Welche Bedeutung hatte die Legende von Romulus und Remus für das Ansehen in Rom zu dem Zeitpunkt?

2 Antworten

Die Sage von Romulus und Remus ist von verschiedenen antiken Autoren zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlichen Fassungen erzählt worden.

Die frühsten römischen Fassungen sind nicht bekannt. Griechische Einflüsse und Anregungen haben auf die Sagenfassungen eingewirkt. Die Bestandteile der Sage stammen vermutlich aus verschiedenen Traditionen.

Die märchenhaften Züge der Erzählung von Romulus und seinem Bruder Remus – ihre göttliche Abstammung, Aussetzung und wundersame Rettung, Jugend und Mannesalter, aber auch der gewaltsame Tod des Remus – haben griechische, italische und darüber hinausreichende (auch orientalische) Parallelen, ohne daß sich allerdings daraus ein zwingendes Indiz für ein hohes Alter der Erzählung ergibt.

Untypisch für einen Mythos von Zwillingsbrüdern ist

1) Das Schicksal der Brüder verläuft geradezu gegenläufig, indem der eine Bruder den anderen tötet (bzw. seine Gefolgsleute diesen töten) und allein der eine Bruder zum Gründer der Stadt wird.

2) Keine der sakralen und staatsrechtlichen Doppelungen leitet sich von der verhältnismäßig spät entstehenden (4./3. Jahrhundert v. Chr., also mehrere Jahrhunderte nach dem angeblichen Gründungsereignis) Sage über Romulus und Remus ab.

Ende des 4./Anfang des 3. Jahrhunderts v. war die Sage von Romulus und Remus in Rom offenbar vorhanden. Denn die (plebejischen) curulischen Aedilen Gnaeus und Quintus Ogulnius stifteten 296 v. Chr. eine beim Ficus Ruminalis (»Feigenbaum«) aufgestellte Statuengruppe eines von einer Wölfin gesäugten Zwillingspaares aus öffentlichen Geldern (Livius 10, 23, 11- 12). Silbermünzen der Jahre 269 - 266 v. Chr. bilden auf einer Prägung aus dem Konsulat des Quintus Ogulnius diese Gruppe ab.

Die Existenz literarischer Darstellungen ist für die Zeit ab Mitte des 4. Jahrhunderts bekannt, zuerst von auf Sizilien lebenden griechischen Geschichtsschreibern. In den griechischen Erzählungen werden unterschiedliche eponyme (namensgebende) Personen der Stadt Rom genannt und dann in verschiedene Genealogien/Famlienstammbäume) eingeordnet: eine Frau (wohl nur Schlußfolgerung aus dem Städtenamen Roma) namens Rhome (Ῥώμη), ein Mann namens Rhomos (Ῥῶμος), ein Mann namens Rhomanos (Ῥωμανός), eine Kombination Rhomos (Ῥῶμος) und Rhomylos (Ῥώμυλος)

Hier liegt ein griechischer Versuch des späten 4. Jahrhunderts vor, eine vermutlich ältere mittelitalisch-römische Tradition durch die Eingliederung des Romulus mit der Deutung der italischen Frühgeschichte als Landnahme des Aineias (Αἰνείας)/Aeneas und dessen Nachkommen in Einklang zu bringen.

In römischen Fassungen gab es das Paar Romulus und Remus (wohl eine Entsprechung zur Namensvariante Rhemos statt Rhomos). Die Sage wurde von den Römern im Laufe der Zeit ausgestaltete und umgestaltet. Dabei wurden vielerlei Erzählmotive eingefügt und die Gründungssage erweitert.

Eine schriftliche römische Fassung ist erst für die zweite Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. beim römischen Politiker (war Senator) und Geschichtsschreiber Fabius Pictor belegt. Fabius Pictor (Fragment 5 a – b PETER = 7 CHASSINNET), sich auf Diokles von Peparethos (FGrH 820 F 1) berufend, dem er angeblich folgt, hat aus der Vielzahl der Erzählfassungen über die Stadtgründung (Dionysios von Halikarnassos, Ῥωμαϊκὴ Ἀρχαιολογία/Antiquitates Romanae/Römische Altertümer 1, 71 – 73; Plutarch, Romulus 1- 3; Festus 326 – 329 LINDSAY) eine ausgesucht und gestaltet und damit die Sage für die Folgezeit in den Grundzügen festgelegt.

Albrecht  20.08.2015, 15:36

Bedeutung

Die Sage enthält die Annahme einer Existenz von Gottheiten, ihres Willens und Wirkens und die Beachtung und Befolgung göttlicher Zeichen und Weisungen. Eine Hervorhebung einer Verpflichtung der Römer zu einem Götterglauben kann aber als besondere Absicht und Bedeutung der Sage bezweifelt werden, weil ein religiöser Glaube schon Voraussetzung der Erzählungen mit göttlicher Beteiligung ist.

Lupa (Wölfin) ist Amme der Zwillinge Romulus und Remus, gelegentlich mit Acca Larentia bzw. der Frau des Hirten Faustulus gleichgesetzt, in einer Rationalisierung wird darauf hingewiesen, lupa bedeute auch Prostituierte, der spätantike christliche Schrifteller Lactanz behauptet, sie habe göttliche Verehrung genossen (Divinae institutiones 1, 20, 1). Göttliche Verehrung der Wölfin ist aber anscheinend nur auf der iberischen Halbinsel (in Beatulo und in Epora in der Provinz Hispania ulterior bzw. nach einer Neueinteilung Hispania Baetica) in Verbindung mit dem Kaiserkult bezeugt (Lupa Romana: CILII 2156; Lupa Augusta: CIL II 4603; CIl = Corpus Inscriptionum Latinarum). Ob Acca Larentia mit der Göttin Larunda (bzw. Lara), Mutter der Laren (Mater Larum), gleichgesetzt werden kann, ist in der Forschung umstritten. Marcus Terentius Varro hat (nach Arnobius, Adversus nationes 4, 3) die nicht milde Wölfin, weil sie die ausgesetzten Kinder verschonte, Göttin Luperca genannt.

Picus (Specht) erscheint in antiken Texten auch als ein sagenhafter König des alten Italien und erscheint wie ein göttliches Wesen.

Wolf/Wölfin und Specht sind heilige Tiere des Gottes Mars und so können sie auch in der Sage von Romulus und Remus verstanden werden.

Die Deutung der Tötung des Remus durch Romulus gehört zu einer von der jeweiligen Gegenwart der Autoren geschehenden Deutung der Sage als Sinnbild. Das Vorkommen von Kämpfen in der Sage ist nicht zwangsläufig für das Ansehen Roms schrecklich schlecht. Kämpfe der Römer gegeneinander können ihm abträglich sein und ein Brudermord ist eine Belastung.

Die Sage von Romulus und Remus in antiken Darstellungen hat mehrere Bedeutungen:

  • Vorweisen einer herausragenden Gründungssage mit einer göttlichen Herkunft (die Zwillinge Romulus und Mars gelten als Söhne des Gottes Mars)
  • Legitimierung (Rechtfertigung) einer Vorrang- und Herrschaftsstellung Roms durch Berufung auf göttlichen Schutz, Willen und Zukunftsplanung
  • Erklärung von alten Örtlichkeiten/Stätten, Ortsnamen, Einrichtungen, Bräuchen, Festen, Ritualen/Kulten durch atiologische Erzählungen (geben als Ursache einen Ursprung in einer fernen Vergangenheit an)
  • Sinnbild des römischen Volkes und Staates in einer Deutung von der jeweiligen Gegenwart her

Durch eine besondere Gründungssage konnte sich eine Stadt verherrlichen und Glanz verschaffen. In der Antike verbanden die Menschen die Gründung ihrer Stadt gerne mit Göttern und Heroen (Helden).

Ein Bezug zu Gottheiten, die in religiöser Betrachtung höhere Wesen sind, war ehrenvoll. Eine Gründungssage konnte darstellen, die eigene Stadt genieße göttliche Gunst. Eine Berufung auf göttliche Pläne konnte eine herausragende Stellung der Stadt zu legitimieren versuchen.

Titus Livius, Ab urbe condita, Praefatio 6 – 8:

Quae ante conditam condendamve urbem poeticis magis decora fabulis quam incorruptis rerum gestarum monumentis traduntur, ea nec adfirmare nec refellere in animo est. Datur haec venia antiquitati ut miscendo humana divinis primordia urbium augustiora faciat; et si cui populo licere oportet consecrare origines suas et ad deos referre auctores, ea belli gloria est populo Romano ut cum suum conditorisque sui parentem Martem potissimum ferat, tam et hoc gentes humanae patiantur aequo animo quam imperium patiuntur.

"Was vor der Gründung der Stadt oder dem Plan der Stadtgründung mehr mit dichterischen Fabeln ausgeschmückt als mit unverfälschten Andenken an die geschichtlichen Ereignisse überliefert wird, will ich weder bestätigen noch zurückweisen/widerlegen. Diese Nachsicht wird der alten Zeit gegeben, die menschlichen Anfänge der Stadt durch Vermischung mit dem Göttlichen erhabener zu machen; und wenn es irgendeinem Volk erlaubt gehört, seine Ursprünge zu heiligen/göttliche Weihen zu geben und auf die Götter als Urheber zurückzuführen, gehört dem römischen Volk ein solcher Kriegsruhm, daß die Menschenvölker, weil es vornehmlich Mars als seinen Vater und den Vater seines Gründers angibt, auch das mit Gleichmut ertragen, so wie sie die Herrschaft ertragen."

