Hilfe! - Spätsommer von hermann hesse 'analyse'

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hallo / ein kurzes, aber aussagekräftiges gedicht / ich kannte es bisher nicht, mag Hesse nicht so sehr / will aber versuchen, dir profimäßig zu helfen //

zwei strophen von je vier zeilen, nicht gleichartig gereimt / die erste strophe reimt abab. die zweite aabb / was wie zufall erscheint, könnte hier auch absicht sein / denn beide strophen haben zwar eine gleichartige aussage, dies aber auf verschiedenen ebenen //

die erste strophe bewegt sich in unserer kleinen alltagswelt, im mikrokosmos / der garten wird als beispiel genommen, weil sich in ihm die jährliche wiederkehr des werdens - blühens - vergehens zeigt //

die zweite strophe sagt etwas über die große welt, den mikrokosmos, aus / und zwar zunächst etwas negatives, häßliches - der krieg dient als beispiel / dem wird die aufforderung gegenübergestellt, dennoch, solange es möglich ist, das positive zu leben / was könnte dazu besser dienen als das genießen der schönen dinge wie kunst oder literatur / und was könnte besser helfen als das singen, das sichbefreien durch musikalisches tun, um über das negative hinwegzukommen /

nun ist aber beiden strophen ein anfang gleich, der etwas über die weise aussagt, wie leben und welt zu betrachten sind: die vergänglichkeit / es könnte sich hier um das alter handeln (blumen welken), aber auch um die allgemeine gefährung in dieser welt (irrsinnige kriege) //

nicht nur anfang, ach die grundaussage beider strophen ist gleich: wir müssen diesen negativen faktor "vergänglichkeit/ gefährdung" überwinden / das können wir durch unser tun: die pflege eines garten (blumen gießen), der kunst und kultur (schöne dinge genießen), die teilhabe an musischem tun (singen) / so befreien wir uns von den dem druck, der uns nicht erdrücken darf / denn "noch einmal" ist eine aufforderung in der ersten zeile, und die dritte und vierte zeilen zeigen uns den weg / ob also alter oder krieg: wenn wir es verstehen, den dingen zu dienen (garten), sie zu genießen (kunst) und ja zu sagen zu welt und leben, wie sie nun einmal sind (singen) - dann ist unser geist, ist unsere seele stärker als bedrohung und gefährdung //

das gedicht wird in vielen ausgaben zur "naturlyrik" gerechnet / das ist aber falsch, weil vergänglichkeit, alter, und gefahr die eigentlichen aussagen sind / daher gehört es zur "gedankenlyrik" / es ist eins der besonders gelungenen von Hesse, weil es originalität und schönheit von bildern wie sprache hat //

"noch einmal" und immer wieder so zu leben und zu handeln, daß es dir gelingt, leben und welt zu nehmen, wie sie nun einmal in ihrer unvollkommenheit sind, und das beste daraus zu machen, im dienen und genießen - das wünsche ich dir / nun mach was draus mit deinen eigenen worten //

ich grüße dich herzlich / dKw


Lili007 
Beitragsersteller
 12.09.2010, 12:22

Dankeschön, dafür bekommst du natürlich einen Stern :D

Gruß Lili. ♥

derKLEINEwolf  12.09.2010, 01:59

nachtrag: habe am ende des dritten absatzes wichtiges vergessen, dadurch wird manches spätere schwer verständlich //

"... des werdens-blühens-vergehens / Hesse zeigt, wie diese vergänglichkeit zu überwinden ist, indem wir unsere pflicht tun: den garten pflegen / das hilft uns über die traurigkeit hinweg und dient der erhaltung der natur / in dieser strophe ist also von der natur die rede, während die zweite auf die welt der menschen eingeht / die zeilen 3 und 4 zeigen, daß arbeit uns bei der verzweiflung über die vergänglichkeit hinweghelfen kann / ein englischer philosoph Thomas Carlyle hat gesagt "Arbeiten, nicht verzweifeln" / das ist auch hier bei Hesse als lösung gemeint / wie die blumen können auch wir schon morgen "abwelken" / darum sollen wir "noch einmal" (und gemeint: immer wieder) den garten wie unser leben "gießen" gleich pflegen, dienen, genießen // mvg

Es geht meines Erachtens in der ersten Strophe darum, nicht aufzugeben, sich nicht fallen zu lassen, sondern, auch wenn man älter wird, den Tod fast schon vor Augen hat, trotzdem zu Leben. In der Zweiten Strophe sich nicht unterkriegen zu lassen, auch wenn der Krieg vor der Türe steht, sich nicht aufzugeben. Interpretierung, es ist schon einige Zeit her dass ich Spätsommer gelesen habe.


