Was ist die Natur der Zeit? Ist sie linear, zyklisch oder etwas anderes?

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Wir Menschen betrachten die Zeit streng linear, jedoch ist bereits bewiesen, dass Raum und Zeit zusammenhängen und eine Krümmung der Raumzeit sowohl eine Veränderung des Raums als auch der Zeit bedeutet - in Wirklichkeit sind Raum und Zeit nicht so einfach voneinander trennbar. Ohne Zeit gibt es keinen Raum und ohne Raum wäre die Frage was Zeit symbolisieren soll außer ein Gedankenkonstrukt.

Außerdem kann das Gehirn die subjektiv wahrgenommene Zeit künstlich verlangsamen, um Gefahren besser zu bewältigen, manchmal vergeht die Zeit "wie im Flug" also besonders schnell wenn wir Spaß haben - oder bei einem Kuss fühlt es sich an als ob die Zeit "still" stehen würde. Das tut sie zwar nicht wirklich, aber was ist schon Zeit, wenn nicht ein zutiefst menschliches Konzept, die Welt aus unserer Perspektive zu erfassen und zu definieren?

Was nämlich auch sehr interessant ist, ist, dass menschliche Zellen bei viel Stress tatsächlich auch schneller altern. In gewisserweise ist Zeit ein vom Menschen erdachter Maßstab für Abfolgen im Universum und einen Ablauf der persönlichen Wahrnehmung. Das Gehirn vermischt bei Entscheidungen oder Träumen regelmäßig Vergangenheit, Gegenwart und Zukunftsängste, sogesehen ist Zeit nur in der Empirie, in der Beobachtung, Abschätzung und Vorherbestimmung räumlicher Prozesse relevant.

Mein Partner und ich hören uns gerade "Momo" von Michael Ende an. Darin versucht der Autor, die Natur der Zeit zu ergründen.

Wir haben uns lange darüber unterhalten und sind selber zu keinem schlüssigen Ergebnis gekommen.

Hier aber zur Inspiration für alle einige unserer Erwägungen und Gedanken: Es gibt eine messbare Zeit auf der Uhr. Diese kann von Physikern ergründet werden, sie kann - so sagt es die Quantenphysik - unter verschiedenen Umständen anders ablaufen, sofern ein Refernzsystem vorhanden ist.

Die Frage ist: Welche Relevanz hat das für uns als Einzelpersonen und als Gesellschaft? Das mag bedeutsam werden, wenn wir mehr Raumfahrt entwickeln, aber zum jetztigen Zeitpunkt hat das im Wesentlichen gar keine Relevanz für uns.

Doch Michael Ende weist auf eine andere Natur der Zeit hin - eine, die man nur erfahren, aber nicht messen kann.

In seiner Geschichte stehlen böse Zeitdieben den Menschen die Zeit. Wir alle wissen, dass das nicht möglich ist, eine Stunde ist eine Stunde, und niemand kann sie wegnehmen.

Das einzige, was wir tun können, ist, darüber zu bestimmen, was wir in dieser Stunde tun, wie wir sie nutzen.

Die Zeitdiebe versuchen, die Menschen dazu zu bringen, ihr Leben und das, was sie tun, zu hassen, zu geringschätzen, zu verachten.

Sie versuchen sie davon zu überzeugen, dass, wenn sie bloss all die unliebsamen Dinge, die sie den lieben langen Tag tun müssen, so schnell wie möglich erledigen würden, dass sie dann irgendwann ganz viel Zeit hätten, um "das richtige Leben" zu führen.

Das Versprechen bleibt mit Absicht vage, denn es ist ohnehin ein leeres Versprechen, das niemals eingelöst wird. Was wirklich passiert, ist, dass die Zeitdiebe den Menschen das richtige, das wahre, das lebenswerte Leben wegnehmen, so bescheiden es in seiner äusseren Erscheinung auch sein mag, und es durch eine lieblose Hast ersetzen, das den Menschen keine Zeit lässt, darüber nachzudenken, dass sie ihre Zeit freudlos und lieblos vergeuden.

Zeit, so stellt es Ende in seiner Geschichte dar, gewinnt genau dann wahrhaft an Qualität, wenn wir sie einfach vergessen und die Dinge sich in ihrem eigenen Rhythmus und ihrem eigenen Sinn entfalten zu lassen.

Eine Pflanze wächst nicht, wenn man sie versucht dazu zu bringen, so schnell wie möglich zu wachsen, weil sie dann nur aufschiesst und schwach und kränklich bleibt.

Wenn eine Pflanze aber in der Zeit wachsen darf, die sie eben unter normalen Umständen benötigt, dann wird sie gross und stark und bildet viele Zweige und Blätter aus.

Und sie ist es wohl auch mit uns Menschen: Wenn wir uns die Zeit nehmen für die Dinge, welche diese benötigen, dann dürfen wir zusehen, wie sie sich entfalten. Und dabei entsteht oft mehr, als wir ursprünglich angestrebt haben, weil eben Zeit bleibt, um auch Kleinigkeiten und Feinheiten zu entdecken oder ihnen Raum zu geben.

Auf diese Weise wird unser Leben bunter und reichhaltiger, obwohl die Zeit selbst sich nicht verändert hat.

Die Antwort von Michael Ende über die Natur der Zeit ist also wohl: Zeit ist das, was sich in unserem Herzen immer von Neuem entfaltet und dabei immer neue Blüten treibt (das Bild von der goldenen Kuppel und dem Teich mit den Stundenblumen).

Die Natur der Zeit ist es, maximal unbeeindruckt von Wünschen und Sehnsüchten zu sein, weil sie weiß, dass unsere Träume und Lebensziele irgendwann in Vergessenheit geraten. Sie lässt sich weder erweichen noch bestechen.

Sie fließt und erlaubt Veränderungen, setzt aber umgekehrt auch Veränderungen voraus. Wahrgenommen werden kann sie nur von Wesen, die Information speichern können und damit Veränderungen erkennen, denn das fließende Jetzt ist unendlich kurz.

Zeit ist, was du auf der Uhr abliest.

Es gibt nur Jetzt = Ewigkeit.

Verg. u. Zuk. sind Konstrukte des Verstandes.