Sartre - Freiheit als Autonomie der Wahl?

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Die Frage, wie weit sich der Mensch selbst entwirft, sich und seine Weltsicht selbst konstruiert, ist uralt und mit unterschiedlicher Gewichtung immer wieder aufgegriffen. Man kann schon Sokrates als Vertreter benennen, der der Meinung war, dass man dem Menschen nur die richtige Einsicht beibringen müsse, um einen guten Menschen aus ihm zu machen. Der Weise war bei Epikur ein autarker Mensch, der sein Leben selbst gestaltete und sich weder von fremden Ängsten noch von Gier beherrschen ließ.

Bei Jean Paul Sartre erfährt diese Frage eine Zuspitzung, doch nicht unbedingt, wenn man sein Gesamtwerk heranzieht mit der Bedeutung der Umwelt und des Anderen als Spiegel. Für Sartre gibt es für den Menschen nur eine bedingte Freiheit, eine begrenzte, die evtl. auf eine einfache Wahlhandlung reduziert wird. Doch da das Leben aus Handlungen gestaltet wird und eine fortgesetzte Kette des Wählens ist, immer auch als Reaktion auf vorausgehende Wahlhandlungen und Erkenntnisse, entsteht wie im Film aus vielen aneinander gereihten Bildern eine Filmgeschichte. Die Existenz eines Menschen ist nicht in einer einzelnen Wahlhandlung erschöpft sondern die Folge vieler Wahlhandlungen. Nicht handeln ist für Sartre allerdings auch ein Handeln. In Zeiten des Krieges, der französischen Resistance wurde das deutlicher als in "normalen Friedenszeiten", weil die Konsequenzen von "Nicht-Handeln" dann nicht so scharf zu Tage treten.

Äußere Zwänge begrenzen nicht die Freiheit sondern nur den Entscheidungsraum. „Äußerliche Zwänge … sind jedoch nur die Grenzen der Situation des Menschen, nicht die Grenzen seiner Freiheit. Der Mensch kann die Kontingenz, diese Grenzen übernehmen, integrieren und damit versuchen zu überschreiten. Freiheit ist somit die winzige Bewegung über das Gegebene hinaus. Der Mensch trägt insofern Verantwortung, als er derjenige ist, der das Gegebene auf sich nimmt und gleichzeitig mit diesem Aufsichnehmen das Gegebene in seiner Freiheit negieren kann.

In einem Turm gefangen kann der Mensch nicht ohne Weiteres flüchten, aber er kann planen zu flüchten, er kann sich mit der Möglichkeit einer Flucht beschäftigen. Der Mensch kann sich jederzeit über die Situation hinaus entwerfen, selbst wenn er dabei scheitert. Das Scheitern ist nicht der Gegensatz zur Freiheit, sondern eine menschliche Möglichkeit, die sich aus seiner Freiheit ergibt. Die Dinge leisten uns keinen Widerstand. Durch unsere Entwürfe können die Dinge zu einem Widerstand werden. Sartres Beispiel: Der Felsen zum Gipfel kann mir nur Widerstand leisten, wenn ich mir vorgenommen habe, den Gipfel zu erklimmen.

Der Mensch ist in Situation frei, nicht im luftleeren Raum: „So ahnen wir langsam das Paradox der Freiheit: es gibt Freiheit nur in Situation, und es gibt Situation nur durch die Freiheit. Die menschliche-Realität begegnet überall Widerständen und Hindernissen, die sie nicht geschaffen hat; aber diese Widerstände und Hindernisse haben Sinn nur in der freien Wahl und durch die freie Wahl, die die menschliche-Realität ist.
….

… einzig sein nacktes Dasein ist dem Menschen vorgegeben; was ihn am Ende ausmacht, muss er erfinden. …


„Das Leben“ habe ihn „‚die Macht der Dinge‘ gelehrt“, so Sartre in einem Interview 1969, und: „Ich bin davon überzeugt, dass der Mensch immer etwas aus dem machen kann, was man aus ihm macht. Heute würde ich den Begriff Freiheit folgendermaßen definieren: Freiheit ist jene kleine Bewegung, die aus einem völlig gesellschaftlich bedingten Wesen einen Menschen macht, der nicht in allem das darstellt, was von seinem Bedingtsein herrührt.“ …“ Ende Zitat

Für Sartre, der Realist ist und kein Idealist, ist Freiheit kein absolutes Abstraktum. Leben ist für Sartre handeln, wählen, entscheiden, weil uns das Leben immer vor Alternativen stellt. Dem geht voraus, dass wir Situationen bewerten. Auch in diesen Vorstufen der Wahl haben wir Alternativen, sosehr sie z.B. durch eine Situation in eine Begrenzung gedrängt werden. Allerdings ist Leben ein wenig auch wie Schach: Manche unserer Entscheidungen können in Sackgassen führen. Dann ist das Ende einer Sackgasse nicht das Ende von Freiheit, sondern die Konsequenz einer falschen Wahl in Unwissenheit. Freiheit bedeutet immer auch die Wahl bei einem gewissen Grad von Unwissenheit und kann in den Absichten scheitern.