Lili007 
Beitragsersteller
 12.09.2010, 12:30

Ja ich glaub hier ist etwas falsch verstanden worden.. Meiner Meinung nach gibt es 2 Gedichte namens 'SPÄTSOMMER', denn das was ich meine fängt z.B so an : Der sommer ist noch nicht vorbei, er gibt uns noch wärme..

Gruß.

Lili007 
Beitragsersteller
 12.09.2010, 12:37
@Lili007

Hier nochmal das Gedicht, am meisten hab ich in der 4. Strophe probleme. Danke schonmal im Voraus..


Spätsommer

Noch schenkt der späte Sommer Tag um Tag Voll süßer Warme. Über Blumendolden Schwebt da und dort mit müdem Flügelschlag Ein Schmetterling und funkelt sammetgolden.

Die Abende und Morgen atmen feucht Von dünnen Nebeln, deren Naß noch lau. Vom Maulbeerbaum mit plötzlichem Geleucht Weht gelb und groß ein Blatt ins sanfte Blau.

Eidechse rastet auf besonntem Stein, Im Blätterschatten Trauben sich verstecken. Bezaubert scheint die Welt, gebannt zu sein In Schlaf, in Traum, und warnt dich, sie zu wecken.

So wiegt sich manchmal viele Takte lang Musik, zu goldener Ewigkeit erstarrt, Bis sie erwachend sich dem Bann entrang Zurück zu Werdemut und Gegenwart.

Wir Alten stehen erntend am Spalier Und wärmen uns die sommerbraunen Hände. Noch lacht der Tag, noch ist er nicht zu Ende, Noch hält und schmeichelt uns das Heut und Hier.

Hermann Hesse

hallo, lilli007, da hab ich also gerade das falsche gedicht erwischt, nicht wissend, daß es zwei mit gleichem titel gibt / tut mir leid / das von mir besprochene hat nur zwei strophen / nun will ich versuchen, zu dem text etwas zu schreiben, den du eingefügt hast //

(1) Noch schenkt der späte Sommer Tag um Tag / Voll süßer Warme. Über Blumendolden / Schwebt da und dort mit müdem Flügelschlag / Ein Schmetterling und funkelt sammetgolden. //

zu (1) Natur wird beschrieben; bilder, die man im spätsommer sieht, körperempfindungen (wärme), die man hat / in den bildern wird statisches (blumendolden) mit bewegungen (schmetterling schweben) verbunden / bei dem schmetterl. wird seine schönheit angedeutet, angesprochen (funkelt sammetgolden) / bedeutend das erste wort: NOCH - es deutet darauf hin, daß sich das ändern kann, wird / erzeugt erwartungen, was dann kommen mag / hat zugleich etwas drohende, dann aber tröstendes im gefolge mit der "süßen wärme" //

(2) Die Abende und Morgen atmen feucht / Von dünnen Nebeln, deren Naß noch lau. / Vom Maulbeerbaum mit plötzlichem Geleucht / Weht gelb und groß ein Blatt ins sanfte Blau. //

zu (2) weitere naturschilderung: wechsel der tageszeiten in verbindung mit der pflanzenwelt / andeutung eines sonnenaufgangs ("mit plötzlichem geleucht") / beschreibung der herbstlich sich anbahnenden bunten blätter //

(3) Eidechse rastet auf besonntem Stein, / Im Blätterschatten Trauben sich verstecken. / Bezaubert scheint die Welt, gebannt zu sein / In Schlaf, in Traum, und warnt dich, sie zu wecken. //

zu (3) die tierwelt wird, wie in (1), wieder einbezogen, diesmal kriechend auf der erde / auf die bevorstehende weinlese wird hingewiesen mit einem schönen bild der sich verstek-kenden trauben im "blätterschatten" / dann aber ein wechsel vom mikrokosmos (den kleinen dingen der natur) zum ganzen, zur anscheinend verzauberten welt durch die herbstlichen veränderungen, die sich anbahnen / wir sind gebannt von der (noch-)schönheit des spätsommers, möchten ihn halten / daher: noch schlaf (nicht ganz herbst), noch traum (von schönheit trotz vergehen) - aber nicht wecken, denn es ist schwer, der vergänglichkeit ins auge sehen zu müssen (dem kalten herbst mit faulendem laub etc.)

