Worum geht es in Heideggers Sein und Zeit?

3 Antworten

Heidegger fragt in "Sein und Zeit" nach dem Sinn von Sein (sagt Albrecht). Das ist richtig. Allerdings, wer nach dem Sinn von Sein fragt, muss erst einmal erklären, was das Sein ist. Hier bleibt uns Heidegger die Antwort schuldig. Denn er sagt selbst, es sei gar nicht möglich, das Sein zu definieren; man könne das Sein nur erahnen. (Heidegger: ‚Das Sein ist überhaupt nichts Seiendes. Man darf es sich auf keine Weise gegenständlich denken’).

Dieses Sein(nach Heidegger) erschließt sich - durch „Erahnen“ - erst, wenn man „eigentlich“ lebt, d.h. sich aus dem unsäglichen „Man“, in dem der Mensch bloß „vorhanden“ ist, gelöst hat. Bloßes „Vorhanden-sein“  ist der Würde des Menschen nicht angemessen, denn es bedeutet, dass der Mensch unfrei lebt, indem er sich anpasst, all das macht, was „man“ macht (man liest, was „man“ liest, man kleidet sich, wie „man“ sich kleidet, man argumentiert, wie „man“ argumentiert – z.B. politisch u.a.m.). Erst wenn man also „eigentlich“ lebt, hat man die Chance, das „Sein“ zu erahnen.

Auf keinen Fall ist der Mensch als Seiender jenseits des „Man“ sozusagen schon vom „Sein“ umfangen. Falsch ist es zu sagen, das „Sein“ sei die Existenzweise des Menschen jenseits des „Man“. Jenseits des „Man“ beginnt der Mensch (das „Dasein“) erst ein "existentielles Dasein", oder anders gesagt: er beginnt als Seiender zu „existieren“. Jetzt erkennt er auch, dass das „existentielle“ Dasein“ Vorlauf zum Tode ist. Wenn er diesen „Vorlauf zum Tode“ zur Grundlage seines Denkens macht, ist der Mensch in der Lage, das „Sein“ zu erahnen. Wie gesagt, man wird auch dann nicht wissen, was das „Sein“ ist, man wird nicht sagen können, das und das ist das Sein. Das „Sein“ ist enger Bestandteil alles Seienden. Aber durch das „Denken vom Tode her“ beginnt das Sein hinter dem Seienden „aufzuscheinen“, oder auch – wie Heidegger sagt: „es lichtet sich“. -

Man kann hier auch mit dem Begriff des Nichts arbeiten: Zwischen dem Seienden und dem Sein liegt das Nichts, welches das Sein verbirgt. Erst durch Nichten des Nichts (indem man das Dasein „vom Tode her denkt“), lichtet sich das Sein. Aber es wird dann auch nicht sichtbar, sondern nur fühlbar. Das Sein „empfindet“ man lediglich, man bekommt das Empfinden, dass man in der Nähe des Seins lebt (in „Seinsnähe“, wie Heidegger sagt). Heidegger spricht auch öfter davon, dass der Mensch „seinsvergessen“ lebt, z.B. durch totale Hingabe an die Technik oder einfach durch bloßes „Vorhanden-sein“ im „Man“.

Meine Erklärung ist: Mit dem Vorhaben Heideggers, den Sinn von Sein in dem Buch "Sein und Zeit" philosophisch zu erklären, hat sich der Philosoph auf einen Weg begeben, dessen Ziel das Sein ist. Aber dieses Ziel kann er nie erreichen, weil das „Sein“ etwas Irrationales, Mythisches ist, vergleichbar dem Weltgeist Hegels oder dem Urwillen Schopenhauers oder dem Nirwana der Buddhisten. M.a.W. das Entscheidende bei dieser Philosophie ist nicht das (unerreichbare) Ziel, sondern der Weg dorthin, auf dem uns Heidegger faszinierende Einsichten in das Wesen der Welt und des Menschen liefert, Einsichten allerdings, die er in oft schwieriger, dunkel-raunender Sprache formuliert.


Günstig ist, näher zu erläutern, was für ein Erklärungsbedarf besteht. Das Thema kann ja mehr oder weniger ausführlich dargelegt werden.

In dem Werk »Sein und Zeit« versucht Martin Heidegger eine Fundamentalontologie (grundlegende Seinslehre). Er fragt nach dem Sinn von Sein (vgl. die Einleitung des Werkes) und untersucht dazu das, was seiner Meinung nach dessen Ursprung ist. Einen »Sinn von Sein« zu überlegen heißt, beim Seienden möglichen Bezügen der Dinge miteinander nachzugehen. Heidegger unterscheidet (ontologische Differenz) Seiendes und Sein, wobei diese aber zugleich zusammengehören. Seiendes ist alles, was tatsächlich ist, sich in der Welt/Wirklichkeit befindet. Sein bezeichnet am Seienden das, was es ist, insofern es seiend ist. Sein ist in Heideggers Denken zum einen etwas, das es zwar nicht ohne Seiendes geben kann, aber dem Seiendem zugleich zugrundeliegt, zum anderen ein Verständnishorizont des Seienden. Die Frage nach dem »Sinn von Sein« (Seinsfrage) bedeutet, auf ein Seinsverständnis zu zielen, einen gemeinsamen Grund des Verstehens, der jedem Erkennen von Seiendem bedingend vorausgeht.

