Camus: Sisyphos als glücklicher Mensch + Bewusstsein

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Der zitierte Satz steht am Ende des Kapitels DER MYTHOS VON SISYPHOS. Ein entscheidender Hinweis auf die Interpretation findet sich einen Satz davor. Da heißt es: „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen.“ Entgegen der Weltinterpretation der Philosophen, die alles so gern in ein glattes System der Logik pressen, zeigt sich uns die reale Wirklichkeit als ein absurdes Theater, eine Veranstaltung mit Brüchen und Enttäuschungen. In diesem Welttheater gilt es sich zu behaupten, das innere Streben nach Sinn auszufüllen. Die Hoffnung auf Sinnangebote von außen ohne Bezug zum eigenen Leben und Erleben steht immer wieder vor Abgründen, die wir uns eingestehen können oder über die wir uns hinweglügen. Camus sieht die Lüge, die Lebenslüge als Selbstentehrung, deren Trug am Ende zersplittert. Sinnfindung, wenn auch an andere Entwürfe angelehnt, kann nur gelingen und befriedigen, wenn sie auf das eigene Erleben bezogen wird. Damit wird sie immer wieder konkret, entzieht sich der allzuschnell glättenden Abstraktion und Brüche überspannenden Gedankenlogik. Sisyphos baut keine erlogenen Brücken über die Lebensgräben des absurden Welttheaters. Er stellt sich dem Scheitern und nimmt neuen Anlauf. Die durchgehaltene Absicht, seinen Lebensentwurf bis zum Ende immer wieder neu zu gestalten, ist letztlich der erfüllende Sinn, nicht das entworfene Sinnbild einer Teilstrecke.

berkersheim  05.03.2013, 11:08

Zum Bewusstsein. Es gibt ein Zweifaches. Einmal: Wir Menschen interpretieren die Welt. Aus diesen Interpretationen leiten wir unser Handeln ab, entwerfen Lebensvorgaben, die wir in einer gewissen Abgeschlossenheit als Sinn bezeichnen. In diesen abstrakten Vorstellungen steckt das Konkrete heimtückisch in den Erwartungen, Wünschen und Sehnsüchten, die untergemischt sind und eine Rückbindung an konkrete Erfüllung von Hoffnungen im abstrakten Entwurf mitschleppen. Zum andern: Wir Menschen erleben die Welt und reflektieren sie und alles Geschehen emotional. Emotionale Erwartungen lassen sich nicht so leicht mit abstrakten Gedankensprüngen belügen. Wir SPÜREN, wenn wir uns zuviel vorgemacht haben, die künftige Welt etwas zu einfach oder ganz falsch entworfen haben und feststellen: In diese Richtung geht es nicht weiter. Die Arbeit des Sisyphos ist die ständige Neujustierung, der immer wieder neue Anlauf, wenn Teilstrecken des Sinnentwurfs vor dem Abbruch des Absurden enden.

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Grundlage ist die Auffassung, das Leben an sich habe keinen Sinn, wobei eine Bejahung des Lebens und des Strebens nach Glück mit der Anstrengung, sich in einer grundsätzlich absurden Welt zu behaupten, nicht ausgeschlossen wird.

Sisyphos ist nach der griechischen Mythologie zur Strafe in der Unterwelt dazu verurteilt, einen Felsblock/Stein einen steilen Abhang hinaufzurollen. Sehr kurz vor dem Ziel entgleitet ihm der Felsblock/Stein und rollt wieder herunter. Dies wiederholt sich ständig. Dies wird von Camus als ein Sinnbild für das menschliche Dasein aufgegriffen und gedeutet.

Bei Albert Camus, Le mythe de Sisyphe (Der Mythos des Sisyphos), läuft ein Zweifel darauf hinaus, Gefährdungen bei der Erkenntnis der Absurdität ausgesetzt zu sein. Dies ist wie ein im Herzen des Menschen sitzender Wurm, wobei Erhellung der Existenz zur Flucht aus dem Leben führen kann (bis hin zur Selbsttötung aus Verzweiflung), der sich Camus aber eher als nicht lohnenswertes Geständnis, vom Leben überwältigt worden zu sein oder es nicht zu begreifen, entgegenstellt.