(4) So wiegt sich manchmal viele Takte lang / Musik, zu goldener Ewigkeit erstarrt, / Bis sie erwachend sich dem Bann entrang / Zurück zu Werdemut und Gegenwart. //

zu (4) die menschenwelt wird einbezogen mit ihren musischen gefühlen, die die musik in uns erzeugt / auch bei der musik kennen wir dieses "verharren" zwischen schönheit und verfall, einen augenblick des stillstands, der uns bannt und den wir halten möchten (goldene ewigkeit)/ aber auch dieser bann des verharrens löst sich, das erwachen bringt - und das ist entscheidend - keinen häßlichen verfall, sondern "werdemut" des augenblicklichen daseins / die bisherige naturlyrik wird hier erweitert durch beziehungen zum menschenleben //

(5) Wir Alten stehen erntend am Spalier / Und wärmen uns die sommerbraunen Hände. / Noch lacht der Tag, noch ist er nicht zu Ende,/Noch hält und schmeichelt uns das Heut und Hier. //

zu (5) die beziehung zum menschenleben wird hier in bezug auf das alter konkretisiert / das alter wird positiv gesehen: mit händen, die noch vom sommer gebräunt sind, bringen wir die trauben- oder obsternte ein (spalier = an zäunen hochgezogene reben oder obstbäume) / der bezug zum menschenleben: diese ernte in der natur steht symbolisch für die ernte des lebens, die ein mensch, der tüchtig war, am ende des lebens "einbringen" kann = er blickt auf seine leistungen zurück / sommerbraune hände deuten auf arbeit in der natur hin = auch im leben wurde gearbeitet (symbolisch für alles tun vor dem alter) //

und dann in (5) abschließend wieder dieses "noch" - wie am anfang / das ist wieder trost und aufforderung zugleich / wie in der interpretation zum anderen (ersten, falschen) spät-sommer-gedicht //

ich wiederhole: wie der anfang, so ist das ende gleichartig: eine grundaussage legt sich wie ein rahmen um das ganze gedicht herum und will uns sagen: wir müssen diesen negativen faktor "vergänglichkeit", der uns durch den bevorstehenden herbst (im leben: den tod)droht, überwinden / das können wir durch unsere arbeit: hier die pflege der natur, die arbeit für die natur (symbolisch: eine leistung, eine sinnvolle tätigkeit im leben überhaupt) und die teilhabe an musischem tun (musik) / so befreien wir uns von dem druck der vergänglichkeit, der uns nicht erdrücken darf / denn das "noch" ist eine aufforderung in der ersten zeile und in der schlußstrophe, und die stropehn dazwischen zeigen uns den weg: freude an der natur und ihre pflege / trotz alter: wenn wir es verstehen, den dingen zu dienen, ihre schönheit zu genießen (blumen, schmetterling, eidechse, buntes laub) und ja zu sagen zu welt und leben, wie sie nun einmal sind - dann ist unser geist, ist unsere seele stärker als die bedrohung durch den kalten herbst (hartes alter) und die vergänglichkeit der natur (tod im menschenleben) / der "werdemut", der mut, auf ein neues werden zu hoffen (alles sterben ist neues werden!) muß so stark sein, daß wir das "Heut und Hier" genießen können trotz des wissens um die vergänglichkeit //

so ist dieses gedicht einerseits naturlyrik, mündet aber in gedankenlyrik / es hat schöne, treffende bilder, einen guten rhythmus / im ganzen aber nicht so gelungen wie der achtzeiler, den ich zuerst beschrieb / interessant der reim: die strophen 1 - 4 haben das reimschema abab / und auch hier wechselt Hesse in der letzten strophe die reimfolge zu abba / als ob er durch form auf die inhaltliche aussage hinweise möchte: das "noch", das die grundaussage umrahmt / denn auch der abba-reim ist ein rahmen-reim //

freu dich, verehrte lilli, am gedicht, am leben, an der schönheit aller tage - trotz herbst und winter // ciao - der alte wolfango

p.s.: alte leute sind neugierig (und ich bin sehr alt!): / ist die gedicht-analyse für die schule oder für studium? / und welche klasse bzw. semester? / fühle dich nicht gedrängt zu antworten, meine neugier muß nicht befriedigt werden / aber wenn es dir nichts ausmacht, kannst du ja zu die antwort als kommentar hierzu anfügen // tschüs, danke!

hallo, lilli007, ich nochmals,

wer sich mit literatur beschäftigt, sei es auch nur zwangsweise, soll ein kleines bonbon bekommen, ein literarisches natürlich / ich versteh soviel von gedichten, weil ich's studiert habe - und selber welche mache / und habe gerade eins zu deiner thematik zur hand / hier ist es //


Glück

(dem herbst trotzend)

sammeln der augenblicke

jenseits von ekstasen

ziehende vögel

herbstzeitlose

weiße wolken über dem feld

unzerstört übrig

kastanien in der hand

eben gefallen noch feucht

dann ein glas wein

früh zieht die nacht herauf

herbstbäume bunt

abdruck des urfisches

grau im schiefer

einfach den tod vergessen


(c) Ernst Berthold Horn / 10-09


nochmals alles gute! arrividerci!