Warum hatten politische Gefangene in einem Gefängnis in der ehemaligen DDR meist ein geringes Ansehen unter anderen Häftlingen?
Welche Motive standen dahinter?
3 Antworten
Politische Gefangene wurden von der Staatsmacht nicht als „normale Strafgefangene“, sondern als Verräter und Feinde des Volkes gebrandmarkt. Dieses Bild wurde auch in den Gefängnissen durch Wärter, Spitzel und die gesamte Haftorganisation immer wieder vermittelt. Damit schuf man ein Klima, in dem politische Häftlinge automatisch als Außenseiter galten. In vielen Haftanstalten war die Mehrheit der Insassen wegen Eigentumsdelikten, Gewalttaten oder ähnlichen „klassischen“ Straftaten inhaftiert. In der subkulturellen Logik der Häftlingsgesellschaft galt Kriminalität als „normal“ oder sogar „respektabel“. Wer aber „nur wegen Politik“ saß, hatte für viele kein „echtes Verbrechen“ begangen, sondern galt als schwach, feige oder weltfremd. Die Gefängnisführung setzte bewusst Kriminelle gegen politische Gefangene ein: man platzierte sie in denselben Zellen oder Arbeitskommandos, förderte Denunziation und nutzte den Druck der Mitgefangenen, um politische Häftlinge zu brechen. So sollten deren Standpunkte delegitimiert werden.
LG aus Tel Aviv
Im Gefängnis erlangt man dadurch Respekt von seinen Mitgefangenen, dass man in seiner kriminellen Laufbahn viel Aggressivität und Skrupellosigkeit bewiesen hat. Deshalb werden Mörder ja so hoch angesehen, aber auch Typen, die z.B. schwere Körperverletzung oder schweren Raub begangen haben.
Wenn du da als Intellektueller reinkommst, weil du auf deiner Schreibmaschine zu den Klängen von Schostakowitsch und mit einer Zigarette im Mundwinkel ein paar staatskritische Essays verfasst hast, wirst du von deinen Mitgefangenen bestenfalls ausgelacht und verspottet.
In allen Gefängnissen weltweit gibt es inoffizielle Hierarchien. Oben stehen „Starke“ Gewalt- oder Raubstraftäter, die "Härte“ ausstrahlen. In der Mitte stehen: „gewöhnliche Kriminelle“ (Diebstahl, Betrug etc.) und ganz unten: Kinderschänder. Sie werden als „Abschaum“ gesehen.
Politische Gefangene passten nicht in dieses Raster. Sie hatten oft keine kriminelle „Straßenkarriere“ und konnten damit keinen „Status durch Härte“ beanspruchen.
Manche politischen Häftlinge wurden von „Kriminellen“ als „naiv“ oder „lächerlich“ betrachtet („wegen Flugblättern, regimekritischen Aktion(en) oder Witzen ins Gefängnis gehen?“). In anderen Fällen gab es Solidarität und gegenseitige Unterstützung. Ein generelles „geringes Ansehen“ lässt sich nicht pauschal behaupten. Aber sie waren teilweise eher Außenseiter, weil sie nicht in die „kriminelle Hierarchie“ passten, oder wenn sie zudem eine andere Sozialisation hatten (bspw. als intellektuelle oder religiöse Menschen). Ganz unten (wie Kinderschänder) standen sie jedoch nicht.