Hey,
die Frage, ob Offenstall oder (Paddock)Boxenhaltung mit täglichem Weidegang für das Pferd "besser" ist, kann man nicht so pauschal beantworten, sondern kommt darauf an, was du mit deinem Pferd machst.
WENN der Offenstall gut geführt, nicht überbelegt ist und die Herde gut zusammenpasst, ist so ein Offenstall eine feine Sache. Aber selbst bei einem top geführten Offenstall muss sich das Pferd wirklich erst an diese Haltungsbedingugnen gewöhnen - und das dauert gut und gerne wirklich ein Jahr.
Während dieser Umgewöhnungszeit wird dein Pferd wahrscheinlich:
1. Müder sein, weil es im Offenstall (selbst wenn keine Rangelein und ausreichend Futterstellen vorhanden sind) sich einfach viel mehr bewegen muss und deshalb auch beim Reiten "nicht so" fit sein, es sei denn du passt das Futter an.
2. Eigenständiger werden - und das ist aus Reitersicht nicht unbedingt immer von Vorteil.
3. Macken und kleiner Verletzungen haben, die zwar das Pferd nicht umbringen, aber eben auch "nicht schön" aussehen sind. Ich selbst bin keine aktive Turnierreiterin, aber mich hat es trotzdem sehr gestört, wenn meinem Pferd wieder "irgendwo" Fell gefehlt hat und es (übertrieben natürlich!) ausgesehen hat wie das "War Horse" nach der Szene mit dem Stacheldraht - und das lässt sich einfach nicht verhindern. Auch sollte man nicht unterschätzen, wie sehr das Klima unter den Pferdebesitzern zum Teil verschlechtert wird, wenn das "Mistpony" der anderen Einstellerin schon zum hundertsten Mal für eine Schramme am eigenen Pferd verantwortlich war.
Für dich selbst als Reiter bedetuet es unter anderem:
1. Fürs Eindecken brauchst du die teuren Varianten von Horseware (Rambo) oder Bucas mit den 1.000 Denier - die billigeren werden viel zu schnell kaputt und dann kannst du ständig neue kaufen oder hast halt ein potentiell nasses Pferd.
2. Zumindest während der Umstellungsphase von einem Jahr, musst du die sportlichere Reiterei hinten anstellen, weil dein Pferd einfach nicht fit genug dafür ist und wahrscheinlich auch triebiger wird.
3. Keine Box mehr, in der du auch bei vollem Regen dein Pferd "exklusiv" zum Trocknen in Ruhe unterstellen kannst. In vielen Offenställen gibt es zwar "Krankenboxen", allerdings sind diese bei derart miesem Wetter oftmals bereits zum Trocken ausgebucht.
4. Verbandswatte, Desinfektionsmittel und Flexi-Bandagen auf Vorrat. Gerade diese scheinbar harmlosen "Kratzer" an den Beinen die gerade halt ein bisschen bluten sind im Offenstall schwer zur Abheilung zu bringen. Lässt man sie offen, kommt allerlei Dreck (und das ist halt einfach nochmal mehr als in einer sauberen Box) ins Pferd. Und Verband und Regen (und ehrlich: Mittel und Nordeuropa haben halt einfach viel Regen und zwar auch tagelang) funktioniert zusammen nur suboptimal - also muss der Verband häufiger gewechselt werden. Und wegen der vorhandenen Krankenbox: Die ist normalerweise für die "schweren" Fälle reserviert - und nicht für solche Lapalien wie Kratzer und Matzen an den Beinen.
5. Nasses Pferd - es sei denn du deckst ein und hast einen wirklich verlässlichen Deckenservice im Stall integriert. Die meisten Offenställe haben die Heuraufen im freien. Die Pferde stehen also auch im Regen im Freien oft stundenlang und sind dann wirklich aufgeweicht. Die Pferde gehen von selber nämlich erst rein, wenn sie genug gefressen haben...
6. Im Winter bei Schnee und Frost ist der Auslauf auch rutschig - es sei denn der Stallbetreiber macht sich die Mühe und streut ausreichend Sand.
7. Wenn du selbst eher pingelig bei der Sauberkeit deiner Box bist und dir sauberes Ausmisten wichtig ist, wirst du deine Ansprüche an die Sauberkeit der Liegeflächen deutlich herunterschrauben müssen. Auch wenn es theoretisch und vereinzelt auch praktisch möglich ist, die Pferde dazu zu erziehen, dass sie auf ein "Klo" draußen gehen sollen, faktisch passiert das einfach selten. Und je nach verwendeter Einstreu ist dann die Qualität des Ausmistens einfach reduziert. Außerdem: Pferde können nicht lesen und verstehen auch nicht, dass der "Ruhebereich" nur zum Schlafen da sein soll. Insbesondere im Winter, wenn es draußen rutschig ist, nehmen jüngere Pferde diesen "Ruhebereich" gerne zum Toben her und graben das ganze Einstreu um.
8. Wenn der Auslauf hart geschottert ist - das Pferd möglicherweise beschlagen lassen (sofern das erlaubt ist), weil die Hufe eine viel höhere Abnützung erfahren und die Pferde es noch nicht gewöhnt sind. Mein Pferd war sein ganzes Leben lang barhuf - im ersten halben Jahr, hat sie jedoch im Offenstall regelmäßig "Krankenschuhe" getragen, weil ich sie nicht beschlagen lassen wollte und es einfach eine Zeit dauert, bis sich der ganze Hufmechanismus umstellt.
