Was passierte im Erich Steinfurth Heim?

 - (sanatorium)

34 Antworten

Hallo zusammen,

beim Routen planen in Google Maps habe ich mich an meine Zeit in Zinnowitz erinnert; Sanatorium gesucht und gefunden, und auch die negativen Kommentare dazu. Ich habe mich deshalb hier angemeldet, um meine Sicht dieser 6-wöchigen Kurzeit darzustellen.

Ich war dort Anfang der 80-iger als Dreizehnjähriger zur Kur (als Kind hatte ich Probleme mit Bronchitis). Meine Erinnerungen sind schon sehr verblasst, aber eines kann ich sagen: Ich hatte nicht ein negatives Erlebnis während dieser 6 Wochen. So etwas hätte sich mir eingeprägt.

An die Erzieherinnen kann ich mich so gut wie gar nicht erinnern. Sicher, sie waren streng und konsequent. Wenn man die Vorgaben umgesetzt hat (beim Mittagsschlaf z.B. sollte man eine halbe Stunde auf dem Bauch liegen, was auch kontrolliert wurde; sollte wohl gut für den Rücken sein), gab es keine Probleme; anscheinend waren wir alle brav.

Eine Erzieherin hielt im Gemeinschaftsraum einen Vortrag über Hygiene. Waschen nur mit Seife, und wenn es denn unbedingt Seife aus dem Westen sein muss, dann diese oder jene. Fand ich erstaunlich, Werbung für Westprodukte in einem staatlichen Heim zu tiefsten DDR-Zeiten zu hören.

Beim Essen habe ich zum ersten Mal den Begriff "Adipositas" gehört. Etwas fülligere Kinder haben z.B. zum Frühstück nur einen fettreduzierten Joghurt bekommen. Sicher unschön, wenn alle ringsum normal gegessen haben.

Nach dem Frühstück sind wir durch ein kleines Waldstück zum Strand spaziert. Dort gab es hin und wieder Atemübungen und Wassertreten, ansonsten konnten wir tun, was wir wollten. Ein Mitbewohner und ich hatten uns Taschenmesser gekauft und haben aus Kiefernrinde kleine Kanus geschnitzt.

Ein "negatives" Erlebnis kann ich dann doch berichten. Anfang des Sommers war es schon sehr heiß. Die Ostsee hatte aber erst eine Temperatur von 15 Grad. Von der Kurärztin war baden erst ab 16 Grad freigegeben. Das war schon eine Qual, in der Hitze am Strand zu sein und nicht ins Wasser zu dürfen. Dafür gab es dann ein paar zusätzliche Einlagen Wassertreten.

Eines Tages wurden dann 16 Grad gemeldet, nur war es an diesem Tag bewölkt und windig und es kostete uns Überwindung, ins Wasser zu gehen.

Ich kann mich an Tage erinnern, da haben wir auf dem Spielplatz "abgehangen" oder "mussten" hinter dem Säulengang auf einer Art Terrasse entspannen, heute würde man dazu "chillen" sagen. In einem Liegestuhl in der Sonne in angenehmer Atmosphäre mit einem Buch - unvergesslich.

Woran kann ich mich noch erinnern? Briefe und Pakete gab es mit Sicherheit auch. Obwohl ich mir bei den Paketen nicht sicher bin, verwechsle das vielleicht mit einem anderen Kuraufenthalt. Möglich auch, dass Briefe kontrolliert und als negativ empfundene Zeilen bemängelt wurden. Wenn dem so war, habe ich es mit einem Schulterzucken übergangen. Kontrolle war man ja zu Ostzeiten gewohnt.

Waschen morgens mit kaltem Wasser, nur Oberkörper und Gesicht; abends den ganzen Körper, mit warmem Wasser, Waschlappen und Seife. Am Wochenende konnten wir duschen.

Nachts wurden wir manchmal durch den Überschallknall der in der Nähe stationierten MiGs geweckt.

Zweimal in der Woche gab es Unterricht: 2 Stunden Deutsch und 2 Stunden Mathe. Hausaufgaben gab es auch, die aber niemand gemacht hat, was ohne Konsequenzen blieb, da es ja keine Noten gab.

Alles in allem war es für mich eine schöne Zeit, was sicher auch an meinen Mitbewohnern gelegen hat. Es gab keinen Stress, weder untereinander noch mit den Erziehern. Der Abschied war schon etwas wehmütig. Im Radio lief Phil Collins mit "In the air tonight", und der Zauberwürfel kam gerade groß raus.

Dass man die Zeit dort auch überwiegend negativ wahrnehmen konnte, ist gut möglich. Nur das Heim und das Personal pauschal zu verurteilen, ist aufgrund meiner Erfahrung stark überzogen. Und nein: Ich bin nicht verwandt mit ehemaligen Heimmitarbeitern.

Ich möchte die Antwort von Pastor 45 bestätigen. Ich war vom 22.11.1957 bis 18.12.1957 krankheitshalber in diesem Sanatorium. Für mich das erste Mal weg von meiner Familie mit 6 Geschwistern. Wir waren arm und liebevoll erzogen, deshalb machte mir der Umgang mit der liebevollen Betreuerin nichts aus. Ich war damals 10-jährig und nach ca 3 Wochen hatte ich Heimweh. Die Betreuerinnen gingen auf mich liebevoll ein, so dass ich alles gut überstanden hatte.Für mich war und ist immer noch ein besonderes Erlebnis gewesen, weshalb ich diese Gebäude noch einmal 2010 sehen wollte. Ich war sehr enttäuscht über dieses Objekt. Natürlich gab es damals auch schon Kinder die ihren Kopf durchsetzen wollten und aggressiv gegen die Betreuerinnen waren, also unartig. Mir hat es sehr viel gebracht. Wanderungen ans Achterwasser und an die Ostsee mit einen Bummel durch Zinnowitz. In dieser Zeit schon fernsehen können. Jeder konnte sich ein kleines Weihnachtsgeschenk bis zu 10 DDR Mark wünschen. Jedoch das wichtigste war, ich wurde geheilt und hatte erst wieder nach ca 30 Jahren kurzzeitig diese Krankheit.