Der Mensch erkennt die Geworfenheit seines Daseins. Im Denken erkennt sich der Mensch einer Welt ohne objektiven Sinn gegenübergestellt, hat aber zugleich einen Wunsch nach Sinn und sinnvollem Handeln. Diese Gegenüberstellung mit einem Mißverhältnis stellt das Absurde dar.

Camus tritt dafür, die Erkenntnis anzuerkennen (Annahme der Absurdität) und sich trotzdem gegen die Absurdität aufzulehnen, mit einem Einsatz für humane Ziele in einer Selbstverwirklichung (seine Freiheit finden) und Solidarität mit anderen Menschen. Im Bewußtsein ist eine Ebene oberhalb des bloßen äußeren Ablaufs möglich, eine betrachtende, erkennende, reflektierende und eine Einstellung entwickelnde Stufe. Sisyphos erträgt sein Schicksal und entfaltet nach Camus ein reiches Bewußtsein auf dem Weg nach unten, dem Rückweg ohne Last, aber mit der Absicht, sie wieder hinaufzurollen. Durch seine philosophische Einstellung/Haltung eines „Trotzdem“ überwindet er sein Schicksal dann in gewisser Hinsicht, durch Verachtung. Das Subjekt wertet eine Situation in eine Situation um, zu der ein verändertes Bewußtsein seine Zustimmung geben kann. Dieser Sieg über das Absurde muß ständig neu errungen werden.

Sisyphos durchschaut seine Lage, er ist sich ihrer klar bewußt. Er weicht nicht in illusionäre Hoffnungen aus. Sisyphos gelingt es nach Camus, über sein Bewußtsein das Spannungsverhältnis auszuhalten und in der absurden Welt auszuharren. Der Zwiespalt, die Sinnlosigkeit, die Endlichkeit, das Absurde werden nicht ganz aufgelöst. Die reale Lage kann Sisyphos nicht ändern, aber die Sichtweise darauf in seinem Bewußtsein. Er ist sich seiner Lage und seines vergeblichen Bemühens bewußt. Sein Bewußtsein ist der Ort der Freiheit. Er kann wenigstens seine innere Einstellung frei bestimmen. Sisyphos entscheidet sich dafür, seine Situation anzunehmen, sein Leben zu bejahen und dabei nicht von dem Bemühen abzulassen.

Das Streben, ein Ziel zu erreichen, ist ein Stück Auflehnung gegen die Absurdität. Der Felsblock/der Stein und dessen Hinaufwälzen sind seine Sache. Trotz Scheiterns bei der Bemühung gelingt ihm insofern eine Selbstverwirklichung. Das unablässige Hinaufwälzen des Felsblocks/Steins wird in seinem Bewußtsein als selbstgewählt verstanden und zu einer Aufgabe, die ihn erfüllt. Daher kommt Camus zu der Aussage: „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“

Das Leben bei dem jemand Glück empfindet, ist eines im Bewußtsein der Umstände des Daseins und eines in der Gegenwart, mit einem Abmühen, das das Erreichen eines verfolgten Ziels nicht vollendet abschließt, aber mit seinem Handeln das erlebende Empfinden der Person ausfüllt.

Überlegungen enthält z. B.:

Helmut Huhn, Revolte gegen das Absurde: Sisyphos nach Camus. In: Mythenkorrekturen : zu einer paradoxalen Form der Mythenrezeption. Herausgegeben von Martin Völker und Bernd Seidensticker. In Zusammenarbeit mit Wolfgang Emmerich. Berlin ; New York : de Gruyter, 2005 (Spectrum Literaturwissenschaft ; Band 3), S. 345 – 368

Der Mensch im Absurden existiert, trotz erbärmlicher Umstände, mit einer bestimmtem Aufgabe. Auch wenn der diese niemals erfüllen können wird, so macht ihn sein tun an sich bereits glücklich.