Also Sprach Zarathustra, was bedeutet das Kapitel "Vom Lesen und Schreiben"?
Hallo! :^)
Das Kapitel "Vom Lesen und Schreiben" ist mir das sonderbarste des Werkes. Es wirkt fast, als ob es nicht zum Rest des Buchs passe.
Zum einen verstehe ich nicht, warum Nietzsche (bzw. das lyrische Ich natürlich) es als schlecht empfindet, das alle Lesen lernten.
"Einst war der Geist Gott, dann wurde er zum Menschen und jetzt wird er gar noch Pöbel."
Inwiefern werde der Geist durch Alphabetisierung zum Pöbel? Ich würde behaupten, der Geist spreizt seine Flügel weiter aus. Der Pöbel integriert sich in den Geist.
Aber abgesehen davon, was ich noch weniger verstehe, nicht nur auf einer persönlichen sondern auch auf einer intra-literarischen Ebene innerhalb des Buches, warum spricht Zarathustra hier so hoch von sich selbst?
"Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung verlangt. Und ich sehe hinab, weil ich erhoben bin."
So ein Selbstlob ist mMn. gar untypisch für Zarathustra, wo er in der Vorrede sogar sagt
"Ich liebe Den, welcher sich schämt, wenn der Würfel zu seinem Glücke fällt"
Geistige Fähigkeiten, Tugenden (~Intelligenz) werden doch zufällig vergeben. Die Erhobenheit selbst ist doch Zufall, warum ist Zarathustra stolz darauf, ach so erhoben zu sein? Zarathustra sagt "Ich", und ist stolz auf diess Wort.
Allgemein muss ich sagen, dass ich dieses Kapitel kaum verstanden hab. Könnte mir jemand weiterhelfen?
Vielen Dank im Vorraus :]
1 Antwort
Nietzsche selbst nennt den Stil, in dem Also sprach Zarathustra geschrieben ist, halkyonisch (seelisch vollkommen) und wünscht sich Leser, die eines „gleichen Pathos fähig und würdig sind“. Dieser Reifestand wird also von Nietzsche beim Leser vorausgesetzt, damit er Zarathustra versteht! Dass diese Anforderung leider überwiegend nicht erfüllt wird, sieht Nietzsche und beschreibt die Auswirkung in dem Satz: "Einst war der Geist Gott, dann wurde er zum Menschen und jetzt wird er gar noch Pöbel."
Erkenntnis ist eine Funktion des Seins: Was wir sind, bestimmt unsere Erkenntnisse. Der reife Mensch, der unter allen Bedingungen keinen Bedingungen mehr unterworfen ist, steht auf der Stufe von Zarathustra und wird den Geist in seinen Aussagen erkennen. Der unreife Mensch begreift die Aussagen von nicht, so dass deren Umgang mit den Aussagen nur unzureichend sein können, was hier als Pöbel bezeichnet wird.
"Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung verlangt. Und ich sehe hinab, weil ich erhoben bin." Dies ist im Sinne von Zarathustra kein Selbstlob, sondern eine bewertungsfreie Standortbestimmung. Ein Merkmal reifer Menschen ist ja gerade, dass sie frei von allen Bewertungen die Dinge einfach so sehen wie sind und das dann auch aussprechen.
Besinnung von Hermann Hesse (Die ersten vier Zeilen) :
Göttlich ist und ewig der Geist. Ihm entgegen, dessen wir Bild und Werkzeug sind, führt unser Weg. Unsere innerste Sehnsucht ist: Werden wie Er, leuchten in Seinem Licht.
Nietzsche und Hesse und natürlich auch einige andere erreichten einen ähnlichen und äußerst tiefen Erkenntnisgrad: Gott und Geist und Liebe und Ewigkeit sind nicht trennbar, sondern eine Einheit.
Den Geist zum Pöbel machen passt in diesem Bezug auch gut zum "Gott ist todt."-Motiv.
Erinerrt mich auch ein bisschen an Deleuzes organlosen Körper (wobei Deleuze natürlich von Nietzsche abgeguckt hat und nicht andersherum).
Danke, jetzt hab ich verstanden, was Nietzsche hier meint (glaube ich :D).
Danke, sehr hilfreich!
Wann war der Geist denn Gott, für Nietzsche?