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Albrecht  20.08.2015, 15:40

Livius 1, 4, 1 meint, der Anfang der sehr großen Stadt und des (nach den Machtmitteln der Götter) größten Reiches werde dem Schicksal/Schicksalssprüchen verdankt.

In der Erzählung, bei der Proculus Iulius das Verschwinden des Romulus als Aufnahme in den Himmel (Apotheose, Entrückung) erklärt, teilt er als ihm aufgetragene Botschaft des Romulus mit, die Himmlischen/Götter wollten, daß Rom Haupt des Erdkreises sei, die Römer das Militärwesen pflegten, Kenntnis hätten und überlieferten, daß keine menschlichen Mittel sich den römischen Waffen widersetzen könnten (Livius 1, 16, 7), wenn sie Besonnenheit und Tapferkeit übten, würden sie größte menschliche Macht erreichen (Plutarch, Romulus 28, 2- 3), er befehle den Römern, sich von aufrührerischem Zwiespalt fernzuhalten, dann würden sie Herren aller Völker werden. ([Sextus Aurelius Victor], De viris illustribus urbis Romae 2, 13).

Romulus ist der Gründerheros Roms, der es zu schnellem Aufstieg führt und auf den die ersten Einrichtungen des römischen Staates zurückgehen, darunter die Institutionen Magistrate, Senat und Volksversammlung.

In der Antike gab es eine Neigung, Einrichtungen, Gegenstände, Wörter und Gebräuche der Gegenwart, deren Herkunft und Bedeutung den Menschen unklar war, durch eine Erzählung ihrer Entstehung zu erklären und so als Ursache einen Ursprung in einer entfernteren Vergangenheit anzubieten (atiologische Erzählungen; αἰτία = Ursache; λόγος = Darstellung, Erzählungen).

Beispielsweise erzählt die Sage etwas zu Remuria und Lupercal mit Ficus Ruminalis (zwei Hütten am Südwesthang des Mons Palatinus und auf dem Capitolium) und zu Festen wie den Lupercalia, Parentalia, Lemuria, Matronalia und Consualia und zu Riten wie dem Ziehen einer heiligen Furche als sakraler Stadtgrenze.

Es gibt Erzählungen zum Ende des Romulus, die eine Tötung durch Senatoren annehmen bzw. Neubürger verdächtigen. Wann eine Erhebung/Einrückung zum Himmel (Apotheose/Vergöttlichung) zusammen mit einer Gleichsetzung mit Quirinus zuerst erzählt worden ist, ist nicht klar. Belege gibt es erst für das 1. Jahrhundert v. Chr.: Marcus Tullius Cicero, De re publica 1, 18 und 1, 20; Marcus Tullius Cicero, De legibus 1, 3; Marcus Tullius Cicero, De natura deorum 2, 62; Marcus Tullius Cicero, Paradoxa Stoicorum 11

Romulus ist als Sinnbild gedeutet worden. Die Beurteilungen sind unterschiedlich. So gilt er als Gründer und Vater des Vaterlandes. Andererseits wird er als Modell tyrannischer Herrschaft genommen. Diese Auffassung ist gemeint, wenn Spurius Maelius (Livius 4, 15, 7) und Sextus und Licinius (Livius 6, 41, 10) mit Romulus in Vergleich gesetzt werden und wenn ein Konsul des Jahres 67 v. Chr. gegen Gnaeus Pompeius im Zusammenhang mit einem Antrag zu einem außerordentlichen Oberbefehl erklärt, wenn er Romulus nacheifere, werde er dem Endes des Romulus nicht entgehen (Plutarch, Pompeius 25, 9). Bei Sallust, Historiae 1, 55, 5 nennt Marcus Aemilius Lepidus, Konsul des Jahres 78 v. Chr. Lucius Cornelius Sulla einen Romulus, womit er ihn als Tyrann beurteilt.

Marcus Tullius Cicero beurteilt Romulus als intelligenten und tüchtigen Herrscher, der durch verdienstvolle Leistungen in den Himmel kommt. Dahinter steht ein Wunsch, sich wegen der Niederschlagung der Verschwörung Catilinas möglichst großen Ruhm als Retter Roms und bewahrender Vater des Vaterlandes zu sichern. Marcus Tullius Cicero, De officiiis 3, 41 enthält eine schlechtere Beurteilung des Romulus, nach Caesars Tod geschrieben.