9. Falls dein Pferd mal Husten haben sollte: Viel Spaß. Die meisten Offenställe haben Heuraufen mit darüber gespannten Heunetzen. "Heu wässern" kannst du daher vergessen. Außerdem fressen die Pferde die Heuballen immer von oben nach unten - deshalb fressen sie auch ständig mit "erhobenem" Kopf, sodass die feinen Heupartikel direkt in die Nüstern fallen. Gerade bei Husten wird unterschätzt, wie viel leichter der Schleim sich abtransportiert, wenn die Pferde permanent den Kopf "unten" haben.
Für dein Pferd bedeutet der Umzug in den Offenstall knallhart folgendes:
Zurück zur "Natur" mit allen Vor- und Nachteilen.
1. Lernen im Zweifelsfall auch um das Futter zu kämpfen - oder abzunehmen
2. Lernen mit deutlich weniger Ruhezeiten auszukommen - gerade am Anfang bis die Herde zusammengefunden hat (und hoffentlich nicht allzubald wieder neue Pferde dazukommen).
Zur Klarstellung möchte ich noch darauf hinweisen, dass ich in keinem Substandard Offenstall stand, sondern in einem wirklich toll geführten Hit-Aktivstall mit wenig Pferden, automatischer Kraftfutter und allem Drumm und Drann (Deckenservice mit mehrmaligem Umdecken, Medikamentenservice, hochwertiger Einstreu, gute Heuqualität usw).
Wenn es dir in deinem bisherigen Stall gefällt - warum willst du dann ausziehen? Einfach nur um es mal "auszuprobieren"? Das finde ich deinem Pferd gegenüber nicht fair (weil ich es bei meinem auch so gemacht habe... ich wollte es einfach mal auspobieren). Und zwar aus folgendem Grund:
Für dein Pferd ist die Umstellung wirklich nicht so "einfach" und es dauert wirklich ungefähr ein Jahr bis sich dein Pferd an dieses Haltungssystem gewöhnt hat. Und neben dieser Umstellung willst du als Pferdebesitzer natürlich dein Pferd weiterhin so verwenden wie bisher - also reiten - so wie bisher (ist ja auch dein gutes Recht - dafür hast du es ja schließlich gekauft). Das ist aber meiner Meinung nach einfach eine unnötige und unfaire Doppelbelastung für das Pferd.
Wenn du dir wirklich sicher bist, dass du als Reiter dich mit dieser Haltungsform voll und ganz identifizieren kannst, wenn du mit den Macken und Schrammen leben kannst, wenn es dir nichts ausmacht, nicht zu reiten, weil dein Pferd den ganzen Tag im Regen stand und zitternd herumsteht, oder wenn du ohnehin nur 1 bis 2 mal in der Woche Zeit für dein Pferd hast, und dein Pferd wirklich LANGFRISTIG (also mehrere Jahre) in einen Offenstall stellen willst, dann mach es.
Wenn du allerdings "nur" in einen Offenstall ziehen willst, um es "auszuprobieren", obwohl die Haltungsbedingungen derzeit für dich und dein Pferd ok (nicht perfekt - pferfekt wird es NIE geben), dann lass es einfach sein.
Zum gesundheitlichen Aspekt:
Ja, die Pfede bewegen sich im Offentall mehr. Ja, sie sind dann anfangs beim Reiten auch nicht so steif. Aber es dauert, bis sich diese postiven Sachen zeigen. Es ist also keine Sofort-Hilfe-Maßnahme für steife Pferde.
Ein wesentlicher Aspekt ist für mich jedoch, wie es dem Reiter mit dieser Umstellung geht und wenn der Pferdebesitzer nicht voll und ganz hinter diesem Haltungsystem steht, dann wird er die erforderliche Zeit BIS sich die positiven Veränderungen überhaupt zeigen - einfach nicht durchhalten und sein Pferd wieder umstellen. Und dann war der ganze Offentall-Umstellungs-Stress für das Pferd (und auch für den Reiter) total unnötig.
Ich selbst habe das magische Jahr "überlebt" bin sogar fast 3 Jahre in dem Offenstall gestanden und habe die positiven Auswirkungen am Pferd auch selbst miterlebt - allerdings auch die Nachteile insgesamt.
Und nun: Nun musste ich aus beruflichen Gründen umziehen in einem Umgebung ohne ordentlich geführte Offenställe. Deshalb steht mein Pferd jetzt wieder in einer Paddockbox mit täglichem mehrstündigen Weidegang und die ganze tolle "Offenstallangewöhnung" war sozusagen "für die Katz" :)
Ich persönlich würde mein Pferd vermutlich nur noch in einen Offenstall stellen, wenn ich selbst die Möglichkeit dazu habe - sprich einen eigenen Stall habe. Bis dahin ziehe ich aufgrund der für den Reiter einfacheren Praktikabilität (auch die eigene Lebensplanung bedenken) eine Paddockbox mit täglichem mehrstündigen Weidegang dem Offenstall vor.
LG Anna