Weimarer Republik- scheinstabile Phase?

7 Antworten

Hey!

Den Ausdruck "scheinstabile Phase" habe ich zwar noch nie gehört, finde ihn aber zutreffend. Ich bin Nachhilfelehrerin und habe mich schon oft mit dieser Zeit beschäftigt.

Natürlich hatte sich in der Weimarer Republik Einiges stabilisiert. Der 1. Weltkrieg war vorbei, Deutschlands Rolle in der Welt neu definiert (wenn auch sehr ungünstig, z. B. Verlust der Kolonien, hohe Reparationszahlungen etc.), das Land hatte den Wechsel vom Kaiserreich zur Demokratie unblutig vollzogen.
Eine völlig neue politische Ordnung musste zu arbeiten beginnen, was zunächst ganz gut gelang.

Doch viele Voraussetzungen waren von vornherein sehr ungünstig:
Das Land war geschwächt vom Krieg und musste, das es verloren hatte, viel größere Lasten tragen, als die anderen Kriegsteilnehmer, die im Gegenteil vom Verlierer Deutschland profitierten.
Daher traf Deutschland die weltweite wirtschaftliche Schwäche in den 20er Jahren auch besonders hart.
Die großen gesellschaftlichen Veränderungen (andere Mode, gestärkte Frauenrechte, größere Freiheiten in der persönlichen Lebensgestaltung) waren für die meisten Menschen auch beängstigend, in Deutschland aber besonders, da hier der Identitätsverlust so groß war. Frankreich und England zum Beispiel waren politisch gleich geblieben und hatten ihr Nationalitätsbewusstsein durch das Gewinnen des 1. Weltkriegs noch gestärkt. Deutschland hatte keinen Kaiser mehr, ein anderes politisches System und musste sich als Verlierer und "Kriegstreiber" beschimpfen lassen.

Die Folgen des 1. Weltkriegs wären besser zu verkraften gewesen, wenn Deutschland sich nicht so verändert hätte. Andersherum wäre diese Veränderung besser zu verkraften gewesen, hätten nicht ein verlorener Krieg und seine Folgen die Gesellschaft belastet.
Beides zusammen aber war zuviel. Das immer größer werdende Elend der Bevölkerung mit hoher Arbeitslosigkeit und wenig Aussicht auf Besserung entlud sich zunehmend in Unzufriedenheit mit dem politischen System. Die Menschen sehnten sich nach einem starken Führer. Und den bekamen sie am Ende dann auch in Adolf Hitler.

Insofern war die Weimarer Republik nur scheinbar und vorübergehend stabil. Sie trug ihr baldiges Ende von Beginn an in sich.


Mastrodonato  30.08.2016, 09:41

Das mit den hohen Reparationszahlungen ist eine Übertreibung - sie entsprachen nicht einmal einem Monat Kriegskosten. Dazu kommt, dass Deutschland sehr wenige Rüstungsausgaben hatte, also es sehr wohl gute Aussichten auf eine positive wirtschaftliche Entwicklung hatte.

Auch die unblutige Wandel zur Demokratie - es gab die Revolution, es gab politische Morde (Rathenau. Liebknecht, Luxemburg) - finde ich rosig dargestellt.

Auch würde ich nicht sagen, dass der Aufschwung auf tönernen Füssen gebaut war - die Fehler wurden später gemacht (Geldpolitik).

Ansonsten guter Beitrag.

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AngJuli  30.08.2016, 11:58
@Mastrodonato

Über die Höhe der Reparationskosten habe ich ganz anderes gelesen, nämlich, dass sie den Wert der Goldvorräte der gesamten Welt überstiegen (völlig irrwitzig, ich weiß, aber damals war Einiges irrwitzig). Und da es vor allem Frankreich darum ging, den alten Feind Deutschland in Grund und Boden zu stampfen (nach der Demütigung des verlorenen Krieges 1880/81), drängte es auf eine möglichst nachhaltige wirtschaftliche Schwächung.

Das "unblutig" ist relativ, das ist mir klar. Ich wollte nicht noch weiter ausholen, ich schreibe sowieso immer so lang. Ich habe das in Relation zur Revolution in Russland gesehen. Ein solcher Verlauf wäre ja auch in Deutschland möglich gewesen und war von der extremen Linken ja auch angestrebt worden. Und das wäre wirklich blutig gewesen. Du hast natürlich Recht, es hat die Morde an Politikern gegeben und zum Beispiel die Niederschlagung der Aufstände durch die Freikorps, die auch nicht zimperlich waren.

