verlassen? Musst du jede verpasste Stunde mit jedem Schüler einzeln wiederholen, oder sind regelmäßige Übungs- und Wiederholungsstunden ausreichend? )
Sprich mit Lehrern, die schon länger eigene Klassen haben. Wie sieht deren Organisation aus, was machen sie, was du (noch) nicht machst, was machen sie anders oder sehr viel seltener? Du musst nicht jedes Problem "neu" lösen.
Sei nett zur Kollegin, mit der du diese Klasse gemeinsam betreust. Hör ihr zu, und nimm nicht alles, was sie sagt, persönlich. Ich denke, sie bekommt gerade viel von deinem Frust ab, einfach, weil du ziemlich überlastet bist und nicht weißt, wohin damit...
Und das ist der wichtigste Punkt: Komm runter! Du machst dich selbst verrückt, und das färbt auf alle Beteiligten ab. Schalte ab, zwing dich, mal wieder "Freizeit" zu haben.
Akzeptiere, dass du Grenzen hast, dass du nicht die Welt retten und nicht das Klassenlehrertum revolutionieren wirst. Stehe dazu, dass nicht alles perfekt läuft und lerne stattdessen, auch mal zu improvisieren und fünfe gerade sein zu lassen. Überfordere dich nicht, je entspannter du mit Konflikten umgehst, desto entspannter lassen sie sich lösen.
Überleg dir, ob die unerfreulichen Gespräche wirklich sein müssen, oder ob du nicht einen Kuchen mitbringst und die Veratwortung für deine Unzufriedenheit übernimmst, in der Hoffnung, dass auch die anderen dann kooperativer gestimmt sind und dir stellenweise freiwillig entgegenkommen.
"Leute, so geht es einfach nicht, ihr macht (das, das und das), obwohl es anders abgesprochen war!"
klingt viel unerfreulicher als
"Leute, danke, dass wir mal miteinander reden können. Ihr wisst, dass ich noch neu in der Klassenlehrerfunktion bin und in manche Dinge erst reinwachsen muss, deswegen würde ich mich über Euer Feedback freuen. Mir ist aufgefallen, dass wir (in diesen Punkten) nicht an einem Strang ziehen, unterschiedliche Ansätze fahren usw. Wie können wir das verbessern?"
Die Kinder [...] haben mir ihr Vertrauen geschenkt und wir haben bereits etliche tolle Momente miteinander erlebt.
Darauf kommt es, daran denkt ihr später zurück. Bau darauf auf, und denk daran, wenn es mal suboptimal läuft.
Alles Gute für die Zukunft!
Hallo,
wenn ich alles so lese, bin ich der Meinung, dass du dein Selbstwertgefühl steigern musst, und Bitte etwas mehr Durchsetzungskraft.
Ansonsten geht das mal böse aus, entweder brichst du ab, oder die Klasse übernimmt.
Eigentlich solltest du diese Klassenstufe abgeben.
Klingt hart, aber in deinem eigenen Interesse.
Gruß
Beim ersten Lesen dachte ich, dass du wahrscheinlich gar kein Lehrer bist. Beim Lesen deiner Fragen habe ich aber gesehen, dass dich das schon länger beschäftigt.
Vielleicht solltest du wirklich versuchen, die Klassleitung wieder abzugeben. Ganz normal ist das nicht, als 50-jähriger Lehrer solche Probleme zu haben. Überleg, was für dich das Beste wäre.