Unterschied freier Wille bei Kant und Utilitarismus?

3 Antworten

Utilitarismus bedingt nicht eine ganz bestimmte Auffassung zum Thema »Willensfreiheit«. Vertreter(innen) des Utilitarismus haben daher nicht alle einheitlich einen grundsätzlich gleichen Standpunkt bei dieser Frage.

John Stuart Mill hat sich mit dem Thema beschäftigt und sein Standpunkt ist innerhalb des Utilitarismus verhältnismäßig einflußreich und verbreitet gewesen. Einen „freien Willen" gibt es seiner Überzeugung nach nicht, aber der Mensch hat Freiheit, mit seinem Willen Einfluß zu nehmen.

Mill geht an die Frage so heran, den Willen als eine natürliche Sache zu untersuchen. Er hält außerdem Notwendgkeit und Freiheit nicht für sich auf jeden Fall auschließende Alternativen.

wesentliche Unterscheide zu Kant sind:

1) keine Transzedentalphilosophie und daher keine Verwendung eines Begriffes transzendentaler Freiheit bei der Darstellung seiner eigenen Aufassung

2) eine einzige Betrachtung des Menschen, Wegfall eines Dualismus mit einer zweiten Betrachtung, bei der es statt um den Menschen als Naturwesen (für den nach Kant strenge Notwenigkeit gilt) um den Menschen als Vernunftwesen im intelligiblen Bereich geht (für den Kant Willensfreiheit bejaht) und damit Wegfall einer theoretischen Antinomie (zueinander in Widerspruch stehende Aussagen haben beide gleichermaßen eine gute Begründung)

3) Abschwächung des Gehalts von Notwendigkeit und Freiheit (Mill möchte die Notwendigkeit bei einer Determiniertheit nicht als Zwangsläufigkeit verstehen und vertritt einen Begriff bedingter Freiheit mit ziemlich abgeschwächten Gehalt, mit einer Fähigkeit einer gewissen Selbststeuerung mittels des eigenen Willens; bei Kant gehört zur Freiheit dagegen, mit seiner Vernunft eine Entscheidung autonom zu treffen und etwas Neues aus sich heraus beginnen zu können)

Mill vertritt einen Determinimus. Eine Aussage von ihm ist: „Wenn der ganze frühere Zustand des Universums wiederkehren könnte, so würde ihm der ganze jetzige Zustand folgen.“ (John Stuart Mill, A system of logic: raciocinative and inductive. Book 3: On induction. Chapter 7: Of observation and experiment. §1. „If the whole prior state of the universe could again recur, it would again be be followed by the present state.“).

Sein Determinimus ist ein „weicher Determinimus“. Zwar nimmt eine eine ausnahsmlose gesetzmäßige Kausalität an, aber dabei geht es ihm (ähnlich wie David Hume) vor allem um eine Gleichförmigkeit und Regelmäßigkeit, während er es ablehnt, dies als Zwang und Unausweichlichkeit zu verstehen. Sein Standpunkt ähnelt einem Kompatibilismus, auch wenn eingewendet werden kann, bei ihm würde nicht wirklich eine Vereinbarkeit von vollständiger Determinierheit und Freiheit dargelegt.

Mill formuliert seinen Determinismus psychologisch. Bei der Willensbildung und den Handlungen setzt sich das in einer Situation für einen Menschen mit einem bestimmten Charakter stärkste Motiv durch.

Trotzdem hält Mill eine gewisse Freiheit für vorhanden. Der Mensch habe die Macht/Fähigkeit, senen eigenen Chrakter zu ändern. Zwar werde der eigene Charakter durch Umstände geformt, aber zu diesen Umständen gehörten auch die eigenen Wünsche. Der Msnchen knne zwar nicht direkt einen anderen Charakter wollen und so bekommnen, aber Handlungen/Verhaltensweisen wollen, die den Charakter formen/gestalten. Mill ist bereit zuzugestehen, das was zu einem Willen zu Charakteränderung führe, sei ebenfalls determiniert. Der Wunsch zur Charakteränderung sei größtenteils durch die Erfahrung von schmerzhaften und lustvollen Folgen determiniert, die mit dem Charakter verbunden sind. Es bleibt seiner Meinung nach dennoch ein Gefühl moralischer Freiheit, fähig zu sein, den eigenen Charakter zu modifizieren (abzuwandeln), wenn der Wunsch dazu besteht.

Wie dabei eine echte Wahl möglich ist, ist allerdings schwierig zu erklären.

Peter Rinderle, John Stuart Mill. Originalausgabe. München : Beck, 2000 (Beck'sche Reihe : Denker ; 557), S. 57 – 58:

„Im zweiten Kapitel des sechsten Buches zeigt Mill, daß uns die Alternative Freiheit versus Notwendigkeit auf eine falsche Fährte führt. Zum einen seien auch unsere Handlungen verursacht. Sie könnten vorhergesagt werden, wüßten wir nur alle Umstände, die sie beeinflussen (SL 837). Sie sind also nicht Resultat eines mysteriösen, der Beobachtung entzogenen freien Willens. Sie sind aber auch nicht einer ebenso mysteriösen Naturnotwendigkeit, einer geheimnisvollen Kraft, die von einer bestimmten, unwiderstehlichen Ursache ausgeht, unterworfen (SL 858). Wir haben uns von einem Kausalitätsbegriff zu verabschieden, der ein real existierendes Band zwischen zwei Ereignissen, die Unabänderlichkeit der Abfolge von Ereignissen, annimmt. Unsere Handlungen sind deshalb nicht absolut vorherbestimmt. Sie sind von Motiven verursacht, deren Entstehung und Ausbildung wir beeinflussen können. Selbst ohne den freien Willen bleibt uns Raum für die Entfaltung eines Charakters.