Hallo in die Runde, ich bin eben erst hierauf gestoßen und möchte kurz - nachdem ich all das hier gelesen haben- vermuten, dass es wohl solche und solche Erzieher gab (es aber sicherlich eine Leitung und eine "Rahmenbehandlung" gab), dass es in zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich zuging. Meine persönlichen Erfahrungen sind ebenfalls sehr schlecht (ich muss Ende der 1970er/Anfang 1980er mit ca. 9-10 Jahren dort gewesen sein). Kein Toilettengang in der Mittagsruhepause, die Kleinen mussten danach ihre vollgemachte Unterwäsche heulend im Waschraum auswaschen, unmögliche (z.T. mir sehr alt erscheinende, "böse" Erzieherinnen (nur eine freundliche, deren Namen ich aber leider nicht weiß), Ausgangspost wurde quasi vorgegeben/kontrolliert, an die schon einmal erwähnte "Gaskammer" im Keller erinnere ich mich auch, m.E. wurde uns damals nichts erklärt, sondern einfach rein, und "Gas" kam in Kachel gefliestem Keller aus den Duschköpfen (und dass als Kind, das in der DDR viel über die KZ gehört hat) - natürlich haben wir dann bald verstanden, dass es Inhalationsgebräu war. Kaltes Abspritzen mit harten Wasserstrahl aus Schlauch, Zähneputzen auf Kommando, wer zu früh anfing oder kurz quatschte, musste ausspucken, neu anfangen. Bademantel als Strafe für's Reden aus Waschsaal-Fenster in den Hof (zum Jugentrakt, wenn ich mich richtig erinnere) geworfen, nackt runterlaufen Müssen und Mantel holen usw. usf. Große Schlafsäle, keine Individualität. Versuche, richtig schlimm krank zu werden, um nach Hause zu dürfen. Z.T. gemeinster Umgangston, Erpressungen ("Wir kontrollieren Deinen Urin ((weil ich so oft auf die Toilette musste, die ja zu bestimmten Zeiten verboten war)), und wenn da nichts ist, schreiben wir das Deiner Schule und Deinen Eltern). Rückfahrt im Bus nach - ich glaube - Ostbahnhof. Ankunft zu früh, Gewitter, keine Eltern da, nach meiner Erinnerung blieb nur der Busfahrer im Bus und alle Kinder heulten, weil sie glaubten, nicht abgeholt zu werden usw. Wahnsinns Heimweh. Ich konnte bis ich 19 Jahre alt war nicht mehr verreisen.

Ich war auch Ende der 80er im Kindergartenalter dort und kann von Misshandlungen berichten. Meine Vermutung ist, dass die Erzieher sich eher an kleineren Kindern vergriffen hatten (möglw. Frustabbau). Viele, die in höherem Alter, so ab 12 aufwärts, dort waren, schreiben im Netz eher positiv. Es müsste mal eine Gruppe geben, die dorthin fährt und die Erzieher aufsucht. Die leben bestimmt noch dort. Ich wär dabei.

Viele Grüße Björn


baschan  10.12.2011, 08:42

hallo, ich bin beeindruckt,endlich einer der genau in dieser zeit dort war.bei mir muss es anfang 1980 gewesen sein.ich war 7 jahre und für mich war es der pure horror.wäre schon eine mail zu bekommen von dir.hast du noch bilder?ich leider gar nichts mehr. viele grüße rayk

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Hallo, ich bin zweimal da gewesen. 1976 und 1981, je von Mitte November bis Weihnachten. Die Krankenstation habe ich auch kennengelernt. im übrigen habe ich zu hause bei meiner Mutter einen Brief gefunden, worin mitgeteilt wurde, dass ich mir den Arm gebrochen hatte. also alles korrekt. ich habe sogar ein Westpäckchen bekommen - nur leider hat man mir den Inhalt geklaut. das einzige, was mir heute noch hochstößt, ist der Umgangston, den die Damen so an sich hatten. der war ganz schön, na sagen wir mal, ruppig. und die kleinen Kinder (3-6) die taten mir sehr leid. die haben meistens geweint. sie kamen immer in ner langen Schlange im Gänsemarsch in den Speiseraum und mußten an unserem Mädchentisch vorbei. die kleinen hatten so einen separaten kleineren Speisesaal. von den kleinen haben wirklich immer viele geweint.


Andreas695  24.06.2022, 14:39

Unverständlich soetwas ,muss echt schlimm gewesen sein dort

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Andreas695  24.06.2022, 14:38

😒😒😪😪

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Purmaus  16.01.2013, 15:07

Wenn man sich mal in Zinnowitz umhört, ob die Erzieherinnen noch leben, ja die meisten leben wohl noch. ein Mann meinte mal zu mir: "naja Erzieherinnen... die waren wohl mehr "Wärter" ... ich denk, das sagt auch viel über ihren Ruf aus...

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