Warum wird die Geschichte erzählt, dass der Storch die Kinder bringen soll? Woher kommt die Geschichte?

3 Antworten

Wenn ein Storch einen sehr großen Frosch gefangen hatte und mit seiner Beute zum Nest geflogen kam, dann sahen die "Arme und Beine" des Frosches manchmal so aus, wie die eines sehr kleinen Kindes. Natürlich wusste jeder Erwachsene, dass es ein Frosch war, aber es war zu schön die Kinder hinters Licht zu führen.

Die Erwachsenen haben auch früher nicht ernsthaft geglaubt, das Kind stamme nicht von der Mutter, sondern werde von einem Storch gebracht. Kindern gegenüber konnte mit der Erzählung vom Storch als Kinderbringer der tatsächliche Geburtsvorgang aus Schamhaftigkeit oder Bequenlichkeit verhüllt werden. Bildliche Darstellungen mit einem Weißstorch (zoologisch: Ciconia ciconia), auch Klapperstorch genannt, der Kinder bringt, konnten als malerisch, niedlich oder lustig empfunden werden.

Die Geschichte vom Storch als Kinderbringer ist anscheinend in der Neuzeit entstanden, wobei sie auf deutlich ältere Vorstellungen aufbauen konnte und der Storch bestimmte Anknüpfungspunkte bot.

Die Angaben, ob die Geschichte im 17. oder 18. Jahrhundert entstanden ist, sind nicht einheitlich. Anscheinend hat sich nach vorausgehenden einzelnen Aussagen über den Storch, der Kinder bringt bzw. trägt, erst im 19. Jahrhundert (dann auch in literarischen Texten) die Geschichte stärker verbreitet. Liedtexte, Reime/Gedichte, Märchen und bildliche Darstellungen haben dazu beigetragen. Es hat auch Vorstellungen von anderen Tieren als Kinderbringer gegeben. Je nach Region ist es unterschiedlich, ab wann Erzählungen vom Storch vorgekommen sind (im Norden und der Mitte Deutschlands früher als in anderen Teilen).

Ein alter Volksglauben ist die Vorstellung gewesen, die Ungeborenen bzw. ihre Seelen lebten/wohnten im Wasser. Wasser konnte mit Fruchtbarkeit und Beginn/Ursprung des Lebens in Verbindung gebracht werden.

Der Storch lebt in Gebieten, die feucht sind bzw. in denen es Gewässer gibt (bietet Raum für die Vorstellung, der Storch bringe Kinder aus Brunnen oder nahegelegenen Gewässern).

Der Storch ist ein Kulturverfolger und nistet auf Dächern von Häusern.

Die Storcheneltern kümmern sich fürsorglich um ihre Jungen.

Störche können Beutetiere im Schnabel halten, was der Phantasie eine Vorstellung eines Tragens kleiner Kinder im Schnabel erleichtert.

Der Storch kommt als Zugvogel im Fühjahr, wenn die Natur auflebt.

Der Storch, bei dem die Paarung beobachtet werden kann, und Ergebnisse als eine und Jungtiere hervorgehen, ist Symbol der Fruchtbarkeit gewesen.

Der Storch, der als heiliges Tier und Frühlingsbote galt, war nach Volksglauben Glücksbringer (und Kindersegen wurde als ein Glück empfunden).

Informationen:

Lutz Röhrich, Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, Band 3: Homer – Nutzen. 5. Auflage der Taschenbuchausgabe [der Neubearbeitung 1991]. Freiburg [Breisgau] ; Basel ; Wien : Herder (Herder-Spektrum ; Band 5200 ), 2001, S. 846 – 851 (Klapperstorch)

S. 848: „Sind die meisten Vorstellungen vom Aufenthaltsort der noch ungeborenen Kinder sehr altertümlich, so gilt dies offenbar nicht für den Klapperstorch als Kinderbringer. Diese Phantasiegestalt ist vielmehr ganz jung. Der Antike und dem Mittelalter war sie unbekannt, und es fehlen sogar über das 19. Jh. zurückgehende Literatur- oder Bildbelege. Lit. Zeugnisse reichen nicht über die Spätromantik zurück.“

Jh. = Jahrhundert  

Lit. = Literarische

S. 849: „Wie haben sich nun aber älteste Glaubensschichten vom Aufenthalt der Ungeborenen mit dem jungen Storch als Kinderbringer verbinden können? Wahrscheinlich hängt es mit dem alten Glauben an den Wasseraufenthalt der ungeborenen Kinder zusammen, daß ein Sumpfvogel wie der Storch dazu ausersehen wurde, die kleinen Kinder ins Haus zu schaffen. Bereits in der Antike galt Adebar als Symbol der Fruchtbarkeit. Die zärtliche Liebe des Storches zu seinen Jungen wurde schon im Altertum gerühmt, ebenso im Mittelalter. Nach Konrad von Megenbergs ‚Buch der Natur‘ reißen sich die Störche die eigenen Federn aus und legen sie beim Brüten in das Nest, damit die Jungen nur weich sitzen können.

Vor allem aber spielte der Storch schon immer eine wichtige Rolle in der Mantik. Seine allgemeine Glücksbedeutung ist im Volksglauben vermutlich viel älter als wir sie belegen könnten. Schon in der ‚Rockenphilosophie‘ von 1718/1722 steht der Satz: „Wer das Glück hat, daß Störche ihr Nest auf sein Haus oder Schornstein bauen, der wird lange leben und reich werden“.“

S. 850: „Ohne daß Adebar unmittelbar als Kinderbringer fungierte, war er doch auch im älteren Volksglauben mit dem Kindersegen verknüpft: Wenn er keine Eier legte, so wurden in dem Hause auch keine Kinder geboren, und wenn seine Jungen starben, so starben auch die Kinder. Wer den Storch verstümmelte, bekam Kinder mit analogen Gebrechen. Nistete der Storch auf dem Haus eines jüngst getrauten Ehepaares, so bekam dieses so viele Kinder, als er Junge hatte. In der Altmark kündete ein fliegender Storch einem Mädchen, daß sie auf den Brautwagen kommen sollte, ein stehender aber, daß sie zur Patin gebeten würde.“

„Auch wenn der Storch als Kinderbringer selbst nicht allzu weit zurückreicht, so ist doch das Bild des Wassers als Inbegriff der Fruchtbarkeit und als Aufenthaltsort der noch ungeborenen Kinder alt. Der Storch seinerseits brachte viel Volksglauben mit, der ihn auch in seine neue Funktion mühelos hineinwachsen ließ. Offenbar mischen sich tatsächlich im Klapperstorchmärchen älteste und jüngste Vorstellungen in einer kaum noch zu trennenden Weise.“

Gundula Hubrich-Messow, Storch. In: Enzyklopädie des Märchens : Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Begründet von Kurt Ranke. Mit Unterstützung der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen herausgegeben von Rolf Wilhelm Brednich zusammen mit Hermann Bausinger, Wolfgang Brückner, Daniel Drascek, Helge Gerndt, Ines Köhler-Zülch, Lutz Röhrich. Klaus Roth. Redaktion: Doris Boden, Ulrich Marzolph, Christine Shojaei Kawan, Hans-Jörg Uther. Band 12: Schinden - Sublimierung. Berlin : New York : de Gruyter, 2007, Spalte 1333 – 1337

Spalte 1334: „Seit der Antike gilt der S. als Frühlingsbote und Glücksbringer; entsprechend wird es als Zeichen von Glück angesehen, wenn S.e auf dem Dach eines Hauses nisten […].“

S.e = Störche

„Erst seit dem 18. Jh. ist in Europa und europ. beeinflußten Gebieten die Vorstellung vom S. als Kinderbringer populär.“

Jh. = Jahrhundert  

europ. = europäisch  

S. = Storch

Rudolf Schenda, Das ABC der Tiere : Märchen, Mythen und Geschichten. München : Beck, 1995, S. 354 – 359 (Storch)

Edmund Schneeweis, Storch. In: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Herausgegeben von von Hanns Bächtold-Stäubli unter Mitwirkung von Eduard Hoffman -Krayer. Unveränderter photomechanischer Nachdruck. Mit einem neuen Vorwort von Christoph Daxelmüller. Band 8: Silber – Vulkan. Berlin ; New York : de Gruyter, 2000. Unveränderter photomechanischer Nachdruck der Ausgabe Berlin und Leipzig, de Gruyter, Guttentag, Reimer, Trübner, Veit, 1931, 3., unveränderte Auflage. Spalte 498 - 507

http://www.heinrich-tischner.de/50-ku/marchen/marchen/storch.htm