Ökologische Nische von Kaulquappe und Laubfrosch?

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Die ökologische Nische ist kein Raum im herkömmlichen Sinne, den eine Art besetzt. Sie ist viel eher als eine Art Rolle oder Beruf zu verstehen, die bzw. den eine Art in ihrem Ökosystem erfüllt.

Die ökologische Nische wird realisiert (man spricht hier von der Einnischung einer Art) durch das Wechselspiel zwischen den verschiedenen belebten und unbelebten Umweltfaktoren (Lizenzen genannt) des Ökosystems und den (genetischen) Anpassungen der jeweiligen Art (Valenzen genannt). Das wird leichter verständlich, wenn man sich einmal einen Umweltfaktor gesondert herausgreift, z. B. die Temperatur. Die Temperaturen, die in einem Ökosystem herrschen, kann man durch Messung der Temperatur im Jahresverlauf ermitteln. Sammelt man über viele Jahre hinweg die Wetterdaten, lassen sich daraus auch allgemeinere Aussagen treffen über das durchschnittliche Wetter in einem Ökosystem - landläufig Klima genannt. Die Temperatur-Spannbreite, die in einem Ökosystem auftreten kann, ist in diesem Fall also die Lizenz.
Eine Art kann aber nicht jede beliebige Temperatur im Ökosystem ertragen, sondern nur Temperaturen innerhalb eines gewissen Toleranzbereichs, der der Art genetisch vorgegeben ist. Wird dieser Bereich unterschritten oder überschritten, kann die Art nicht mehr existieren. Innerhalb dieses Toleranzbereichs kann sie sich an die jeweilige Temperatur der Umwelt anpassen, das ist ihre Valenz. Die Temperatur-Nische einer Art ergibt sich also aus dem Wechselspiel zwischen den herrschenden Temperaturen in ihrer Umwelt und der Temperaturtoleranzbreite der Art.

Mathematisch ausgedrückt ist die ökologische Nische ein n-dimensionaler Raum. Das klingt kompliziert und ist es auch. Was muss man sich darunter vorstellen?
Nimm an, du willst die ökologische Nische einer Pflanzenart als ein Koordinaten-System zeichnen. Als X-Achse nimmst du z. B. die Temperatur und markierst im Koordinatensystem den Temperaturbereich, der von der Art toleriert wird. Nun nimmst du einen weiteren Umweltparameter und zeichnest ihn als Y-Achse gegen die Temperatur auf, z. B. die Lichtmenge. Nun zeichnest du den Licht-Toleranzbereich ab. Du erhälst nun einen flächigen Bereich, der abhängig ist von Licht und Temperatur. Nun zeichnest du eine weitere Dimension ein als Z-Achse, z. B. die Wassermenge. Aus der Fläche wird nun ein dreidimensionales Konstrukt (ein Raum eben), das sich aus den Toleranzbereichen von Temperatur-, Licht- und Wasserangebot ergibt.
Eine ökologische Nische besteht aber nicht nur aus drei einzelnen Parametern, sondern noch aus ganz vielen verschiedenen weiteren Umweltfaktoren, nämlich aus einer Anzahl von n Faktoren und jeder einzelne Faktor würde dem Raum eine weitere Dimension, also dem Koordinatensystem eine weitere Achse, hinzufügen. Real vorstellen oder gar illustrieren können wir das nicht, aber es gibt mathematische Modelle, mit denen sich das berechnen lässt. Nehmen wir unsere Pflanzenart, kommen als weitere Faktoren z. B. noch die Nährstoffverfügbarkeit des Bodens hinzu, der pH-Wert, die An- oder Abwesenheit von Pflanzenfressern und Konkurrenten, Pflanzenschädlingen (z. B. Blattläuse, Pflanzenviren, Bakterien usw.), Bestäubern usw.

In der Realität ist es schwierig bis unmöglich, alle n Faktoren einer ökologischen Nische zu berücksichtigen und für jeden einzelnen Faktor die Toleranzkurve zu ermitteln. Darum pickt man sich oft bestimmte Faktoren heraus und betrachtet diese gesondert, etwa die Nahrungs-Nische. Hier lässt sich dann eine Grobeinteilung in Pflanzenfresser, Allesfresser und Fleischfresser vornehmen. Es sind aber auch weitere und feinere Abstufungen möglich. Man kann z. B. innerhalb der Pflanzenfresser unterscheiden zwischen Blattfressern, Grasfressern, Fruchtfressern, Körnerfressern, Nektarfressern usw. Auch kann man unterscheiden zwischen Spezialisten, die nur eine ganz bestimmte Nahrungsquelle nutzen (z. B. der Koala, der sich ausschließlich von Eukalyptus-Blättern ernährt) oder Generalisten, die weniger anspruchsvoll sind und eine größere Vielfalt an Nahrungsquellen nutzen.

Bei Kaulquappen und erwachsenen Fröschen unterscheiden sich der Lebensraum und damit die ökologische Nische deutlich voneinander. Kaulquappen leben im Wasser und ernähren sich dort zu einem Großteil von pflanzlichem Material, aber auch von kleinen, wasserbewohnenden Wirbellosen. Als adulte Frösche leben sie hingegen an Land, ernähren sich rein von tierischer Kost und suchen das Wasser nur noch für die Fortpflanzung auf.
Man kann sich nun fragen, warum sich die ökologische Nische der Amphibien-Larven und der erwachsenen Larven so stark unterscheiden. Vermutlich liegt das daran, dass die Tiere so einer großen innerartlichen Konkurrenz aus dem Weg gehen. Würden die Kaulquappen die gleiche Nische einnehmen wie die erwachsenen Tiere, würden sie mit ihren Eltern um die gleichen Ressourcen (z. B. die gleiche Nahrung) konkurrieren. Wahrscheinlich würden sie dabei den Kürzeren ziehen. Durch das Leben im Wasser hingegen entgehen sie der Konkurrenz durch ihre Eltern. Sie können schneller wachsen und erfolgreicher groß werden.
Aus dem gleichen Grund sind beispielsweise auch die holometabolen Insekten (die Insekten mit einer vollständigen Metamorphose) zu einer so erfolgreichen und artenreichen Gruppe geworden. Alle großen Insekten-"Ordnungen" (Käfer, Hautflügler, Schmetterlinge) gehören dieser Gruppe von Insekten an.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig