Um mal ein bisschen einen weiteren Blickwinkel aufzuzeigen, damit wir möglichst offen und philosophisch herangehen können, formuliere ich einen Teil des Textes der fragestellenden Person mal minimal um:
"So wie ich es verstanden habe, ist der Sinn vom Bedecken der Brustwarzen in großen Teilen des Alltagslebens in heutigen europäischen Gesellschaften die Aufmerksamkeit nicht auf sich zu ziehen, wie auch bei der verbreiteten Vermeidung von rein pinkfarbigen Outfits. Jedoch verstehe ich nicht warum so viele Mädchen und Frauen sich schminken. Meiner Meinung nach „verschönert“ man sich damit und zieht somit mehr Aufmerksamkeit auf sich.
Ist das nicht auch vermeidenswert?"
Also eine spannende Frage ist meiner Ansicht dabei:
Warum kommt uns der obige Gedanke beim Bedecken der Brustwarzen in großen Teilen des Alltagslebens in heutigen europäischen Gesellschaften in Zusammenhang mit Make-Up oft nicht, obwohl es sich doch rein logisch betrachtet in den obigen Satz einsetzen ließe? :-)
Ich glaube das hat verschiedene Gründe.... Ich habe den Eindruck, dass heutzutage hierzulande sowohl einige religiöse als auch einige nicht religiöse Menschen beim Nachdenken über DEN religiösen Menschen, sich die Art und Weise, wie Religionsausübung im Alltag auszusehen hätte sehr perfektionistisch vorstellen.
Nach dem Motto: Für alle Religiösen gilt: Wer A sagt muss auch B, C und alle weiteren Buchstaben des Alphabets bis Z sagen und warum nicht auch Umlaute?
Mir scheint: Von nicht religiösen Menschen wird das in der öffentlichen Wahrnehmung weniger erwartet. Vielleicht ist das so, weil wir etwas aus dem Auge verloren haben, dass auch sie i. d. R. gewissen Prinzipien und einer Moral folgen.
Und es ist, wenn man länger darüber nachdenkt eigentlich nicht soo unverständlich, wenn die Prinzipien, die man im Alltag befolgt sich gegenseitig ausgleichen, also, wenn zum Beispiel ein agnostischer Mann sagt:
"Ich bedecke meine Brustwarzen, wenn ich ins Einkaufscenter gehe, weil ich nicht noch mehr Aufmerksamkeit erregen möchte, da ich nun ohnehin schon Aufmerksamkeit errege, da ich entschieden habe Make-Up zu tragen, weil ich es schön finde." können viele auf Anhieb nachvollziehen, warum er so abwägt, vermute ich.
Wenn eine religiöse Frau etwas von der Argumentationsstruktur her analoges sagt und zwar:
"Ich bedecke meine Haare und den Hals, wenn ich ins Einkaufscenter gehe, weil ich nicht noch mehr Aufmerksamkeit erregen möchte, da ich nun ohnehin schon Aufmerksamkeit errege, da ich entschieden habe Make-Up zu tragen, weil ich es schön finde."
ist es im Prinzip die gleiche Art abzuwägen, also auch genauso nachvollziehbar...
Und dass dann noch Leute kommen, die dem Mann oder der Frau aus dem Beispiel sagen:
"Du kannst kein Make-Up tragen!", wird es wohl immer geben.... die Frage ist dann im Einzelfall wohl wie viele es sind, wie wichtig sie für die Person sind, und ob sie recht haben in Bezug, darauf dass es zu stressig für die Person werden würde, sich mit dieser Stilentscheidung durchzusetzen in einer Umgebung, wo den Mitmenschen das (noch?) zu unbekannt ist oder sie bei dem, was man damit ausdrückt etwas ganz anderes verstehen (oder verstehen wollen?) als man selbst als Nachricht gern aussenden würde.
Der Stil "Kopftuch und Makeup" ist auf jeden Fall heutzutage weiter verbreitet als "Make-Up als Mann in Männerkleidung, selbst wenn man die Brustwarzen bedeckt". Ersterer hat sich also etabliert, würde ich meinen. Man könnte sagen, es ist historisch und kulturell so gewachsen.