Interpretation Kurzprosa: Innen-/Außenansicht?
Hi, wenn ich in einem Text einen auktorialen Er-/Sie Erzähler habe, ist es dann Außen- oder Innenansicht?
Ich bin mir unsicher, weil auktorial für Innenansicht spricht aber Er-/Sie Erzähler für Außenansicht
1 Antwort
Gute Frage! Das auktoriale Erzählen reflektiert dann, wenn der Erzähler allwissend alle Gedanken und Gefühle kennt und beschreibt, natürlich die Innenansicht. Der geht ja in die Figuren hinein. Sowas wird, wenn es nicht gaaanz große Autoren sind, schnell literarisch minderwertig. Da rührt auch der Satz her: Show, don’t tell. Das Problem ist nämlich, dass der Ausdruck dieser Innensicht schnell zum Psycho-Jargon verkommt — und der hat eine sehr kurze Halbwertszeit. Ein ideales Beispiel für das Gegenteil, also die fehlende Innensicht, ist der vom Umfan kleine, inhaltlich aber grandiose Roman „Am Wege“ von Herman Bang. Das war ein Autor aus Dänemark, gestorben 1912. Das Buch ist ein Meisterwerk. Jeder sollte das gelesen haben. Hier wird ganz streng von außen allein dadurch, dass ausschließlich geschildert wird, was die Personen sagen und tun, ohne je ein Wort darüber, was sie „denken“ oder „fühlen“, die allergrößte Wirkung erzeugt. Es gibt für mich in der Weltliteratur kaum eine Frauenfigur, die so einfühlsam in ihrer Einsamkeit und ihrem Unverstandensein in der langweiligen Ehe mit dem Bahnhofsvorsteher und ihrer unerfüllten Sehnsucht nach dem Gutsverwalter dargestellt wird ohne jedes innerliche Geschwätz wie Frau Katinka Bai in eben diesem Buch „Am Wege“ (dän. Ved Veijen). Herman Bang - ich lege zudem jeden seinen Roman „Stuck“ ans Herz - ist in diesen Dingen sogar Flaubert mit seiner „Madame Bovary“ überlegen.