Warum ist ein Molekül stabiler, wenn es mehr mesomere Grenzstrukturen hat?

4 Antworten

Wie (fast) immer ein Entropieeffekt:

Vergleicht man die Hydrierungsenthalpien von Cyclohexen (1 Doppelbindung, keine Mesomerie) und von Benzol (3 Doppelbindungen, Mesomerie)

https://www.chemieunterricht.de/dc2/ch/cht-201.htm

so fällt auf, daß sie bei Benzol um ca. 150 kJ zu niedrig ausfällt. Um diesen Betrag stabilisiert also (macht energieärmer) die Mesomerie.

Grund:

Bei Hydrierung müssen die delokalisierten (über einen größeren Raum verteilten) Elektronen wieder lokalisiert werden, sonst läuft nichts.

Dieser Vorgang kostet Energie, da aus einem ungeordneten Zustand ein rel. geordneter hergestellt werden muß (Entropieabnahme)

Aus dem gleichen Grund kostet es Energie um:

-ausgeströmtes Gas wieder in einen Behälter zu pressen

-eine Temperaturdifferenz zwischen Innen/Außenbereich eines Kühlschranks zu erzeugen

-frei laufende Hühner in einen Stall zu treiben

-den Flaschengeist wieder in die Flasche zu bekommen.

Das führt relativ tief in die Quantenmechanik. Ich versuche, das hier so einfach wie möglich zu erklären, aber vermutlich wird Dir die Standard-Erklä­rung „Die Elektronen werden delokalisiert, sie verteilen sich auf mehr Volumen und können einander weni­ger abstoßen, daher wird es stabiler“ ausreichen.

Quantenmechanisch sieht das so aus: Wir beschreiben das Molekül durch eine Wel­len­funktion, die wir im Prinzip beliebig annehmen können. Für jede beliebige Wel­lenfunk­tion können wir eine Energie ausrechnen; je dämlicher wir die Wellenfunktion ge­wählt ha­ben, desto schlechter sind die Resultate. „Schlecher“ bedeutet hier immer, daß die be­rech­nete Energie zu hoch ist, daß das Molekül aus der Rechnung also zu in­sta­bil he­raus­kommt. Oder anders gesagt: Je tiefer die berechnete Energie liegt, desto bes­ser war die ge­wähl­te Wellenfunktion.

Man kann nun leicht Wellenfunktionen schreiben, die einer chemischen Strukturfor­mel entsprechen, bei denen also alle Bindungen bereits im Ansatz enthalten sind und nicht erst aus der Rechnung herauskommen (sogenannte VB-Wellenfunktionen, die sind an­ders als die MO-Wellenfunktionen, mit denen man normalerweise arbei­tet). Wenn ich jetzt irgendeine mesomere Spezies hernehme, z.B. das Allyl-Kat­ion CH₂=CH–CH₂⁺, dann kann ich in dieser Methode leicht eine Wellenfunktion auf­schrei­ben, die genau der von mir angegeben Struktur hat (also Doppelbindung links, posi­ti­ve La­dung rechts) und deren Energie ausrechnen. Ich kann auch die andere Struktur ⁺CH₂–CH=CH₂ berechnen und kriege dann natürlich dieselbe Energie.

Aber diese Energie ist nicht besonders gut. Man kann die Berechnung verbessern, in­dem man eine Mischung von beiden Strukturen/Wellenfunktionen erlaubt. In unse­rem Fall muß die Mischung natürlich symmetriebedingt 1:1 sein, aber im all­ge­mei­nen Fall (z.B. 1,2-Dichlorbenzol) wählt man das Mischungsverhältnis so, daß die berechnete Energie möglichst tief wird, also näher an der Realität liegt.

Wenn Du das aufmerksam liest, wird Dir auffallen, daß ich hier nicht von physikali­schen Effekten schreibe, sondern davon, daß eine bestimmte Methode (VB) an sol­chen Mo­le­kü­len scheitert, weil ihre Grundannahme (Moleküle müssen wie eine Struk­tur­for­mel ge­baut sein, mit einer fixen und ganzzahligen Anzahl Bindungen zwi­schen zwei Atomen) für diese Moleküle nicht gut genug ist.

Mesomerie ist also kein physikalischer Effekt, sondern nur der Zusammenbruch der sim­plen Vorstellung, daß Elektronen sich wie die Striche in einer Lewis-Formel ver­hal­ten. Die Wahrheit ist eben komplizierter als das, und wirklich verwunderlich ist nur, daß man mit der simplen Vorstellung überhaupt so weit kommt.

Die heute dominant verwendete MO-Methode arbeitet mit einer anderen Vorstellung: Mo­le­kü­le bestehen nicht aus Atomen mit Bindungen dazwischen wie bei VB, son­dern aus Kernen und Elektro­nen. Das hat auch seine Nachteile (man kann gar nicht mehr so wirklich definieren, was eine „chemische Bindung“ eigentlich ist), aber das gan­ze Meso­merie-Dilemma stellt sich nicht mehr: Moleküle wie das Allyl-Kation oder Ben­zol kom­men automa­tisch symmetrisch gebaut heraus, und brauchen keine spe­zi­el­e Be­hand­lung mehr.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Chemiestudium mit Diss über Quanten­chemie und Thermodynamik

Wenn ein Molekül mehrere mesomere Grenzzstrukturen bilden kann, hat es ein niedrigeres Energieniveau als ein (potentiell) identisches Molekül, das keine Grenzstrukturen hat/hätte. Dadurch ist es stabiler.

Wenn du auf der Vatertagswanderung eine Kiste Bier tragen musst, wirst du weiter kommen, wenn du abwechselnd beide Hände benutzen darfst (Mesomere Grenzstruktur). Wenn du nur die linke Hand zum Tragen benutzen darfst (keine mesomere Grenzstruktur), wirst du nach spätestens 2km mit Rückenschmerzen zusammenbrechen. In diesem Fall war die Verbindung "Du+Bierkiste" nicht sehr stabil.

Glücklicherweise gibt es ja noch weitere Alternativen, um eine Kiste Bier ohne Rückenschmerzen zu transportieren. :D

Hintergrund ist, dass Doppelbindungen wegen der an einem Ort zentralisierten Ladung eher ungünstig sind und sich über eine Mesomerie quasi verteilen können.

Hat das geholfen?

Weil Ladungen besser verteilt werden können

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – MSc in Biochemie