Was ist der Unterschied zwischen Sozialistengesetz und Sozialgesetz?

1 Antwort

Sozialisten ist eine Bezeichnung für Menschen, die Vertreter/Anhänger des Sozialismus sind, einer bestimmten politischen Weltanschauung bzw. für Menschen, die Mitglieder/Anhänger einer sozialistischen Partei.

Sozial (auf die Gesellschaft bezogen) ist allgemein etwas, das die Beziehungen von Menschen in einer Gesellschaft betrifft. Sozialgesetze beziehen sich auf etwas, das im 19. Jahrhundert als „soziale Frage“ bezeichnet worden ist, ein aufgetretenes gesellschaftliches Problem und die dadurch entstehenden Auseinandersetzungen: gesellschaftliche Mißstände und Not und Verelendung der unteren Schicht der Bevölkerung, vor allem der Arbeiterschaft. Dazu gehörten Armut, schlechte Arbeitsbedingungen (sehr lange Arbeitszeiten, sehr niedrige Löhne, wenig Chancen, sich gegen Ausbeutung durch Unternehmer zu wehren), Kinderarbeit, schlechte Ernährung, schlechte Wohnverhältnisse, schlechte Gesundheitsbedingungen, Bildungsmangel, fehlende Absicherung (z. B. bei Krankheiten und Unfällen).

Bei Bismarck war das Sozialistengesetz eine Unterdrückungsmaßnahme. Die Sozialgesetzgebung reagierte mit konstruktiven Lösungsversuchen auf die soziale Frage. Unter taktisch-strategischen Gesichtspunkten ist das Sozialgesetz Peitsche, die Sozialgesetzgebung Zuckerbrot.

Das von Bismarck eingebrachte und von einer Mehrheit des Reichstags beschlossene Sozialistengesetz („Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“) von 1878 (bis 1890 verlängert) ermöglichte ein Verbot sozialdemokratischer und sozialistischer Versammlungen, Vereine und Druckschriften. Anlässe waren (erfolglose) Attentate am 11. Mai und 2. Juni 1878 auf Kaiser Wilhelm I., wobei aber die Täter nicht sozialdemokratische Motive hatten. Bismarck hat eine Gelegenheit für eine starke Verschärfung schon vorher stattfindender Unterdrückungsmaßnahmen benutzt. Zugleich sollte sie ihm dazu dienen, die Liberalen zu schwächen und fügsamer zu machen.

Die Sozialisten/Sozialdemokraten wurden im deutschen Kaiserreich von Bismarck und anderen zu „Reichsfeinden“ und „vaterlandslosen Gesellen“ erklärt. Bismarck hat die Sozialdemokraten als Störfaktor empfunden. Beim Ausmaß der Gegnerschaft (scharfe Bekämpfung mit Ausnahmegesetzen) ist ein zunehmendes Beharren auf den grundsätzlichen politischen Strukturen von 1871 und Unduldsamkeit in Bezug auf Absichten zu ihrer Veränderung auf dem Weg politischer Entwicklungen eine Erklärung, zusammen mit einer Abneigung gegen etwas, das er als Bedrohung durch einen revolutionären Umsturz sah.

Ein Ziel der Sozialgesetze war, die Arbeiterschaft einzubinden und an den Staat heranzuführen und sie damit den Sozialdemokraten zu entfremden. Ihre Anhängerschaft sollte mit der Regierung und den Verhältnissen zufriedener werden und die Sozialdemokraten durch Verminderung ihrer Anhänger und Wähler geschwächt werden. Die Sozialgesetzgebung (Krankenversicherung 1883, Unfallversicherung 1884, Invaliditäts- und Altersversicherung 1889) war eine bedeutende innenpolitische Leistung.

Einführende Informationen bietet z. B:

Hans-Peter Ullmann, Politik im Deutschen Kaiserreich : 1871 – 1918. 2., durchgesehene Auflage. München : Oldenbourg, 2005 (Enzyklopädie deutscher Geschichte ; Band 52), S. 14 – 16 und 21 – 25

S. 23: „Alles in allem erreichte die Sozialgesetzgebung Bismarcks Ziel, die Arbeiterbewegung zu schwächen, nicht. Immerhin trug sie dazu bei, die Lage der Arbeiter zu verbessern, und das wirkte auf lange Sicht integrierend. Doch es blieb manche Unzulänglichkeit. Denn die Leistungen lagen niedrig, vor allem bei der Invaliditäts- und Alters- sowie der Unfallversicherung. Sie linderten die soziale Not, beseitigten diese aber nicht. Im System sozialer Sicherung klaffte eine Lücke, da eine zentralstaatliche Arbeitslosenversicherung fehlte. Vor allem aber gab es strukturelle Grenzen. Die Sozialversicherung verkürzte die „soziale Frage“ auf die Absicherung von Daseinsrisiken, verminderte die Gefahren des industriellen Arbeitsprozesses nicht, sondern milderte nur die durch ihn hervorgerufenen Schäden, blieb verteilungs- und wettbewerbsneutral.“