credo quia absurdum? wie kommt Tertullian auf diese Aussage?

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Die gemeinte Stelle, deren Wortlaut tatsächlich aber anders ist, steht bei Tertullian, De carne Christ 5, 4:

crucifixus est dei filius; non pudet, quia pudendum est. et mortuus est dei filius; prorsus credibile est, quia ineptum est. Et sepultus resurrexit; certum est, quia impossibile.

„Der Sohn Gottes ist gekreuzigt worden; es beschämt nicht, weil es beschämend ist. Und der Sohn Gottes ist gestorben; dies ist ganz/durchaus/geradezu glaubhaft/glaubwürdig, weil es unpassend/ungereimt/töricht ist. Und er ist, nachdem er begraben worden ist, wieder auferstanden; dies ist gewiß, weil es unmöglich ist.

Tertullian (Quintus Septimius Florens Tertullianus), * um 155 n. Chr. in Karthago, † wohl zwischen 220 und 225 n. Chr. in Karthago, war ein frühchristlicher Theologe und ein Hauptvertreter der lateinischen Apologetik. Er behauptet in seiner Aussage nicht eine allgemeine Beweiskraft der Ungereimtheit. Er bezieht sich auf bestimmte einzelne Behauptungen/Thesen, bei denen aus einer Unwahrscheinlichkeit seiner Meinung nach eine Wahrscheinlichkeit oder sogar Gewißheit gefolgert werden kann. In der Darlegung steckt etwas von der Argumentationsfigur der Retorsion (Zurückdrehung), einer Umwendung von Aussagen eines Argumentationswidersachers gegen ihn.

Tertullian wendet sich gegen von Marcion/Markion vertretene Lehren (Doketismus), Jesus habe nur einen scheinhaften physischen Körper gehabt und am Kreuz keine Leiden empfunden. Marcion/Markion, ein christlicher Theologe, glaubt an die Existenz von Jesus, seine Göttlichkeit und an eine geschehene Kreuzigung. Tertullian vertritt dagegen die Auffassung einer echten Menschennatur, mit der Jesus ein Mensch mit Fleisch und Blut gewesen ist, der geboren werden und sterben kann.

Unter der Voraussetzung einiger von beiden geteilter Annahmen können für sich genommen törichte/blöd/albern wirkende, unwahrscheinliche Aussagen Anspruch auf Wahrscheinlichkeit und damit Glaubwürdigkeit erhalten, weil die Aussagenden unter den angenommenen Umständen nicht derartige Aussagen geäußert hätten, wenn nicht tatsächlich so etwas wahrgenommen und erlebt worden wäre. Bei einem Schwindel wäre es nach Tertullian viel wahrscheinlicher, sich etwas auszudenken, was nicht so große Zweifel hervorrufen kann oder sogar unmöglich erscheint.

Paradoxa, bei denen das Unwahrscheinliche das Wahrscheinliche wird, waren in der Antike bekannt und wurden z. B. in der Philosophie und in der Gerichtsrede für die Erörterung eingesetzt (zu einem Topos dieser Art vgl. Aristoteles, Rhetorik 2, 22, 23). Eine Aussage bleibt nicht für sich genommen stehen, sondern wird auf einer weiteren Stufe im Zusammenhang mit einer möglichen Wirkung untersucht.

Verwandt (nicht gleich) wäre eine Überlegung, welchen Weg unter mehreren denkbaren Wegen jemand wählen wird. Für sich genommen könnte ein bestimmter Weg aufgrund der Beschaffenheit, der Umstände und der Möglichkeiten/Fähigkeiten der Person als ganz unpassend beurteilt werden. Bei der Auseinandersetzung mit (möglichen) Gegenspielern, die es zu überraschen oder denen es zu entkommen gilt, kann aber auf einer weiteren Stufe jemand einbeziehen, was ein Gegenspieler wohl denken wird. Dann kann ein für sich genommen wenig sinnvoll wirkender Weg zu einer wahrscheinlichen Wahl werden. Grundsätzlich kann dies in einem Hin und Her/um die Ecke denken fortgesetzt werden.

