Wer trägt die Schuld an den punischen Kriegen?


20.10.2022, 22:25

Quelle 1:

Der römische Historiker Livius (59 v.Chr. - 17 n.Chr.) berichtet, was Hannibal zu seinen Truppen vor der letzten Schlacht gesagt haben soll:

Dieses so grausame und stolze Volk nimmt alles in Besitz und nimmt uns jede freie Entscheidung. Mit wem wir Krieg oder Frieden haben dürfen steht nach ihrer Meinung nach nur ihnen zu. Es schließt uns ganz eng in Grenzen, Bergen und Flüssen ein, die wir nicht überschreiten sollen. [...] Ist es nicht genug, dass du mir meine alten Gebiete (Korsika, Sizilien, Sardinien) genommen hast? Nimmst du mir jetzt auch noch Spanien? Und wenn ich dieses verlasse, wirst du nach Afrika hinübergehen.

Zit. nach: Livius, Römische Geschichte 21, 44, bearb. d. Verf. In: Geschichte und Geschehen A1, Stuttgart 1995, S. 141.

Quelle 2:

Q2: Der römische Historiker Livius (59 v.Chr. - 17 n.Chr.) berichtet, was der römische Feldherr Scipio Hannibal im Jahr 202 v.Chr. geantwortet hat, nachdem dieser um Frieden gebeten hat:

Unsere Väter haben nicht den Krieg in Sizilien begonnen und auch nicht in Spanien. Damals hat uns die Gefahr auf Sizilien und in Spanien das Recht und die Pflicht gegeben, die Waffen in die Hand zu nehmen. Dass ihr die Herausforderer gewesen seid, gestehst du selbst, und das bezeugen die Götter, die jenen Krieg nach menschlichem und göttlichem Recht entschieden haben und entscheiden werden.

Zit. nach: Livius, Römische Geschichte 30, 31, bearb. d. Verf. In: Geschichte und Geschehen A1, Stuttgart 1995, S. 141.

1 Antwort

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Zu den Punischen Kriegen ist keine Darstellung von karthagischer Seite erhalten. Es stehen nur Darstellungen römischer und griechischer (Polybios ist dabei besonders wichtig) Autoren zur Verfügung.

Beim Dritten Punischen Krieg (149 - 146 v. Chr.) war Karthago machtpolitisch weit unterlegen und eine auf Vernichtung zielende römische Politik hat sich durchgesetzt. Zu diesem Krieg enthalten die Textauszüge Q1 und Q2 aber nichts.

Eine allgemeine Ursache des Ersten Punischen Krieges (264 – 241 v. Chr.) und des Zweiten   Punischen Krieges (218 – 201 v. Chr.) ist ein entstehender machtpolitischer Gegensatz zweier Großmächte im westlichen Mittelmeerraum. Beide Seiten waren bereit, den Konflikt kriegerisch auszutragen.

Die Schuldfrage (Schuld ist Urheberschaft für etwas Schlechtes) kann ausführlich erörtert werden. Dabei besteht teilweise eine Abhängigkeit der Beurteilung von der Auffassung darüber, welche Verhältnisse (Verträge miteinander und Beziehungen zu bestimmten Städten und deren Einwohnern) bestanden haben und wie der Verlauf der Ereignisse gewesen ist.

Die Römer haben dazu geneigt, für sich gute Rechtsgründe zu beanspruchen. Daran kann aber manches bezweifelt werden. Die Römer haben ihre Expansion über Italien hinaus fortgesetzt. Ihre Politik war schon längere Zeit stark darauf ausgerichtet, die römische Herrschaft auszuweiten. Mit erfolgreichen Kriegen konnten römische Politiker ihre Karriere vorantreiben, sich Ruhm und eine hervorragende Stellung verschaffen. Eine Aussicht auf Beute konnte auch für andere ein Beweggrund sein, eine expansive Außenpolitik zu unterstützen. Die Römer waren bei den Punischen Kriegen stärker expansiv, wenn auch die Karthager ihr Herrschaftsgebiet in einigen Gegenden zu vergrößern versuchten, aber in der Vorgeschichte der Punischen Kriege nicht im römischen Machtbereich. Die Römer sind dagegen mit ihrem Eingreifen in Sizilien in eine karthagische Interessensphäre vorgestoßen. Es hatte eine Bitte um Unterstützung seitens der Mamertiner an die Römer gegeben. Die Mamertiner waren aus Italien stammende ehemalige Söldner, die tötend und plündernd die Stadt Messana und ihre Umgebung erobert hatten, aber durch König Hieron II. von Syrakus in Schwierigkeiten gebracht und belagert wurden. Die Mamertiner haben sich in dieser Lage auch zu irgendeinem Zeitpunkt an die Karthager gewendet, die eine Truppe schickten. Die Einzelheiten sind nicht klar, aber die eingreifenden Römer haben anscheinend mit Überrumpelung, Druck oder Gewalt die karthagische Truppe zum Abzug genötigt oder vertrieben.

