Dichtungsverständnis des Dichters im Theater-Vorspiel von Faust I?

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Der Theaterdirektor fordert den Dichter auf, etwas zu schreiben, "was der Menge behagt" und was sie sich zum "Fest" erwartet. Denn sie sitzen ja schon gelangweilt da und "möchten gern erstaunen", was wohl bedeutet, sie möchten etwas Sensationelles oder zumindest Ungewöhnliches hören. Es sollte Neues, aber auch Gefälliges sein, was so viele Leute anspricht, dass sie sich schon Stunden vor dem Beginn um die Eintrittskarten geradezu balgen.

Der Dichter dagegen möchte davon nichts hören. Ihm geht der Geist abhanden, wenn er solche Menge sehen würde. Er möchte lieber aus einer Art "Himmelsenge" heraus dichten, in der Liebe und Freundschaft dem Dichter die Hand führen und "Götterhand" waltet und zum Gelingen führt. Und dann sagt er, dass vieles beim Dichten missraten , aber im nächsten Moment doch als "gelungen" gelten könnte, aber dass immer die Gefahr bestehe, dass die Wirkung einer Dichtung von des "wilden Augenblicjks Gewalt verschlungen" werden könnte. Außerdem möchte er nicht etwas dichten, was nur "glänzt" und daher nur kurzzeitige Wirkung hat. Er möchte "echtes" dichten, das auch in späteren Generationen noch Wirkung entfaltet. Die Hinweise des Direktors und der "Lustigen Person" (Mephisto), die ganz andere Vorstellungen vom Dichten haben (s. die Antworten beider) kontert er mit der Bemerkung, dass die beiden Herren offenbar gar nicht empfinden, wie "schecht (aus seiner Sicht) ein solches Handwerk sei" und wie wenig das künstlerischem Denken entspreche. .Er meint, dass solches dichterisches Pfuschen, wie es die beiden vorziehen, soffenbar heute zurn Haupt-Richtschnur (Maxime) geworden sei.

Dem widersprechen Direktor und Lutstige Person mit dem Hinweis auf die Motivation der Menschen beim Zuhören: Langeweile, Voll-gefressen, Lektüre der Zeitungen, oft im Kopf zerstreut , nur neugierig auf etwas Neues, die Damen seien nur daran interessiert, ihre Kleider und ihren Putz "zum besten" zu geben. Auch denkt der eine schon während der Darbietung an das anschließende Kartenspielen oder daran, dass er nach dem Spiel zu einer "Dirne" gehen und dort eine "wilde Nacht" erleben wird.

Die Antwort des Dichters darauf "Geh´hin und such dir einen anderen Knecht ...."schildert die Motivation eines "echten" Dichters. Das solltest du selbst gründlich lesen und die Antwort für deine Schulaufgabe finden lassen.

Dieses ganze Vorspiel auf dem Theater ist schon allein für sich eine dichterische Meisterleistung höchsten Grades, inhaltlich aber vor allem auch sprachlich ein reiner Hochgenuss, wenn man sich die Mühe macht, einmal die heutige Alltagssprache zu vergessen und in die gewaltige Wortschöpfung Goethes einzusteigen. Lies dir die Szene im stillen Kämmerlein selbst laut und mit der rechten Betonung des Versmaßes und der Reimfolge vor. Wenn Du einen Funken Sprachgefühl hast, musst du begeistert sein und deine Schularbeit mit doppelter Freude erledigen. Ich wünsche dir Erfolg, auch dann mit der weiteren Faust-Lektüre.

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LHlover 
Fragesteller
 07.10.2021, 16:36

Unglaublichen Dank für deine absolut ausführliche Antwort, dadurch habe ich die Aufgabenstellung in der Tat endlich richtig verstanden - und kann nun voll und ganz in Faust einsteigen! Den Tipp mit dem lauten Vorlesen werde ich mir ebenfalls definitiv zu Herzen nehmen, auch hier nochmals Danke! VG!

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