Was meint Fontane mit dem Brief und wie charakterisiert er Instetten?
An Clara Kühnast, eine Leserin, schreibt Fontane am 27. Oktober 1895: Ja, Effi! Alle Leute sympathisieren mit ihr, und einige gehen so weit, im Gegensatze dazu, den Mann als einen "alten Ekel" zu bezeichnen. Das amüsiert mich natürlich, gibt mir aber auch zu denken, weil es wieder beweist, wie wenig den Menschen an der sogenannten "Moral" liegt und wie die liebenswürdigen Naturen dem Menschenherzen sympathischer sind. Ich habe dies lange gewußt, aber es ist mir nie so stark entgegengetreten wie in diesem Effi-Briest- und Innstetten-Fall. Denn eigentlich ist er (Innstetten) doch in jedem Anbetracht ein ganz ausgezeichnetes Menschenexemplar, dem es an dem, was man lieben muß, durchaus nicht fehlt. Aber sonderbar, alle korrekten Leute werden schon bloß um ihrer Korrektheiten willen mit Mißtrauen, oft mit Abneigung betrachtet.
2 Antworten
Fontane charakterisiert Effi als in moralischer Hinsicht zwar fehlerhaft, konstatiert aber, dass sie von seinen LeserInnen trotz oder besser: gerade wegen ihrer menschlichen Schwächen, wegen ihres eher gefühlsbetonten Charakters und ihres Unwillens, sich gesellschaftlichen Konventionen zu unterwerfen, als liebenswert wahrgenommen wird - vermutlich, da sich die LeserInnen mit ihrer "Unvollkommenheit" besser identifizieren können als mit dem moralischen, höchst korrekten, immer auf "die Form" bedachten und um Tadellosigkeit bemühten Innstetten, der aber gerade wegen seines "Mangels" an menschlichen Schwächen, wegen seines scheinbaren Mangels an "echtem" Gefühl, weniger sympathisch und liebenswert auf die Leserinnen wirkt, da sie sich mit seiner scheinbaren "Vollkommenheit" und seinem "Verhaftet-Sein" in den gesellschaftlichen Konventionen nicht identifizieren können.
Steht doch alles drin! Er charakterisiert Innstetten (wie auch im Roman) als einen durchaus korrekten Mann, der es recht machen will - sein Amt, seine Ehe, seine Familie. Er ist nicht gefühllos, im Gegenteil, er liebt Effi und er liebt die Tochter. Aber er meint - und das hat vielleicht mit der Männlichkeitserziehung seiner Generation zu tun - dass er sich von Gefühlen nicht überwältigen lassen darf, sondern immer den Verstand und damit Dinge wie Moral und Prinzipien Priorität einräumen muss.
Auf eine Art ist Innstetten ein eher schwacher Charakter. Er schafft es nicht, seine eigenen Werte zu setzen und sich über Konventionen hinweg zu bewegen. Das zeigt sich da, als er dieses blöde Duell mit Crampas initiiert: Im Grunde möchte er Effi verzeihen und alles lassen, wie es ist. Crampas ist ihm eigentlich wurst und viel zu weit weg, als dass er sich noch groß mit ihm auseinandersetzen wollte. Aber die "Sitte" verlangt vom betrogenen Ehemann, dass er seine "Ehre" rächt - und Innstetten ist nicht Manns genug zu sagen: "Pfeif drauf - meine Ehre ist nicht von so einem Mist abhängig."
Effi dagegen ist der "liebenswerte" Charakter - und spannend ist vielleicht, dass Fontane eine gewisse Nachgiebigkeit, die ja sogar bis zur Wurstigkeit und zum Leichtsinn reicht (in Kressin hat Effi ja gar nicht groß über diese Geschichte mit Crampas nachgedacht. Das war nicht, wie zum Beispiel bei Anna Karenina, ein bewusstes "Dieser Mann ist meine große Liebe, für ihn setze ich mich über Konventionen hinweg!", sondern eher ein "mir ist so langweilig, ich will halt ein bisschen Spass mit Crampas haben"), "liebenswürdiger" findet als Innstettens stramme Haltung. Er sieht dabei aber natürlich, dass jemand wie Effi auch anderen Menschen eher Fehler und Eigenheiten vergibt als ein Innstetten.
Effi war aber bereit mit Crampas zu fliehen und tief verletzt von seiner Ablehnung. Erst dann hat sie erkannt, dass sie ihn besser loslassen sollte.