Gibt es inhaltlich einen Unterschied zwischen "fliehen" und "flüchten"?

4 Antworten

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Ich verstehe es so:

  • fliehen = sich dem Zugriff anderer entziehen
  • flüchten = einer Gefahr ausweichen

Allerdings kann wohl jeder Fremdzugriff als Gefahr gesehen werden, und Gefahren bedeuten oft, dass Dir jemand ans Leder will. So gibt es praktisch keinen Unterschied bei der Verwendung.

Trotzdem würde ich vor meiner äußerst geschwätzigen Nachbarin...

  • flüchten, wenn ich ihren Wortschwall als Naturkatastrophe sehe.
  • fliehen, wenn sie mir als potentielles Zuhör-Opfer auflauert.
OlliBjoern  14.06.2018, 19:11

Ja, das passt zu meiner Annahme, dass "flüchten" eine äußere Ursache (nicht nur den eigenen Entschluss) voraussetzt, hier also eine Gefahr oder eben der Wortschwall der Nachbarin. :)

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Um "flüchten" handelt es sich m.E., wenn wir aus freien Stücken gehen - und um "fliehen", wenn wir durch äußere Umstände dazu gezwungen werden!

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung

Mein Gedanke ging (bei "flüchten") in Richtung eines Kausativs. Solche Paare von "normalen" und kausativen Verben sind im Deutschen häufig:

fallen und fällen ("zum Fallen bringen")

Bei einem Kausativ ist also eine äußere Ursache (causa) beteiligt. Der Baum fällt also nicht von alleine, sondern da ist ein Baumfäller, der das bewirkt (er wird gefällt).

Dieser Artikel geht in eine ähnliche Richtung: man flieht (aus eigenem Entschluss) oder man flüchtet (wird von einer äußeren Ursache dazu gebracht, fliehen zu müssen, z.B. flüchtet man vor einem Feuer).

http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/zwiebelfisch-abc-fliehen-fluechten-a-311680.html

Im Mittelniederdeutschen (mnd.) gab es "vlüchten" auch in der Bedeutung "in die Flucht jagen", was ein aktiver Kausativ wäre (jemanden vlüchten). Also nicht ganz dasselbe wie oben.

Man beachte auch "jemand flieht" und "jemand flüchtet sich" - nur das zweite Verb kann reflexiv benutzt werden - das geht in Richtung eines solchen aktiven Kausativs (man bringt sich selber in den Zustand der Flucht, man ergreift die Flucht).

Da gab es aber sprachgeschichtlich einen gewissen "Kuddelmuddel" (siehe hier, mit "fluhten" = vertreiben: https://books.google.de/books?id=l8qeO7TofI4C&pg=PA322&lpg=PA322&dq=fl%C3%BCchten+kausativ&source=bl&ots=y8WxZly0Rg&sig=HHHnd0jqTLuexA-zJa3LelPHur0&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjEzozfz9PbAhUKbVAKHTcOBOoQ6AEIJzAA#v=onepage&q=fl%C3%BCchten%20kausativ&f=false), und das Pärchen fliehen und flüchten ist nicht so klar und eindeutig verständlich wie fallen und fällen.

"thaz si díufal fluhtin"
(das verstehe ich nun so: dass sie den Teufel in die Flucht schlagen)

Im Schwedischen ist das Pärchen fly und flytta deutlicher getrennt. "fly" heißt "fliehen", und "flytta" heißt "(etwas) bewegen" (üblicherweise ist der Umzug von einer Wohnung in die andere gemeint). Hier ist flytta ein eindeutig aktiver Kausativ (was zur mittelniederdeutschen Anwendung "jemanden vlüchten" passt).

OlliBjoern  14.06.2018, 19:14

Möglicherweise gehören auch andere Bewegungsverben zu diesem Wortstamm: flitzen, flutschen und flitschen. Das sind allesamt schnelle Bewegungen.

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DreiBesen 
Fragesteller
 14.06.2018, 19:20
@OlliBjoern

Der Link zu Zwiebelfisch ist sehr hilfreich, auch deine ausführliche Antwort. Vielen Dank!

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