Max Seckler, Credo, quia absurdum. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Begründet von Michael Buchberger. Dritte, völlig neubearbeitete Auflage, herausgegeben von Walter Kasper mit Konrad Baumgartner, Horst Bürkle, Klaus Ganzer, Karl Kertelge, Wilhelm Korff, Peter Walter. Band 2. Barclay bis Damodos. Freiburg ; Basel , Wien : Herder. Sonderausgabe 2006 (durchgesehene Ausgabe der 3. Auflage 1993 – 2001), Spalte 1342 – 1343:

„Credo, quia absurdum – „Ich glaube, weil es absurd ist“: eine geläufige Wendung z. Charakterisierung antirationalist. oder fideist. Glaubensauffassungen. Sie kann positiv qualifizierend od. auch kritisch disqualifizierend gemeint sein. Der neuzeitl. Begriff des ↗ Absurden darf ihr nicht ohne weiteres unterstellt werden. Ursprünglich bedeutet „absurdum“ soviel wie „mißtönend“, „ungereimt“, „sinnwidrig“, „töricht“, aber noch nicht „vernunftwidrig“ oder „sinnlos“ in strengem Sinn. Die Formel will je nach Kontext die Befremdlichkeit, die Unfaßlichkeit od. den „Widersinn“ des chr. Glaubens im ganzen od. einzelner Glaubensgegenstände ausdrücken. Da sie den Charakter des Glaubens als rationabile obsequium (vgl. Röm 12,1) bzw. als obsequium rationi consentaneum (DH 3009) nicht gerecht zu werden scheinen, steht sie schultheologisch unter dem Verdacht der Heterodoxie, zumal wenn in ihr ein entspr. Absurditätsbegriff zugrundegelegt wird. Sie kann aber ein alte Trad.-Linie u. eine durchaus genuine Perspektive im Verständnis des chr. Glaubens repräsentieren.

Albrecht  05.09.2012, 09:31

In ihrem heutigen Wortlaut ist die Formel bei den chr. Autoren des Altertums u. des MA nicht nachweisbar. Sie scheint erst im 17. Jh. aufgekommen zu sein. Als früheste Annäherung an sie gilt der folgende Text ↗ Tertullians (carn. 5,4): Natus (bzw. cruzifixcus) est dei filius; non pudet quia pudendum est; et pudet quia pudendum est; et mortus est die filius; (prorsus)credibile est quia ineptum est: Et sepultos ressurexit; certum est quia impossibile („ineptum“, „unpassend“, „unschicklich“, „töricht“ gilt als synonym mit „absurd“): Es gibt verschiedene Interpretationen dieses Textes, an denen sich zugleich die mögliche Bedeutungsvarianz der Formel Credo, quia absurdum ableiten läßt. Manche halten ihn nur für einer eher bei Tertullian nicht seltene rhetor. Zuspitzung ohne großen sachl. Aussagegehalt. Andere beziehen ihn auf eine in der heidn. u. chr. antike verbreiteten antiphilos. Trad., für die auch Tertullian pointierte Zeugnisse aufweist (vg. Tertullian, praescr. 7, 9 u. als u. apol. 48,18), u. erblicken darin den Ausdruck einer Diastase zw. Glauben u. Vernunft bzw. Evangelium u. Philos. od. Christentum u. Kultur; was jedoch nicht richtig ist, da Tertullian nicht grundsätzlich u. systematisch die Philos. (als Vernunftdiskurs) verwirft, sondern nur (wenn auch zuweilen verallgemeinernd) bestimmte philos. Doktrinen u. Haltungen. Auch die Auffassung, hier solle die Vernunft einen rigiden Autoritätsglauben geopfert werden (sacrificium intellectus), ist kaum haltbar. Aus dem Kontext ergibt sich, daß es sich formal um eine in der Rhetorik verbreitete log. Retorsionsfigur in der Auseinandersetzung mit der doket. Christologie ↗ Marcions handelt […]: Gerade weil die orth. Christologie für Marcions doket. Auffassungen sinnwidrig ist, ist sie glaubhaft. Zu beachten ist jedoch, daß Tertullian ebenso wie die westl. Theologie der Anfangszeit einer vernunftorientierten Glaubensbegründung grundsätzlich skeptischer gegenüberstand als der Osten […]. So konnte im Anschluß an 1 Kor 1,18-2,9 u. 1 Kor 2, 14-16 auch gerade die Torheit des Evangeliums als chr. Wahrheitsverständnis gelten u. z. Maxime „glaubhaft, weil töricht (absurdum) führen, wobei eine zweifache Auslegung möglich war: Torheit (bzw. Absurdität) als Widersinn gg. konkret gegenüberstehende Vernunftweisheiten od. Torheit (bzw. Absurdität) als vernunftübersteigende Unfaßlichkeit der Glaubensmysterien, wobei beides durchaus rational-diskursiv begründet sein kann, wie auch das Beispiel Tertullians zeigt. Mit der Absurdität des Sinnlosen im modernen Verständnis hat das nichts zu tun. Daraus ergibt sich, daß die Formel credo quia absurdum theologisch nicht illegitim sein muß, sondern einen wichtigen u. unverzichtbaren Aspekt der Glaubenslehre ausdrücken kann.“

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ps:

heißt soviel wie

ich glaube, weil es absurd ist