Atavismus und Evolution?

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Atavismen sind ein ganz wichtiger Beleg für die Evolutionstheorie.

Als Atavismus oder Rückschlag bezeichnet man das Wiederauftreten eines ursprünglichen (plesiomorphen) Merkmalszustandes, der eigentlich im Lauf der Stammesgeschichte verlorengegangen ist.
Die rezenten (heute lebenden) Pferde der Gattung Equus stammen von kleinen eozänen Formen ab, die in Wäldern lebten. Einer der frühesten Stammlinienvertreter der Pferde ist Eohippus (das bedeutet übersetzt "Morgenrötepferd" benannt nach der griechischen Göttin Eos), das vor etwa 55 Mio. Jahren lebte und dessen Überreste u. a. in den Ölschiefern in der Grube Messel in Deutschland und in Nordamerika gefunden wurden. Eohippus besaß an seinen Vorderfüßen jeweils vier und an den Hintergliedmaßen drei Zehen. Die weitere Evolution der Pferdeartigen spielte sich v. a. in Nordamerika ab. Klimatische Veränderungen führten dazu, dass üppige Wälder verschwanden und weitläufige Graslandschaften (Prärien) entstanden. Einige Vertreter der Pferde passten sich an die neue Umbegung an. Sie wurden größer und reduzierten die Anzahl ihrer Zehen, um schneller im offenen Land rennen zu können. Die Art Mesohippus aus Nordamerika vor 40 Mio. bis 25 Mio. Jahren besitzt an den Vordergliedmaßen schon nur noch drei Zehen, wobei die mittlere (die ursprüngliche dritte Zehe) am stärksten entwickelt ist. Noch spätere Formen wie Pliohippus vor 16 Mio. bis 6 Mio. Jahren hatte an jeder Gliedmaße nur noch einen einzigen Zeh, die restlichen waren weitgehend zurückgebildet. Im Lauf der Pferde-Evolution kam es somit zu einer Reduktion der Zehen-Anzahl (jedoch darf die Pferde-Evolution keineswegs als geradliniger Prozess verstanden werden. Insgesamt ist der Stammbaum der Pferde viel komplexer und es gibt viele Seitenlinien). Bei heutigen Pferden kann es aber manchmal vorkommen, dass an einer oder mehreren Gliedmaßen zusätzliche Zehen ausgebildet werden (Polydactylie). Dieser Rückschlag ist nichts anderes als das Auftreten von Zehen, die in der Stammesgeschichte unserer Equus-Pferde eigentlich verlorengegangen sind. Ihr Wiederauftreten kann als Beleg für die Verwandtschaft mit Vorfahren gedeutet werden, die mehrere Zehen je Fuß besaßen.

Auch beim Menschen können verschiedene Atavismen auftreten. Bei manchen Personen werden zusätzliche Brustwarzen (Polythelie) ausgebildet, welche als Rückschlag der ursprünglichen Milchleiste der Säugetiere gedeutet werden können. Bei nicht wenigen Männern (etwa jeder zehnte in Deutschland) treten so genannte Hornzipfel auf, kleine papillenartige Erhebungen am Kranz der Peniseichel, welche wohl ein Wiederauftreten der Penisstacheln sind, die bei vielen Säugetieren vorkommen (z. B. bei Katern). Halsfisteln sind Rückschläge der Kiemenspalten unserer fischartigen Vorfahren. Auch übermäßige Körperbehaarung kann als Rückschlag gedeutet werden und manchmal bilden Menschen sogar ein kleines Schwänzchen aus, wenn das knöcherne Steißbein verlängert ist.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig