Was bedeutet "lüderlich"?
Hallo zusammen,
im Roman "Der Proceß" von Franz Kafka spricht Josef K. unter anderem folgenden Staz aus: "Ich sage nicht, daß es ein lüderliches Verfahren ist, aber ich möchte Ihnen diese Bezeichnung zur Selbsterkenntnis angeboten haben." Meine Frage lautet nun: Was bedeutet das Wort "lüderlich"?
Vielen Dank für eure Antworten im vorraus!
1 Antwort
In Johann August Eberhards „Synonymischem Handwörterbuch der deutschen Sprache* von 1910 findet sich dieser Text:
- Liederlich (mhd. liederlich, leicht, zierlich, leichtfertig; die Schreibweise lüderlich beruht darauf, daß man das Wort zu Luder in Beziehung setzte) bezeichnet einen hohen Grad der Leichtfertigkeit, auch das Formlose, Wirre in der äußeren Erscheinung, z. B. liederliche Kleidung,liederliche Schrift usw. Auf die Tätigkeit des Denkens und der Phantasie wird es weniger angewendet, mehr auf den Lebenswandel und äußerliches Tun. http://www.textlog.de/38578.html
Zum „Lotter“ gab es eine niederdeutsche Nebenform – „Lüder”, ein ’leichtsinniger, ziemlich verkommener Kerl’, zu der ein Adjektiv „lüderlich“ entstand. Dieses „lüderlich“ hat um 1700 den frühen Sprachwissenschafter Karl Stieler verführt, es für ein Adjektiv zu „Luder“ zu halten, mit dem der „Lotter“ aber nicht verwandt ist, denn mittellhochdeutsch ist das „luoder“ noch eine Schlemmerei und eine Lockspeise. Da man als Lockspeise für Fische ein Aas in Wasser hängte, wurde "Luder" zum Schimpfwort.
Gottsched und Lessing aber wurden durch Karl Stieler scheinbare Logik verleitet, die Schreibung „lüderlich“ zu fordern, die sich dann auch bei Kafka findet.
So wie sich jedoch die Schreibung "lüderlich" nicht durchgesetzt hat, nachdem sich die Ableitung von "Luder" als falsch herausgestellt hatte, so wird sich deine Schreibung "im vorraus" hoffentlich auch nicht durchsetzen (wenn sie auch leider hier in GF schon beinah der Standard ist), denn
im Voraus
- besteht es aus vor + aus und
- ist hauptwörtlich gebraucht
Sorry, ich hab da 2 Vornamen bzw. Leute wervechselt:
Der frühe Sprachwissenschaftler, den ich als schuldigen Erfinder der Schreibung "lüderlich" erwähnt hab, war nicht Karl Stieler, sondern der Erfurter Kaspar von Stieler (1632–1707). In seinem für die damalige Zeit sensationellen Wörterbuch "Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs" ( Nürnberg 1691) hat er allerdings etliche Schnitzer gemacht, die weit kurioser als das "lüderlich" sind: Das Wort "Natur" z.B. bedeute "nach dem Ur(wesen)", erklärt er, denn es sei eine Ableitung vom deutschen Ur. Ur-komisch, was?
Fein! Nur recht oft schreiben kann auf andere wirken! Leider gibt's keine Schutzimpfung gegen derlei Epidemieen. Doch - sehr, sehr frei nach Lukas - bei GF herrscht mehr Freude über einen einzigen Irrtum eines Wissbegierigen, der ab nun vermieden wird, als Ärger über 99 Ignoranten, die sich einen feuchten Kehricht um Sprache und Rechtschreibung scheren. :D
Hoppla, da hab ich selber einen kuriosen Schreibfehler gemacht - auch eine Buchstabenverdopplung -, denn natürlich reicht im Plural von Epidemie ein -e- "Epidemien".
Vielen Dank für die ausführliche Antwort! Danke für den Rechtschreib-Tipp, den Fehler werde ich ab sofort nicht mehr machen. ;-)