Heidegger kritisiert hinsichtlich der Seinsfrage die vorausgegangene abendländische Metaphysik als Fehlentwicklung. Er sucht eine Antwort auf die Seinsfrage im Dasein. Das Dasein ist der in der Welt/Wirklichkeit befindliche Mensch als seiendes Subjekt mit einem Seinsverständnis („Dasein — das sich selbst und die Welt wahrnehmende, das Seiende verstehende, am eigenen Sein interessierte Phänomen, das jeweils ich bin“). Mit Analysen der Daseins versucht Heidegger zu allgemeinen Strukturen des Daseins (als Existenzialien bezeichnet) zu kommen und davon ausgehend zu allgemeinen Strukturen des Seins zu gelangen. Eine Grundverfassung des Daseins ist Weltbezogenheit (In-der-Welt-sein), wobei das Dasein sich nicht selbst geschaffen hat, sondern in die Welt hineingeworfen worden ist. Als ein sehr allgemeines Ganzes/eine Struktureinheit (mit einerseits Geworfenheit, andererseits einem gewähltem Entwurf) wird die Sorge verstanden. Es gibt dabei einen Bezug zur Zukunft. Heidegger will den Sinn von Sein aus der Zeitlichkeit erklären.

Das Werk ist nicht vollendet worden, zur geplanten zweiten Hälfte ist nur wenig erschienen.

In Bibliotheken gibt es Bücher mit kurzen Zusammenfassungen und ausgiebigen Erklärungen, z. B.:

Günter Figal, Martin Heidegger. In: Großes Werklexikon der Philosophie. Herausgegeben von Franco Volpi. Stuttgart : Kröner, 1999. Band 1: A – K, S. 659 – 660 (Sein und Zeit)

S. 659: „Der Anspruch des Werkes ist groß: H. möchte philosophisch die Möglichkeit der Philosophie, genauer der Ontologie, verständlich machen, indem er auf den Ursprung des philosophischen Denkens zurückgeht, darauf zielt die Bezeichnung der in dem Werk entwickelten Konzeption als »Fundamentalontologie«. Der Ursprung des philosophischen Denkens ist dabei für ihn etwas anderes als sein historischer Beginn. Die Philosophie soll aus der Weise des Menschen zu sein, die H. »Dasein« nennt, verständlich werden, und zwar aus dem Wesenszug des »Seinsverständnisses«: Zum Dasein gehört, daß man das eigene Sein erfährt. Diese Erfahrung ist jedoch gegen entstellende Interpretation nicht geschützt und muß darum durch eine »Daseinsanalyse« erst freigelegt werden. Aufgrund dieser Freilegung, die die Struktur des Daseins sich zeigen läßt, versteht H. sein Unternehmen als »Phänomenologie«. Die phänomenologische Analyse wiederum deckt nicht irgendeinen Sachverhalt auf, sondern sie wird im Dasein vollzogen und gint dem Dasein sich selbst zu verstehen; H. bezeichnet sie deshalb als »Hermeneutik«.“

H. = Heidegger

Günter Figal, Martin Heidegger zur Einführung. 7., vollständig überarbeitete Auflage. Hamburg : Junius Hamburg, 2016 (Zur Einführung). ISBN 978-3-88506-750-4 (Fundamentalontologie: Ein folgenreiches Zwischenspiel S. 48 – 93)

Andreas Luckner, Martin Heidegger: »Sein und Zeit« : ein einführender Kommentar. 2., korrigierte Auflage. Paderborn ; München ; Wien ; Zürich : Schöningh, 2001 (UTB ; 1975). ISBN 3-8252-1975-5 (UTB). ISBN 3-506-99476-X (Schöningh)

Martin Heidegger: Sein und Zeit. Herausgegeben von Thomas Rentsch. 3., bearbeitete Auflage. Berlin ; München ; Boston : De Gruyter, 2015 (Klassiker auslegen ; Band 25). ISBN 978-3-11-037717-0

Willem van Reijen, Martin Heidegger. Paderborn : Fink, 2009 (UTB ; 3035). ISBN ) 78-3-8252-3035-7 (UTB). ISBN 978-3-7705-4715-9 (Fink) (Sein und Zeit. Was ist der Sinn von Sein? S. 11 – 28)

Dieter Thomä (Hrsg.), Heidegger-Handbuch : Leben – Werk – Wirkung. Unter Mitarbeit von Florian Grosser, Katrin Meyer und Hans Bernhard Schmid. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2013. ISBN 978-3-476-02268-4 (Thomas Rentsch, »Sein und Zeit« : Fundamentalontologie als Hermeneutik der Endlichkeit S. 48 – 74)

Udo Tietz, Heidegger. 2., durchgesehene und erweiterte Auflage. Stuttgart : Reclam, 2013 (Reclam Taschenbuch ; Nr. 20306. Grundwissen Philosophie). ISBN 978-3-15-020306-4 (Der fundamentalontologische Ansatz im Umfeld von Sein und Zeit S. 41 – 132)

Peter Trawny, Martin Heidegger : eine kritische Einführung. Frankfurt am Main : Vittorio Klostermann, 2016 (Klostermann Rote Reihe ; Band 82). ISBN 978-3-465-04261-7 (Der »Sinn von Sein« S. 43 – 76)

Schon Wikipedia: Heidegger Sein und Zeit gelesen? Wo sind die Probleme? Was hast Du da herausgelesen? Da steht ja mehr als genug drin. Einige Schlüsselbegriffe solltest Du weiterverfolgen.