Wie wird in der Astrophysik die "habitable" Zone eines Sterns definiert?
Ich habe gestern Abend mit Bekannten über Astronomie geredet, dabei tauchte u.a. auch das o.g. Thema auf. Ein Freund, der Mitglied in einem Astro-Verein ist, meinte, dass man diese Zone aufgrund neuer Erkenntnisse über Leben unter extremen Bedingungen bis auf die Umlaufbahn des Merkurs "ausgedehnt" hätte.
Ich bin der Meinung, dass es sich aber den Bereich um einen Stern handelt, in dem aufgrund von Größe, Abstand oder Strahlungsintensität flüssiges Wasser auf der Oberfläche möglich ist.
Ist diese neue Definition nur eine Auslegungssache, tatsächlich neu festgelegt oder nur eine nicht nachweisbare These? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es unter den Bedingungen, die der Merkur auszuhalten hat, flüssiges Wasser in einer stabilen Atomsphäre geben könnte.
4 Antworten
Mit achtbarem Gruß, @fanclub75! 🙋🏼♂️
Was ist die habitable Zone eines Sterns – und ist Merkur wirklich ein Kandidat für Leben? 🧑🏼🎓
Nein, Merkur liegt nicht in der habitablen Zone. Ja, Ihr Skeptizismus ist berechtigt. Und nein, es handelt sich bei der genannten Behauptung nicht um eine allgemein anerkannte neue Definition, sondern um eine überdehnte Auslegung der klassischen Begriffsgrenzen – mit dem Hang zur Romantisierung des Begriffs „Leben unter extremen Bedingungen“. In der Astrophysik hat Präzision Vorrang vor Spekulation, zumindest wenn man ernst genommen werden will.
Wie wird die habitable Zone wissenschaftlich definiert? 🧑🏼🎓
Die habitable Zone – manchmal auch „Goldlöckchen-Zone“ genannt – ist der Bereich um einen Stern, in dem die Bedingungen auf einem erdähnlichen Planeten unter idealisierten Umständen die Existenz von flüssigem Wasser auf der Oberfläche erlauben. Das ist der springende Punkt: Es geht nicht um Leben an sich, sondern um thermodynamisch stabile Wasserphasen auf einer festen Oberfläche, unter Annahme einer Atmosphäre, die weder zu dünn noch zu dicht ist.
Für die Sonne liegt diese Zone – nach klassischer Definition – etwa zwischen 0,95 und 1,37 Astronomischen Einheiten (AE), je nach Modell:
Engere Definition (nach Kasting et al., 1993): 0,95–1,15 AE
Optimistische Definition (Kopparapu et al., 2013): 0,75–1,8 AE
(um Venus bzw. Mars einzuschließen)
Merkur, bei etwa 0,39 AE, liegt also weit außerhalb dieser Zonen – in einem Bereich, wo selbst Blei schmilzt und eine Atmosphäre schneller entweicht, als man sie definieren kann.
Was hat sich durch neue Erkenntnisse geändert – und was nicht? 🧑🏼🎓
Man hat das Konzept der Habitabilität in den letzten Jahren erweitert, ja. Aber man hat nicht die habitable Zone verschoben, sondern alternative Szenarien von Habitabilität untersucht:
Unterirdische Ozeane (z.B. bei Monden wie Europa oder Enceladus): Dort schützt eine Eiskruste das Wasser vor dem Vakuum – aber das ist keine habitable Zone im klassischen Sinn, weil keine Sonnenstrahlung genutzt wird.
Lebensformen: Diese zeigen auch, dass Leben theoretisch auch unter Bedingungen existieren kann, die jenseits der Standardzone liegen – doch sie betreffen Mikroben unter Gestein oder Eis, nicht Wasser auf Planetenoberflächen mit freier Atmosphäre.
Treibhaus-Szenarien: Man kann die innere Grenze der habitablen Zone ein Stück näher an den Stern rücken, wenn man z.B. von einer dichten, reflektierenden Atmosphäre ausgeht – aber selbst unter solchen Modellen kommt Merkur nicht infrage.
Ist diese „neue Definition“ also wissenschaftlich fundiert oder Spekulation? 🧑🏼🎓
Die Erweiterung des Habitabilitätsbegriffs auf „extreme Szenarien“ ist ein wertvoller Forschungszweig – insbesondere für Exobiologie. Doch diese Konzepte verändern nicht die astronomische Definition der klassischen habitablen Zone. Diese bleibt eine rechnerische Ableitung aus Strahlungsfluss, Planetendistanz, und thermodynamischer Stabilität von Wasser.
Was Ihr Bekannter beschreibt, ist also keine „neue Definition“, sondern ein populärwissenschaftlicher Kurzschluss: Die Gleichsetzung von „Leben irgendwo unter irgendwelchen Bedingungen“ mit „habitabel im astrophysikalischen Sinn“. Das ist ungefähr so, als würde man ein schwarzes Loch als „dunkle Sonne“ bezeichnen – bildlich vielleicht stimmungsvoll, aber physikalisch unsinnig.
Also? – Kann Merkur leben beherbergen, weil Leben extrem ist? 🧑🏼🎓
Glaube ich, dass Merkur Leben tragen könnte? Nein. Ist es schlimm, das so zu sagen? Auch nein.
Merkur ist ein glühender Fels, der keine Atmosphäre hält, keine Oberflächentemperatur unter 430°C kennt und nachts unter -170°C fällt. Die Vorstellung, dass sich dort flüssiges Wasser – das empfindlichste aller Moleküle in Bezug auf Druck und Temperatur – stabil halten könnte, ist nicht wissenschaftlich belegbar. Und genau darum geht es bei der habitablen Zone: nicht um Fantasie, sondern um physikalische Möglichkeit.
Grafik diesbezüglich:
Es zeigt klar die Positionen von Merkur, Venus, Erde und Mars.
Die grüne Zone markiert anschaulich den Bereich, in dem flüssiges Wasser auf erdähnlichen Planeten möglich wäre.
Die Grenzen der habitablen Zone sind explizit eingezeichnet.
Perfekt für Laien – auch Ihr Bekannter aus dem Astro-Verein wird zustimmen müssen (außer er ist ideologisch voreingenommen, was häufiger vorkommt, als man denkt).
Sollten Sie diesbezüglich Fragen haben, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung, um diese in den Kommentaren zu beantworten. 👨🏼💻
Mit erquickendem Gruß - schönen Mittwoch! 🙋🏼♂️

Was ist mit unterirdischen Ozeanen? Hab schon öfters gehört, dass man wegen solchen auch noch auf viel weiter entfernten Planeten/Monden theoretisch Leben finden kann.
Flüssiges Wasser ist nicht zwingende Voraussetzung für Leben
Nur in der klassischen Definition. Bei der erweiterten habitablen Zone ist das nicht zwingend.
Kannst du diese "erweiterte" habitable Zone beschreiben oder eine verlässliche Quelle nennen?
Damit Leben existieren kann, so wie wir es kennen, benötigt man dauerhaft flüssiges Wasser. Und das gibt es nur in der habitablen Zone, wenn ein Planet den richtigen Abstand zur Sonne hat.
In der Milchstraße schätzt man die Anzahl der Planeten in der habitablen Zone auf 300 Millionen.
aber ist das nicht das maßgebliche Kriterium für die habitable Zone?