In seiner 26 Jahre später erscheinenden Überprüfung der Philosophie Sir William Hamiltons greift Mill das Problem in Kapitel XXVI „Über die Willensfreiheit" unter dem Aspekt des Verhältnisses von freiem Willen, moralischer Verantwortlichkeit und gesellschaftlicher Strafbefugnis wieder auf. Der Intuitionist Hamilton bezieht sich auf ein direktes Zeugnis unseres Bewußtseins von der Willensfreiheit und gleichzeitig auf ein indirektes Zeugnis der Willensfreiheit durch das Bewußtsein unserer moralischen Verantwortlichkeit (WH 442). Direkte Zeugnisse des Bewußtseins läßt der Empiriker Mill nicht gelten. Außerdem sage ihm sein Bewußtsein nichts über eine Willensfreiheit. „Hätte ich es vorgezogen" (WH 450), hätte ich tatsächlich anders handeln können. Für die Willensfreiheit ist das aber kein Beleg: Es ist immer der stärkste augenblickliche Wunsch, der uns zur Handlung bewegen wird (WH 453).

Aber auch ein indirektes Zeugnis für die Willensfreiheit erkennt Mill nicht an. Der Sozialreformer Robert Owen (1813) hat etwa aus der Erkenntnis einer durchgängigen Verursachung unserer Handlungen den Schluß ziehen wollen, daß man den Menschen nicht für sein Tun zur Verantwortung ziehen und daß es daher auch keine Rechtfertigung für die Bestrafung geben könne (vgl. WH 453). Mill entgegnet Owen (und damit auch Hamilton), daß es zur Rechtfertigung einer Strafbefugnis der Willensfreiheit nicht notwendig bedürfe. Im Gegenteil: Die Berechtigung der Strafe sei gerade auf die Möglichkeit der Beeinflussung des menschlichen Willens durch äußere Sanktionen angewiesen. Eine Bestrafung wäre unrechtmäßig, hätte sie keine Wirkung auf „die Handlung des Willens" (WH 458). Wäre der Wille völlig frei, dann würde die Bestrafung ihren einzig legitimen legitimen Zweck einer Beeinflussung des Handelns verfehlen und damit ihre einzig mögliche Berechtigung verlieren.

Die Annahme eines freien Willens widerspricht nicht nur dem naturwissenschaftlichen Weltbild. Sie wird auch für unsere Idee der moralischen Verantwortlichkeit nicht benötigt. Unserem Selbstverständnis widerspricht diese Theorie deshalb nicht, so Mill, da sie uns durchaus Einflußmöglichkeiten, ein Mitbestimmungsrecht über unsere Handlungen einräumt. Insofern wir uns bestimmten Einflüssen aussetzen, tragen wir zur Formung und Prägung unseres Charakters und damit auch zur Bestimmung unserer zukünftigen Handlungen selbst mit bei. Allerdings kann man Mill den Vorwurf machen, daß diese Charakterbildung wiederum selbst ein von physikalischen Ursachen gesteuerter Prozeß ist. Der Bestimmung von Handlungen aufgrund der Einsicht in die besseren Gründe kommt in dieser Handlungstheorie kein angemessener Platz zu.“

SL = John Stuart Mill, A system of logic  

WH = John Stuart Mill, An Examination of Sir William Hamilton’s Philosophy

John Stuart Mill ist ein Vertreter der angelsächsischen Aufklärung, die in wesentlichen Teilen "diesseitig" ist, weil materialistisch ein nicht treffender Ausdruck ist. Darin folgt die angelsächsische Aufklärung von Locke bis Mill dem epikureischen Monismus. Das Sein ist ein einziges in unterschiedlichen, sich ständig ineinander verwandelnden Formen und kein in Geist und Materie getrenntes (Dualismus). Kant ist mit seiner Vernunftbetonung letztlich ein Dualist und Freiheit reicht nur im Zuge vernünftiger Orientierung in eine vorgestellte, letztlich determinierte Welt hinein. Um Mill zu verstehen, muss man wissen, dass es für ihn eine idealistische, absolute Freiheit nicht gibt. Es gibt nur relative Freiheit in einer nicht durch und durch kausalen Welt. Denn letztlich, da kann er auf Hume zurückgreifen, ist auch Kausalität nur ein menschliches Im-Nachhinein-Konstrukt. Dieses Konstrukt liefert - siehe die Newtonsche Physik - tolle Ergebnisse und es spricht für Hume und Mill, dass sie sich davon nicht ganz blenden lassen. Für Mill geht es darum, die neue englische Demokratie zu gestalten, ihr neue Wertorientierungen zu geben, nachdem die "göttlichen" Richtlinien entfallen sind oder zumindest wieder zur Diskussion stehen. Gerade die gesellschaftlichen Umwälzungen in England zeigen ihm, dass eben nicht alles im gesellschaftlichen Bereich "determiniert" ist, dass viel in der Gestaltungskraft der Menschen liegt. Mill geht es nicht um ideale Vorstellungen sondern immer um das Machbare.

es gibt keinen freien willen, da der von lust und unlust abhängig ist