Was Menschen aus anderen Kontinenten von einem Lateinamerikaner erwarten
Ich bin Peruaner und lebe seit über drei Jahren in Deutschland. Seitdem merke ich zunehmend, dass mir aufgrund meiner Herkunft von vielen Europäer*innen bestimmte Eigenschaften automatisch zugeschrieben werden: etwa Talent fürs Tanzen, Kochen, ein charismatisches Auftreten, das Beherrschen von Musikinstrumenten, ein temperamentvoller Charakter oder ein besonders höfliches, „gentlemanhaftes“ Verhalten.
Dieses Bild eines „typischen“ Lateinamerikaners ist nicht grundsätzlich falsch, aber es ist stark pauschalisiert. Wer diesen Erwartungen nicht entspricht, wird schnell als Enttäuschung wahrgenommen. Ich habe selbst erlebt, wie tief dieses Konzept in der globalen Vorstellung verankert ist.
Ich koche zum Beispiel nicht besonders gern. Ich bin auch kein sehr temperamentvoller Mensch. Ich tanze zwar gerne, aber ich bin kein Profi. Musikinstrumente beherrsche ich kaum – nur ein bisschen Cajón, und das auch eher auf Anfängerniveau. Ob ich charismatisch oder ein „Gentleman“ bin, kann ich selbst schwer beurteilen. Vielleicht wirken einige meiner Verhaltensweisen auf andere besonders oder „exotisch“, obwohl sie für mich ganz normal sind.
Wenn ich doch mal koche, dann meist Gerichte aus meiner Heimat – mithilfe von Rezepten. Bisher ist mir dabei immer etwas Leckeres gelungen. Beim Tanzen ist es ähnlich: Ich habe die Grundschritte erst in Deutschland gelernt und improvisiere den Rest. Trotzdem werde ich oft dafür gelobt. Ich glaube, das liegt daran, dass ich mit dem Herzen tanze – weil ich die Texte verstehe und die Lieder aus meiner Kindheit kenne. Es ist für mich also mehr als nur Bewegung – es ist ein Gefühl.
Was das Thema „Gentleman“ oder Charisma betrifft, verhalte ich mich zwar ganz automatisch höflich – etwa indem ich Türen öffne, Plätze in öffentlichen Verkehrsmitteln anbiete oder schwere Taschen trage – aber für mich sind das ganz selbstverständliche Reaktionen, keine bewusst einstudierten Gesten.
Ich würde sagen, dass wir Lateinamerikaner*innen tatsächlich stark von unserer Kultur geprägt sind – und paradoxerweise merken wir das oft erst, wenn wir sie verlassen. Was uns selbstverständlich erscheint, wird im Ausland plötzlich als etwas Besonderes wahrgenommen. Erst im Kontrast mit einer anderen Gesellschaft erkennt man, wie unterschiedlich soziale Verhaltensmuster sein können.
Diese Unterschiede können positiv, negativ, exotisch oder irritierend wahrgenommen werden. Aber wie sollen wir mit solchen Reaktionen umgehen? Soll man sie als Rassismus betrachten – oder sind sie einfach Ausdruck kultureller Differenz, die nicht immer kompatibel sein muss?
Zum Glück, so sehe ich es, ist dies im Fall von Lateinamerikaner*innen eher selten ein echtes Problem. Unsere Kulturen haben sich – auch durch die Kolonialgeschichte – über viele Jahrhunderte gegenseitig beeinflusst und bereichert. Vielleicht liegt genau darin unser Vorteil: Wir kennen bereits viele Facetten Europas – doch Europa kennt oft nur ein Klischee von uns.
3 Antworten
Wir kennen bereits viele Facetten Europas – doch Europa kennt oft nur ein Klischee von uns.
Das ist sicher zum größten Teils richtig. Südamerika ist für uns möglicherweise noch viel weiter entfernt als umgekehrt. Man weiß, es existiert und man kennt vielleicht die wichtigsten Schlagworte - aber wirkliche Kenntnisse über diese Region haben vermutlich die wenigsten.
Nun tragen kulturelle Eigenarten und Klischees am meisten dazu bei, eine Welt erstmal oberflächlich zu ordnen. Der Texaner in den USA, die höflichen Japaner, die ordentlichen Deutschen, die temperamentvollen Lateinamerikaner. Klischees, natürlich und doch eben nicht völlig unbegründet. Sie beruhen auf einer Mischung von Urlaubsmotiven (Landschaften, regionale Kleidung, etc.), dem Vergleich zur eigenen angenommenen Mentalität und tatsächlichen Eigenarten eines Volkes.
Soll man sie als Rassismus betrachten – oder sind sie einfach Ausdruck kultureller Differenz, die nicht immer kompatibel sein muss?
Es hat absolut nichts mit Rassismus zu tun und nicht unbedingt mit kultureller Differenz. Unterschiede sind aber vorhanden und werden wahrgenommen und grundsätzlich als positiv gewertet. Man könnte ja auch die Negativklischees betonen, was aber allgemein nicht geschieht: die unfreundlichen Deutschen, die großspurigen Amis, die faulen Mexikaner.