Beim Zweiten Punischen Krieg hat die Stadt Sagunt in Spanien eine Rolle gespielt, außerdem der sogennante Ebro-Vertrag, der eine Bestimmung enthielt, die Karthager dürften den Fluss Ebro nicht in kriegerischer Absicht überschreiten. Sagunt hatte anscheinend Verbündete der Karthager angegriffen und wurde dann von den Karthagern belagert. Sagunt liegt südlich des Ebro und befand sich damit in der karthagischen Interessensphäre. Mit Rom, hatte Sagunt kein formelles Bündnis, aber (wahrscheinlich erst seit kurzer Zeit) ein freundschaftliches Verhältnis. Als Hannibal trotz römischer Forderung, die Belagerung zu beenden, Sagunt eroberte, verlangte eine römische Gesandtschaft in Karthago seine Auslieferung und erklärte nach Ablehnung Karthago den Krieg.

Die zwei Quellenauszüge sind nicht für eine Klärung der Kriegeschuldfrage ausreichend.

Die Wiedergabe der Reden beruht außerdem nicht auf genauen Aufzeichnungen. Die Reden sind vom erheblich später lebenden Autor des Geschichtswerkes gestaltet. Der römische Geschichtsschreiber Livius ist nicht unparteisch.

Eine passende Herangehensweise ist eine Untersuchung, welche Auffassungen zur Schuld an den Punischen Kriegen in den Reden mit welchen Argumenten vertreten werden.

In Q1 gibt von einem karthagischen Standpunkt aus Hannibal den Römern die Schuld.

In Q2 gibt von einem römischen Standpunkt aus Publius Cornelius Scipio den Karthagern die Schuld.

Q1

Livius 21, 44 ist ein Auszug aus einer Rede des Feldherrn Hannibal an seinen Truppen vor der Schlacht beim Fluss Ticinus 218 v. Chr.

Argumente:

  • Anmaßung des äußerst grausamen und hochmütigen römischen Volkes, alles in Besitz zu nehmen und den Karthagern jede freie Entscheidung zu nehmen, so beispielsweise ausschließlich römisches Ermessen, mit wem die Karthager Krieg oder Frieden haben dürfen (hat einen Bezug zum Sagunt-Streit)
  • ganz enges Einschließen in Grenzen, Bergen und Flüssen, die nach römischen Willen Karthager nicht überschreiten sollen (hat einen Bezug zum sogenannten Ebro-Vertrag)
  • Wegnahme alter Gebiete Karthagos durch die Römer (tatsächlich Sizilien gemäß dem Friedensvertrag von 241 v. Chr. nach karthagischer Niederlage im Ersten Punischen Krieg, Sardinien unter Ausnutzung karthagischer Schwierigkeiten vertragswidrig; Korsika steht nicht im Original, sondern ist Bearbeitung, es gab kartagische Einflüsse auf Korsika, die Insel war aber nicht Herrschaftsbereich Karthagos)
  • in der Gegenwart versuchte Wegnahme Spaniens
  • mit einer Absicht, auch nach Afrika hinüberzugehen, erkennbares grenzenloses römisches Expansionsstreben, das den Karthagern nichts übriglässt (Bezug dazu, dass in diesem Jahr der eine römischen Konsul Spanien als Aufgabenbereich hattem, der andere römische Konsul Afrika)

Q 2

Livius 30, 31 ist ein Auszug einer Rede Scipios in einem Gespräch mit Hannibal, nachdem dieser (kurz vor der Schlacht bei Zama 202 v. Chr.) unter bestimmten Bedingungen um Frieden gebeten hatte.

Argumente:

  • Erster Punischer Krieg (in Sizilien) und Zweiter Punischer Krieg (in Spanien) nicht von Römern begonnen, implizit damit Aussage, der Krieg sei von den Karthager ausgegangen und begonnen worden
  • berechtigtes römisches bewaffnetes Vorgehen als Reaktion auf von den Karthagern herbeigeführte Gefahren auf Sizilien und in Spanien (im Original Bezug auf Gefahr für die Mamertiner, die als Bundesgenossen bezeichnet werden, und auf den Untergang Sagunts)
  • Karthager sind angreifende Herausforderer gewesen, nach Hannibals eigenem Geständnis (tatsächlich nicht authentisch, sondern parteiische Gestaltung durch Livius) 
  • Schuld der Karthager auch durch Götter bezeugt, die den Ersten Punischen Krieg nach menschlichem und göttlichem Recht entschieden haben (mit einem Sieg der Römer) und den Zweiten Punischen Krieg auch so entscheiden werden
Thom1983  21.10.2022, 11:07

Polybios zitiert fast ausschliesslich Livius, somit kann man nicht von einer griechischen Quelle sprechen. Es wird zwar gesagt, Polybios hatte viel gereist und Interviews von Karthagern gesammelt, aber was Heute wir haben sind nur Polybios' Zitaten aus den Schriften von Livius. Ausserdem, Polybios wollte immer den Roemern lieb sein und hatte alle seine Geschichten dementsprechend gefaerbt.

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Albrecht  21.10.2022, 13:08
@Thom1983

Polybios lebte im 2. Jahrhundert v. Chr. (geboren vor 199 v. Chr, gestorben um 120 v. Chr.), Livius deutlich später (geboren 59 v. Chr. gestoben wohl 17 n. Chr.). Die Behauptung, Polybios zitiere fast ausschließlich Livius, ist Unsinn.

Polybios ist ein griechischer Autor. Er ist nicht völlig neutral, sondern hat grundsätzlich eher einen den Römern zuneigenden Standpunkt, ist allerdings ihnen gegenüber nicht ganz und gar unkritisch.

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