Ein Klavier ist verstimmt (Teilweise über einen Ganzton) - wie lange muss es nach der Stimmung stehen, bis man es ein weiteres mal stimmen kann?


24.11.2021, 00:01

Ich habe das Klavier nach vielen Jahren des verstimmtseins gestern zum ersten mal wieder gestimmt. Die Saiten werden sich sicher wieder Richtung altgewohnten Zustand zurück bewegen und ich muss nochmal nachstimmen. Ich weis nur nicht wie lange ich damit warten sollte?

1 Antwort

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Wenn das Klavier in Ordnung ist (Rahmen, Steg, Saiten, Stimmwirbel), und Du es richtig gemacht hast, dann brauchst Du überhaupt nicht warten, und das Klavier wird kontrolliert etwa 30% des Betrages, den Du es höher gezogen hast zurückgehen.

Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass Du das richtig gemacht hast, da Klavierstimmen eine schwierige Arbeit ist, die gelernt und (jahrelang) geübt werden muss. Außerdem klingt „teilweise über einen Ganzton“ nach einem sehr alten oder sehr schlechten Klavier. Es kommt sehr selten vor, dass ein Klavier in der Stimmlage so tief gesunken ist. Üblich wäre bis zu etwa einen Halbton, es sei denn es wurden neue Saiten aufgezogen und nie nachhestimmt.

Wenn das Klavier wertvoll ist, dann lasse das Stimmen lieber einem Fachmann über, das ist billiger als das richtige Werkzeug, das Du dazu brauchst!

Woher ich das weiß:Berufserfahrung

IamSamSemillia 
Fragesteller
 24.11.2021, 10:29

Vielen Dank für die tolle Antwort!

Ja in der Tat rechne ich garnicht damit, dass es perfekt wird. Aber ich war doch sehr positiv überrascht, wie gut ich es bisher hinbekommen habe.

Ich hab mich null informiert wie man sowas macht. Ich arbeite im Tonbereich und habe ein gutes Mikro, einen Equalizer zum vorfiltern und ein Software-Stimmgerät mit einstellbarer Reaktionszeit verwendet. Filzkeile und Vierkant hatte ich noch von meinem Opa. Die oberste Oktave musste ich größten Teils nach Gehör stimmen. Für die finale Stimmung werd ich mal noch mit einem Frequenzgenerator experimentieren. Eigentlich sollte ich damit wenn die Töne nah beieinander liegen, abweichende Schwingungen hören können, wenn ich die Taste anschlage. So wie wenn man eine Gitarre mit Obertönen stimmt. Naja - mal sehen :D

Das Klavier stand wohl ca. 20 Jahre ungestimmt und ungespielt herum, irgendwann davor wurde es neu besaitet. Ein paar der Beläge haben sich von den Tasten gelöst - die wollte ich mit Knochenleim o.ä. wieder ankleben. Eine Taste bleibt hängen und irgendwas an den Pedalen soll sich etwas gelockert haben - das muss ich mir noch anschauen, aber ansonsten ist das Klavier in Ordnung. Ich dachte jedenfalls ein interessantes Lernprojekt :)

Noch kurz zu den 30%: Heißt das grundsätzlich jede Saite 30% höher stimmen als der Zielton - egal wie stark verstimmt sie vorher war? Ich habe bei meinem Versuch Saiten die stärker verstimmt waren, etwas höher gestimmt als solche die nur wenig verstimmt waren.

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Bluemilk  24.11.2021, 12:15
@IamSamSemillia

Ebenfalls danke für Deine Rückmeldung, ich habe festgestellt, dass ich Dich etwas unterschätz habe. Ich bin jetzt mitten unter der Arbeit und werde Dir später ausführlich antworten!

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Bluemilk  24.11.2021, 15:28
@IamSamSemillia

Eines nach dem anderen:

Bevor Du etwas machst: Genau schauen! Du solltest das Klavier (ich nehme an, es ist ein Piano/Pianino - upright piano) innen reinigen, mit Staubsauger und eventuell einen Pinsel, mit dem man Staub lockern kann. Mechanik herausnehmen: 2, 3 oder vier Rändelschrauben per Hand losschrauben, dann kann man üblicherweise die Mechanik herausnehmen, Achtung auf die Pedalstößer, meist links neben der Mechanik. Dann kann man die Tasten herausnehmen, notfalls nummerieren, meist stehen aber die Nummern drauf. Unter den Tasten saubenmachen, Tastenlöcher saubermachen, Tastenstifte reinigen (oft oxydiert). Gegebenenfalls feststellen, ob die Taste noch stecken bleibt. Gelöste Tastenplättchen am einfachsten mit Sekundenkleber ankleben, geht mit allen Materialien, Klebeflächen vorher reinigen (entfetten). (Knochenleim hält nicht auf Kunststoff, Elfenbein würde man traditionell mit Hasenhautleim kleben.)

Alle Schrauben kontrollieren und gegebenenfalls nachziehen.

Beim Stimmen: Nicht eine Saite nach der anderen (z.B. von unten nach oben) hochziehen, sondern die steignde Belastung für das Instrument gleichmäßig erhöhen. Z.B. links und rechts neben der Hauptspreize des Gußrahmens (meist rechts von a1) eine nach der anderen hochziehen, wahlweise eine links, eine rechts etc. Oder alle "a" hochziehen, dann alle "e" etc. Vor dem, Hochziehen Saite erst ein bisschen hinunterstimmen, dann erst hochziehen. Ich mache es so, dass ich, ist die Saite um z.B. 6 Hz zu tief, ich sie um 3 Hz zu hoch ziehe (ich will 440, die Saite ist 434, ich stimme auf 443). Nicht über 445, sonst ist die Chance des Saitenreissens erhöht. Basssaiten (die umsponnenen) nur 1 bis 2 Hz über das gewünschte Ziel stimmen, Bassaiten sind meistens sehr stark gespannt, hier droht Saitenreissen und Basssaiten sind teuer.

Rostige (auch leichter Rost) Saiten haben an den Saitenbegrenzungspunkten meist eine sehr hohe Reibung, hier droht Saitenreissen, wenn man nicht vorsichtig ist.

Sitzt Dein Stimmhammer gut auf den Stimmwirbeln, oder beschädigt er womöglich die Kanten der Wirbel?

Das waren jetzt nur ein paar grobe Hinweise. Im Detail kommt es auf die Marke, das Alter und den Zustand des Instrumentes an, wie erfolgreich man ist. Ich kann natürlich keine Ferndiagnose abgeben, daher keine Gewähr.

Deiner ersten Antwort habe ich entnommen, dass Du ein technisches Verständnis hast, setzte dieses ein, bevor Du etwas tust, un im Zweifel frage nach. Viel Glück!

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IamSamSemillia 
Fragesteller
 24.11.2021, 17:32
@Bluemilk

Wow blue, das hat mir unheimlich weiter geholfen - vielen Dank!

Das Klavier steht leider nicht bei mir, sonst würde ich jetzt direkt loslegen, aber ich werd beim nächsten mal berichten wie es gelaufen ist :)

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