Was soll ich sagen? Als angehender Therapeut bin ich anderer Meinung. Es stimmt aber, dass im Psycho-Bereich viel Mist gebaut wird, in dem Sinne, dass man Diagnosen ausspricht und Maßnahmen ergreift (z.B. Medikamente verschreibt) bevor man den Patienten überhaupt richtig verstanden hat. Verstehen ist eine hohe Kunst und damit die richtige Diagnostik auch. Wenn aber die Diagnostik präzise ist und der Therapeut den Klienten sehr genau versteht, kann das eine super Sache sein.
Die Vorstellung, dass man beim Therapeuten "Tipps" bekommt, ist grundsätzlich nicht ganz richtig - das kann mal vorkommen, aber ist nicht der Standardmodus der Therapie. Therapeuten steuern Prozesse, d.h. ihre Verantwortung ist, einen konstruktiven Arbeitsprozess herzustellen. Dabei kann es auch mal vorkommen, dass man die ein oder andere Maßnahme vorschlägt. Auf keinen Fall darf es aber so sein, dass man als Therapeut Verantwortung für das Leben des Klienten übernimmt - manche Klienten würden gerne die Verantwortung für ihr eigenes Leben abgeben und jemanden haben, der ihnen sagt, was sie machen sollen, wie sie sich entscheiden sollen. Das ist ein antitherapeutischer Wunsch. Als Therapeut willst Du dem Klienten beibringen, wie er sich selbst auf eine funktionale Weise steuern kann, und wenn man die Verantwortung komplett an jemanden abgibt und sich von jemandem sagen lässt, was man machen soll, ist das alles Andere als funktional. Therapie ist ja auch mal irgendwann vorbei, und der Patient wird dann aufgeschmissen sein, wenn der Therapeut ihm die ganze Zeit Ratschläge gegeben hat - ihm also die ganze Zeit die Verantwortung genommen hat. Dann hat der Patient überhaupt nicht seinen eigenen Weg gefunden. Therapie ist Hilfe zur Selbsthilfe. Der Klient muss mit seinem Erleben und Verhalten experimentieren und für sich Lösungen finden, die für ihn passen. Und die Aufgabe des Therpeuten ist, diese "Experimente" anzustoßen. Keineswegs ist es so, dass der Therapeut weiß, was für den Patienten richtig ist und deswegen Ratschläge geben kann. Der Therapeut kann Anregungen geben, aber der Klient selbst muss testen, ob es passt oder ob eine andere Maßnahme besser wäre.
Von daher haben Klienten oft falsche Vorstellungen von der Rolle des Therapeuten.