Es gibt durchaus Mentalitätsunterschiede zwischen verschiedenen Völkern. Diese kommen nicht aus dem Nichts heraus, sondern sind das Ergebnis einer jahrhundertlangen Entwicklung. Die Unterschiede zwischen US-Amerikanern und Europäern sind solche zwischen einer Pionier- und Siedlerkultur. Religion, Musik, Speisen, örtliche Gewohnheiten, historische Ereignisse, Ge- und Verbote prägen nationale Unterschiede.
Weshalb gibt es in Deutschland mehr blickdichte Gardienen als in Dänemark? Vielleicht weil vor langer Zeit in einigen deutschen Ländern die Steuereintreiber gern durch die Fenster geschaut haben um abzuschätzen, wieviel Wohlstand im Haus vorhanden ist / in Dänemark gab es das nicht. Warum wird zumindest in Norddeutschland keine Wäsche am Sonntag aufgehängt? Weil Munin und Hugin, die beiden Raben Odins, sonntags fliegen und sich sonst dort niederlassen könnten. Und wo die beiden Raben sitzen, stirbt jemand im Haus. Damals wollte das niemand. Odin wird seit 1200 Jahren nicht mehr angebetet und doch bleiben bestimmte Fragmente in einer Kultur enthalten.
All diese Dinge prägen die Mentalität eines Volkes.
Oftmals werden einem bestimmten Volk auch positive Eigenschaften zugeschrieben um damit ein Defizit bei sich selbst zu formulieren. Die Römer nannten die Germanen wild, aber auch treu und ehrlich. Eigenschaften, die sie bei ihren eigenen Leuten vermissten. Kritisierten sie vielleicht Ausschweifungen und Dekadenz, waren die Germanen in ihren Augen die edlen Wilden, die solche Dinge nicht kennen. Das Urteil Tacitus muss also wenig mit den germanischen Stämmen selbst zu tun haben als vielmehr mit den Römern. Gleiches gilt vielleicht auch hier: Deutsche fühlen sich vermutlich mehrheitlich nicht als Gentlemen und tanzbegeistert und bewerten daher diese echten oder unterstellten Eigenschaften bei Völkern, die dies scheinbar oder real so einfach vorleben.
Dieses Bild eines „typischen“ Lateinamerikaners ist nicht grundsätzlich falsch, aber es ist stark pauschalisiert.
Das ist ja auch die Definition dieses Zustandes. Natürlich wissen auch Deutsche, dass nicht alle Lateinamerikaner so sind, dass es ein Klischee ist. Aber es ist dennoch nicht unhilfreich um sich ein Bild von der Welt zu machen.
Schön wäre es natürlich, wenn man sich aber dann genauer mit der lateinamerikanischen Welt auseinander setzen würde.
Nein. Ich erwarte von Personen garnichts aufgrund der Herkunft.
Allgemein ist das einzige was ich erwarte ein wenig gesunder Menschenverstand und akzeptable Umgangsformen. Zu meinem bedauern weisen viele nichteinmal das auf.
Ja ich verstehe deinen Punkt. Es ist aber kompliziert zu verstehen was ist ein gesünder Menschenverstand und akzeptable Umgangsformen in einer vielfältigen Welt. Der Glaube, die Gewohnheiten, die Familienstrukturen oder Ähnliches aus anderen Ländern könnten dich wahrscheinlich erschrecken, weil sie einfach nicht mit deinen Werten oder deiner Lebensweise zusammenpassen. Ich glaube, wir sollen diese Komfrontation akzeptieren und trotzdem Wegen zum Zusammenleben weiterzusuchen, das fordert natürlich eine neue Entwicklung und Flexibilität beide Seiten, indem kein Platz für Geschlossenheit gibt.
Für mich seid ihr Peruaner ein indigenes Volk und ich find ihr habt rein GAR NICHTS mit den Lateinamerikanern wie Brasilianer oder Argentinier zu tun. Als ich in Peru war, habe ich ehrlich gesagt etwas anderes erwartet, etwas einzigartiges nicht was in “Latin Style” etwas besonderes aus eurer Kultur, weil ich wusste, ihr seid eine Native Nation und ihr habt wahrscheinlich mehr DNA von den indigenen Völker, daher seid ihr so besondere und seltene Lateinamerikaner mit eigener Kultur die sich von den anderen Kulturen Lateinamerikas unterscheidet
Ja, das stimmt teilweise, die Inkas ist unsere Hauptkultur, da sie eine Imperium war. Peru ist aber mehr als diese Imperium, unseres Land ist groß und mit verschiedenen Regionen, die von den Anden abgetrennt sind, wir haben andere Kulturen in unserem Dschungel , Bergen und Küste. Jede Region hat ihre eigene Identität. Zugleich Brasilien und Argentinien hatten ihre eigene indigene Bewölkerung vor der Ankunft der Portugiesen und Spanier beziehungsweise. Also wir alle erkennen uns als Lateinamerikaner, wegen der geographische Position und die erworbenen neuen Sprachen nach der Kolonie vor allem Spanisch und Portugiesisch. Peru war die Hauptstadt des Inkareiches, das macht mein Land sehr bekannt, sowie die kulturelle Diversität.