Gaius Iulius Caesar hatte einige Romulus-Nachahmung betrieben, war anscheinend an einem Aufstieg zu göttlicher Ehrung interessiert.

Horaz, Epode 16, 11- 14 schildert in der Zeit der Bürgerkriege ein pessimistisches Bild und Epode 7, 17 – 20 die Römer von bitterem Schicksal und dem Verbrechen der Brudertötung getrieben. Romulus ist Sinnbild des Brudermordes.

Lucan, Pharsalia 1, 92 – 97 bringt ebenfalls Bürgerkrieg und Brudermord in Verbindung.

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Albrecht  20.08.2015, 15:41

einige Literatur zum Thema:

Andreas Bendlin, Romulus [1]. In: Der neue Pauly (DNP) : Enzyklopädie der Antike ; Altertum. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Band 10: Pol - Sal. Stuttgart ; Weimar : Metzler, 2001, Spalte 1130 – 1133

Carl Joachim Classen, Zur Literatur und Gesellschaft der Römer S. 21 – 54 (Neubearbeitung von: Carl Joachim Classen, Romulus in der römischen Republik. In: Philologus : Zeitschrift für antike Literatur und ihr Nachleben 106 (1962), S. 174 – 204)

Carl Joachim Classen, Die Welt der Römer : Studien zu ihrer Literatur, Geschichte und Religion. Unter Mitwirkung von Hans Bernsdorff. Herausgegeben von Meinolf Vielberg. Berlin ; New York : de Gruyter, 1993 (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte ; Band 41), S. 1 – 11 (Wiederabdruck von: Carl Joachim Classen, Zur Herkunft der Sage von Romulus und Remus. In: Historia : l Zeitschrift für Alte Geschichte 12 (1963), S. 447 – 457)

Joachim Fugmann, Romulus und Remus. In: Enzyklopädie des Märchens : Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Begründet von Kurt Ranke. Mit Unterstützung der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen herausgegeben von Rolf Wilhelm Brednich zusammen mit Hermann Bausinger, Wolfgang Brückner, Helge Gerndt, Lutz Röhrich. Klaus Roth. Redaktion: Ines Köhler-Zülch, Ulrich Marzolph, Christine Shojaei Kawan, Hans-Jörg Uther. Band 11: Prüfung – Schimärenmärchen. Berlin : New York : de Gruyter, 2004, Spalte 827 – 831

Hans Joachim Krämer, Die Sage von Romulus und Remus in der lateinischen Literatur. In: Synusia : Festgabe für Wolfgang Schadewaldt zum 15. März 1965. Im Namen seiner Tübinger Schüler herausgegeben von Hellmut Flashar und Konrad Gaiser. Pfullingen : Neske, 1965, S. 355 - 402

Jürgen von Ungern-Sternberg, Romulus-Bilder: Die Begründung der Republik im Mythos. In: Mythos in mythenloser Gesellschaft : das Paradigma Roms. Herausgegeben von Fritz Graf. Stuttgart ; Leipzig : Teubner, 1993 (Colloquium Rauricum ; Band 3), S. 88 - 108

Jürgen von Ungern-Sternberg, Romulus - Versuche mit einem Stadtgründer Staat zu machen. In: Von Romulus zu Augustus : große Gestalten der römischen Republik. Herausgegeben von Karl-Joachim Hölkeskamp und Elke Stein-Hölkeskamp. 2. Auflage, unveränderter Neudruck. München : Beck, 2010, S. 37 – 47

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Und siehe, wieder mal nach Kain und Abel waren da 2 feindliche Brüder und sie kamen zudem aus der Wildnis, denn Wölfe sind nun mal keine Haustiere.

Mithin waren es 2 Burschen, die von der Natur in die gerade entstehende Kultur quasi hineingeworfen wurden.

Der Unterschied zur Hexe der, dass diese als Zaunreiterin zwischen Natur und Kultur mittels Besen hin,- und herritt. Remus und RTomulus hingegen verließen offensichtlich die Natur, also ihrec Startrampe, um gefestigt aus ihr, was Neues zu schaffen, ein beachtliches Stück Natur, nämlich die Gründung der Stadt Rom.

Dabei isses Wurscht, ob die beiden Gesllen existierten oder nicht, wichtig ist vielmehr ihr metaphorischer Gehalt, sprich sie stehen für Was, sind eine Folie für einen Neubeginn, der eben eine Erklärung erheischt.

Angemerkt sei übrigens auch, dass 2 Brüder erst einmal gemeinsam durchstarteten, dann aber sich für sie die Machtfrage stellte, als es ganz konkret wurde.