Der Prozess des Sokrates - Wisst ihr Argumente für die Verteidigungsrede?

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Bei der Aufgabe ist nicht klar, was die Informationsgrundlage für das Entwerfen einer Verteidigungsstrategie ist, wenn ein Lesen der von Platon geschriebenen Verteidigungsrede (Apologie) des Sokrates bzw. einer anderen ähnlichen antiken Schrift (z. B. gibt es auch von Xenophon eine kurze »Apologie« genannte Darstellung mit Aussagen gegen die Vorwürfe; es handelte sich in keinem Fall um die Aufzeichnung der tatsächlich von Sokrates vorgetragenen Verteidigungsrede, allerdings ist ein auffälliges grobes Abweichen vom tatsächlichen Geschehen gegenüber einem Publikum aus Zeitgenossen unwahrscheinlich) nicht Zweck der Aufgabe ist.

Eine Argumentation zur Verteidigung erfordert zumindest ein wenig Kenntnis der Situation (insbesondere des Inhalts der Anklage).

Das Beweisen der Unschuld kann in mehrere Punkte untergliedert werden, weil es mehrere, wenn auch zusammenhängende Anklagepunkte gegeben hat.

Der gefährliche Anklagegrund (ein angebliches Unrecht in Bezug auf das Verhältnis zu Gottheiten des Staates), bei dem ein Schuldspruch des Gerichts bis hin zu einem Todesurteil gehen konnte, heißt Asebie (ἀσέβεια [asébeia] = Gottlosigkeit, Religionsfrevel, Unfrömmigkeit, Verletzung der Ehrfurcht gegenüber Gottheiten).

Die Anklagepunkte waren (vgl. zu den Anklagevorwürfen Platon, Apologie 24 b und 26 b; Platon, Eutyphron 3 b; Xenophon, Apomnemoneumata (Ἀποµνηµονεύματα; Erinnerungen an Sokrates; lateinischer Titel: Memorabilia) 1, 1, 1; Xenophon, Apologie 10; Diogenes Laertios 2, 40):

1) Sokrates glaubt nicht an die Götter, an die der Staat/die Polis (πόλις) der Athener glaubt.

2) Sokrates führt neue Gottheiten/göttliche Wesen ein.

3) Sokrates verdirbt die Jugend.

Auf welche Weise das angebliche Verderben der Jugend geschieht, ist damit noch nicht ausgesagt. Gedacht werden kann an schädliche Beeinflussung in Bezug auf den religiösen Glauben (entsprechend den ersten beiden Anklagepunkten) oder an die Aufforderung zur Überprüfung, die etwas in Zweifel zieht und in rhetorisch trickreicher Argumentation nicht unbedingt am Ende etwas bestätigt und zu irgendeinem als sicher beurteilten Ergebnis kommt, was als in seiner Wirkung zerstörend und zersetzend gedeutet werden kann.

Ich versuche einige Einfälle zu sammeln (hinsichtlich der Anzahl ist es auch möglich, ähnliche Punkte zusammenzufassen):

1) Beweisen der Unschuld 1 - Nachweis eines Glaubens an die Götter an die der Staat/die Polis (πόλις) der Athener glaubt: Sokrates weist darauf hin, bei gemeinsamen Festen und an öffentlichen Altären Opferrituale für diese Götter vollzogen zu haben, was Zeugen bestätigen können. Er hat den Orakelspruch aus Delphi über seine Weisheit, der auf den Gott Apollon zurückgeht, ernstgenommen.

2) Beweisen der Unschuld 2 – Erklärung zu seinem Daimonion, das von der Anklage falsch verstanden worden ist: Das Daimonion (δαιμόνιον) des Sokrates ist eine innere Stimme, die er als göttliche Eingebung versteht, nicht als eine Gottheit.

3) Beweisen der Unschuld 3 – Darlegung eines auf Gutes zielenden Umgangs mit der Jugend: Sokrates will eine Sorge um die Seele erreichen, er vertritt die Auffassung, Unrechttun sei schlimmer als Unrechtleiden und die Verwirklichung des Guten führe zu Glück(seligkeit) (εὐδαιμονία).

4) stets Erfüllung seiner Bürgerpflichten: Sokrates hat belegbar als Hoplit an Feldzügen teilgenommen bei der Belagerung von Poteidaia 432 – 429 v. Chr., in der Schlacht beim Delion im Gebiet von Tanagra in Boiotien 424 v. Chr. und beim Kampf um Amphipolis 422 v. Chr., er war 406 v. Chr. ein Mitglied des Rats der 500 (βουλή) und hat dabei als ein Prytane (»Vorsteher«; einer von 50 Männern eines Ausschusses, der aufgrund von Auslosung ein Zehntel des Jahres lang die Staatsangelegenheiten leitete) während des Arginusenprozesses gegen ein Verfahren gesprochen, das er für gesetzwidrig hielt; für Ämter einschließlich das des Ratsherren gab es ein Dokimasie (δοκιμασία [dokimasía]) genanntes Verfahren, eine Überprüfung auf Mindestvoraussetzungen, die vor allem den Besitz des Bürgerrechts und geistig-moralische Eignung (keine eindeutige Unwürdigkeit) betraf.

5) bisherige rechtliche Unbescholtenheit, erst jetzt im Verlauf eines langen Lebens zum ersten Mal Angeklagter vor einem Gericht

Albrecht  09.09.2015, 05:25

6) kein Gegner der Demokratie: Sokrates hatte zwar auch Kontakte mit Leuten wie Alkibiades (dessen Rolle zumindest einen zwielichtigen Eindruck machen konnte) und Kritias und Charmides (sie gehörten zu den aufgrund ihres brutalen Vorgehens verabscheuten sogenannten Dreißig Tyrannen 404 – 403 v. Chr., radikalen Oligarchen, die in einem Umsturz vorübergehend die Demokratie abschafften). Eine Verdächtigung, ein Oligarchenfreund und ein Volkshasser (μισόδημος) zu sein, ist aber nicht berechtigt. Einen Befehl der Dreißig Tyrannen, einen politischen Gegner namens Leon auf der Insel Salamis zu verhaften und zur Aburteilung und Hinrichtung herbeizuschaffen befolgte Sokrates nicht (Platon, Apologie 32 c – d; Platon, 7. Brief 324 – 325 [Echtheit des Briefes umstritten]). Zu seinen Schülern/Freunden gehören einwandfreie Demokraten wie z. B. Chairephon.

7) Ankläger handeln aus zweifelhaften Beweggründen und versuchen alte Vorurteile auszunutzen: Anytos (ein Handwerker und Politiker), Meletos (ein Dichter) und Lykon (ein politischer Redner) hat nicht gefallen, wie Sokrates Nichtwissen der Handwerker, Dichter und Politiker über etwas nachwies, bei dem sie Wissen zu haben meinten. Sie versuchen Vorurteile auszunutzen, die in Komödien in Erscheinung treten wie bei Aristophanes, Nephelai (Νεφέλαι; Die Wolken; lateinischer Titel: Nubes], 423 v. Chr. uraufgeführt. Darstellungen in Komödien sind aber witzige Unterhaltung, bei der Verzerrungen vorkommen, keine wahrheitsgetreuen Berichte. Sokrates hat beispielsweise für seine philosophische Tätigkeit kein Honorar verlangt.

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