Ob der wirtschaftliche Aufschwung auf tönernen Füßen stand oder nicht, hängt an der Frage der Reparationskosten. So, wie ich das bisher wusste, bluteteten sie Deutschland völlig aus. Den Bauern wurden die Pferde weggeholt, sodass sie die Äcker nicht mehr bestellen konnten, in den Fabriken wurden die Maschinen abgebaut, sodass es dort keine Produktion und keine Arbeitsplätze mehr gab. Und alles zusammen schwächte den Staat immens, weil er immer mehr Bedürftige versorgen musste, anstatt von Produktion und Arbeitsleistung gestützt zu werden.
Vor diesem Hintergrund war wirtschaftlicher Absturz vorprogrammiert.
Aber eben nur, wenn meine Version stimmt.

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Die sogennanten goldenen Zwanziger Jahre finde ich durchaus angebracht. Und man hatte absolutu die Chance, sich stabil zu entwickeln, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg möglich war. Die Fehler wurden dann aber in der Wirtschaftskrise gemacht, Geldpolitik, Protektionismus. Die hat Hitler gross gemacht.

Ein gewisses Argument für die Scheinstabilität kann man aufführen, dass politisch die Gesellschaft sehr heterogen war - von den Kommunisten bis zu den Aristokraten und Nationalkonservativen war alles da und man war sehr wenig kompromissfähig.

Man muss sich fragen - warum hat sich das nach dem Zweiten Weltkrieg soviel besser entwickelt? Hier wird dieser Frage nachgegangen:

http://geschichte-forum.forums.ag/t945-das-wirtschaftswunder-in-deutschland-und-westeuropa-nach-dem-zweiten-weltkrieg

Es gibt auch andere Threads, zu den Goldenen Zwanziger Jahren und zur Frage, ob die Weimarer Republik eine echte Chance hatte.

Weil man suggerieren möchte, daß die Entwicklung hin zum dritten Reich ganz leicht hätte vermieden werden können und lediglich eine Folge des schlechten Charakters aller Deutschen war.

OK, das war etwas plakativ ausgedrückt. Was ich meine ist:

Die Weimarer Republik war nie stabil.

Von Anfang an gab es schwerste Zewürfnisse in der Bevölkerung und der Regierung, Straßenschlachten etc. (und zwar nicht mit Pflastersteinen und Wasserwerfern, sondern mit echten Waffen);

Recherchier mal "Münchner Räterepublik" oder "Volksabstimmung Oberschlesien"!

Die Einschränkungen durch den Versailler Vertrag gingen weit über Reparationszahlungen hinaus.

Die "goldenen Zwanziger" haben existiert, der Zusammenbruch alter gesellschaftlicher Normen brachte neue Freiheiten und regte die kulturelle und künstlerische Produktivität an. Man findet eine großartige Entwicklung in der Kunst und Ltreatur, aber wenn man sich die Werke genauer anschaut, dann ist vieles davon eben Traumabewältigung.

Die goldenen Zwanziger waren eben kein Zeichen einer stabilen Phase in Staat und Gesellschaft, im Gegenteil.

Nach dem ersten Weltkrieg wurde die Weimarer Republik von mehreren großen Problemen belastet, wie Inflation, Arbeitslosigkeit, hohe Reparationsforderungen durch die Weltkriegssieger, Abhängigkeit von Auslandskrediten, gegen Ende schwache Regierungen, schließlich die Weltwirtschaftskrise, schwache demokratische Kräfte, starke Gegner der Demokratie von rechts und links, schwache demokratische Institutionen.

Trotzdem erlebten die Menschen in der Weimarer Zeit einen Aufschwung, die Goldenen Zwanziger. Am Ende der Zwanziger Jahre zeigte sich jedoch, dass dieser Aufschwung auf tönernen Füßen gebaut war. Vor allem die Weltwirtschaftskrise traf Deutschland von allen europäischen Ländern am stärksten (neben den USA).

Deshalb sagen Historiker heute "Scheinstabilität" oder scheinstabile Phase.


Mastrodonato  30.08.2016, 09:35

Das mit den hohen Reparationszahlungen ist eine Übertreibung - sie entsprachen nicht einmal einem Monat Kriegskosten. Dazu kommt, dass Deutschland sehr wenige Rüstungsausgaben hatte, also es sehr wohl gute Aussichten auf eine positive wirtschaftliche Entwicklung hatte.

Auch würde ich nicht sagen, dass der Aufschwung auf tönernen Füssen gebaut war - die Fehler wurden später gemacht (Geldpolitik).

Ansonsten guter Beitrag.

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deutschland war noch nicht reif für eine demokratie. denn sonst hätte man nicht mit überwältigender mehrheit im parlament für hitlers antrag gestimmt, das ermächtigungsgesetz anzuwenden!